Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Wenn Führung komplexer und chaotischer wird

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Die Situation, mit der nahezu alle Wirtschaftsbereiche und alle Unternehmen konfrontiert sind, wird seit geraumer Zeit von zwei Entwicklungen geprägt. Zum einen erhöht sich die Dynamik der Märkte, was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Halbwertzeit des Wissens oder vor allem des Bestands an stabilen Parametern reduziert. Da sich alles schneller ändert, sind die Anforderungen an Führung gestiegen, denn man will, ggf. muss ja mit den Entwicklungen Schritt halten. Dies wäre dann machbar, wenn sich nicht zum anderen parallel die Komplexität erhöhen würde und dadurch die Anzahl der zu berücksichtigenden Parameter signifikant steigt. Zu neuen Rabattverträgen kommen Lieferengpässe, andere gesetzliche Bestimmungen, Corona-Regeln undundund immer on top dazu. Dynamische Ent­wicklungen treffen demnach auf komplexe Strukturen, die Amerikaner haben dafür das Kunstwort „Dynaxity“ entworfen, das sich eben im vorderen Teil aus Dynamics und im hinteren Teil aus Complexity zusammensetzt. Nun erhofft man sich von den dafür zuständigen Managern eine ebenfalls gestiegene „Dynaxability“, also eine zunehmende Befähigung, mit diesen Entwicklungen umzugehen.

Natürlich gibt es nach wie vor Entscheidungen in einem einfachen Führungskontext. Hier ist sowohl klar, was erreicht werden soll, aber eben auch, wie es erreicht werden soll. Es besteht demnach ein vergleichsweise eindeutiger und offensichtlicher Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. In diesem Kontext auftretende Probleme lassen sich mit bewährten oder simpel zu entwickelnden Lösungen (Best Prac­tices) angehen. Schon etwas anspruchsvoller wird es, wenn die Situation nicht mehr als derart eindeutig umschrieben werden kann, also komplizierter anmutet. Hier bedarf es eines Expertenwissens, es gibt diverse auch voneinander abweichende Lösungen für das vorhandene Problem, weshalb in diesen Situationen nach denk­baren, brauchbaren Lösungen gesucht wird (Good Practices). Man kann zwar die Situation beschreiben, hat aber nur vage Anhaltspunkte, wohin sich das Ganze entwickelt. Bei der Corona-Impfung beispielsweise war ein derart komplizierter Führungskontext feststellbar, als immer wieder unklar war, welche Virusvariante das Infektionsgeschehen bestimmen wird und was dies dann hinsichtlich der Auswahl der Impfstoffe bedeuten könnte. Noch schwieriger wird es, wenn sich keine klaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ergeben bzw. noch nicht final feststeht, was Ursache und was Wirkung ist. Diesen Führungskontext nennt man komplex. Streng genommen erkennt man die rich­tige(n) Lösung(en) erst im Nach­hinein (Next Practices). Da sich die Umstände ändern, bedarf es eines eher experimentellen Vorgehens, oft auch Trial and Error genannt. Auch hier kann die COVID-19-Pandemie beispielhaft herangezogen werden für alle Situationen, in denen die Folgen und Ursachen von Corona-Erkrankungen nicht nach Mustern verliefen und deshalb vieles unklar blieb.

Der letzte Führungskontext nennt sich chaotisch, weil nicht klar zu erkennen ist, ob es eine Ursache gibt und was die Ursache ist sowie ob es eine Wirkung gibt und was als Wirkung einzustufen ist, weil sich dies laufend ändert oder auch verschiebt. Damit ist eine Ableitung von Mustern und auf dieser Grundlage von Handlungsempfehlungen weder treffsicher noch valide vorzunehmen. Entscheidungen sind in einer absolut unklaren Situation zu treffen. Hier ist des Öfteren von den zuständigen Managern zu hören, dass man versuche, auf Sicht zu fahren, also einen Schritt nach dem anderen zu setzen, ohne den Weg zu kennen.

Im ersten Fall der einfachen Entscheidungssituation, die lange Zeit in Apotheken vorherrschend war, galt die Maxime „Known Knowns“, wir wissen, was wir wissen müssen. Wird es kompliziert, meint die „Known Unknowns“-Regel, wir wissen, was wir nicht wissen, na immerhin! Diese beiden Situa­tionen sind für erfahrene Manager oder Inhaber geordnet. Im ersten Fall wird kategorisiert, im zweiten Fall analysiert. Je komplexer die Situation wird, umso eher muss man ausprobieren. „Unknown Unknowns“ meint demnach, wir wissen nicht, was wir nicht wissen. Und im chaotischen Kontext heißt die Prämisse „Unknowables“, also wir wissen gar nichts und müssen handeln im Sinne eines Stocherns im Nebel.

Lieferengpässe bei Arzneimitteln in bestimmten Indikationsbereichen, Personalmangel an allen Stellen, ungewisse Entscheidungen, die aus Legislative und Exekutive drohen, Konflikte mit den Ärzten, Dauerstreit rund um Retaxationen mit Krankenkassen, Konsum­zurückhaltung bei Verbrauchern und ein naher Krieg, wenig Energie und treibende Inflation. Für alle Unternehmen, aber auch oder gerade für Apotheken stellt sich die Situation aus Führungssicht ausgesprochen schwierig dar, mithin ungeordnet, auf jeden Fall komplex. Die Anstrengungen, die unternommen werden müssen, damit es in der Offizin nicht chaotisch wird, sind höher denn je. Bleiben Sie wachsam! |

 

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

 

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