Wirtschaft

Neues Datenschutzproblem beim E-Rezept

Graue warnt vor anlassloser Übermittlung der Chargennummer

tmb | Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am vergangenen Dienstag ging es zunächst um einen Überblick zur berufspolitischen Lage. Doch am Ende seines Berichts warnte der Vorsitzende Dr. Jörn Graue vor einem neuen, bisher unbeachteten Problem beim E-Rezept. Demnach stünden die Vereinbarungen mit den Krankenkassen zur anlasslosen Übermittlung von Chargennummern im Widerspruch zum Datenschutz.
Foto: AZ / tmb

Dr. Jörn Graue: Nicht das Image eines obrigkeitshörigen Berufsstands anheften lassen

In seinem Bericht bekräftigte Graue zunächst die große Bedeutung eines Inflationsausgleichs bei der Apothekenhonorierung. Für die Apotheken sei das Maß voll. Darum sehe er gute Gründe, sich endlich aufzulehnen. Dennoch hätten kürzlich nur vier Apothekerverbände zum Streik aufgerufen. Mit Blick auf das E-Rezept betonte Graue, dass es beim Datenschutz um Grundrechte gehe, die das Bundesverfassungsgericht auch als objektive Werteordnung für alle Bereiche betrachte. Daher beschrieb Graue die Einstellung der Pilotprojekte für das E-Rezept in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe als folgerichtig. Die Begründung, der Datenschützer sei schuld daran, verwechsle den Zusammenhang von Ursache und Wirkung.

Datenschutz ernst nehmen

In diesem Umfeld sei er auf einen „höchst unglücklichen“ Vorgang gestoßen, berichtete Graue. Es gehe um die Frage, wie die Verpflichtung zur regelhaften Angabe der Chargennummer des abgegebenen Arzneimittels im Abgabe­datensatz des E-Rezepts in die diesbezügliche Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband geraten sei und was die Rechtsgrundlage dafür sei. Die Vereinbarung be­ruhe offenbar auf einem weithin unbekannten Schiedsspruch vom Dezember 2020 zur Mitwirkungspflicht der Apotheken bei Ersatzansprüchen der Krankenkassen gemäß § 131a Abs. 1 SGB V nach Arzneimittelrückrufen. Für diese sehr seltenen Fälle müsse nun jede Apotheke bei allen Abgaben die Chargennummer übermitteln, aber das gehe extrem über das hinaus, was der Gesetzgeber verlange, nämlich nur eine Mitwirkung in solchen Fällen, erklärte Graue.

Die hundertprozentige Übermittlung sei dagegen nicht erforderlich und mit Blick auf die gebotene Datensparsamkeit nicht verhältnismäßig, folgerte Graue und ergänzte, sie schaffe auch zusätzliche Retaxmöglichkeiten. Die Verknüpfung mit anderen Daten ergebe zusätz­liche Auswertungsmöglichkeiten und die Verbindung mit personenbezogenen Daten sei hochsensibel. Die anlasslose Übermittlung sei daher datenschutzrechtlich nicht zulässig.

„Der gläserne Patient lässt winken“, folgerte Graue. Daher dürften Apotheken diese Daten mit dem E-Rezept eigentlich nicht ohne freiwillige Einwilligung zur Abrechnung einreichen, solange keine Rechtsgrundlage besteht, erklärte Graue und folgerte: „Hier tickt wieder einmal eine Zeitbombe.“ Zwei Rechtsgutachten vom Datenschutz Nord und vom Apothekenrechtler Prof. Dr. Hilko Meyer kämen unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass die anlasslose Übermittlung der Chargennummer ohne Rechtsgrundlage unzulässig ist. Außerdem habe er bei den Landesdatenschützern angefragt. Graue warnte davor, den Datenschutz zu ignorieren, „bis das Kind wieder einmal in den Brunnen gefallen ist“. Außerdem mahnte Graue: „Mitnichten sollen wir uns das Image eines obrigkeitshörigen Berufsstands anheften lassen.“ Vielmehr dürfe ein System wie das E-Rezept erst in Kraft gesetzt werden, wenn es rund laufe. Bis dahin sei noch ein weiter Weg, zumal das zu ersetzende System hervorragend funktioniere, keine Cyberangriffe kenne, durch Stromausfälle nicht komplett außer Kraft gesetzt werde und den ausländischen Versendern nicht zusätzlich in die Karten spiele. Graues Fazit zum E-Rezept war: „Bin wirklich gespannt, wann dieser Homunkulus endlich das Laufen lernt.“

Eine andere Idee mit möglicher­weise großer Tragweite deutete Graue nur an. Im Zusammenhang mit den pharmazeutischen Dienstleistungen erinnerte Graue an das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957, nach dem die Apotheken nicht zur Leistungserbringerebene zählen. Mit den neuen Dienstleistungen lösen sie nun aber selbst Leistungen zulasten der GKV aus. Dazu folgerte Graue: „Inwieweit eine Rückkehr zur Bedarfsplanung bei der schwindenden Apothekenzahl auch für uns wieder infrage kommt, wird sich zweifellos an der zukünftigen Entwicklung orientieren.“ Damit spielte er offenbar darauf an, dass die verfassungsrechtliche Bewertung der Niederlassungsfreiheit anders ausfallen könnte, wenn Apotheken selbst GKV-Leistungen auslösen. |

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