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Wirtschaft
Die Stimmung „so schlecht wie noch nie“
Apothekenklima-Index 2022: Inhaber erwarten negative Branchenentwicklung
Mehr als vier Fünftel (82,8 Prozent) der selbstständigen Apotheker erwarten in den nächsten zwei bis drei Jahren eine negative wirtschaftliche Entwicklung ihrer Branche. Im Rahmen des Apothekenklima-Index, den die ABDA 2022 zum siebten Mal in Folge erhoben hat, fällt auf, dass die Stimmung im Berufsstand einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 64,6 Prozent. „Die Ursachen für das schlechte Klima sind sicher multifaktoriell“, erläutert ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening bei der Vorstellung am vergangenen Dienstag. Einerseits macht sie „übergeordnete Gründe“ verantwortlich (weltpolitische Lage, gesellschaftliche und wirtschaftliche Sorgen, Klimadebatte). Andererseits weist Overwiening auf konkrete betriebswirtschaftliche und gesundheitspolitische Probleme des Berufsstandes hin. Apotheken könnten die steigenden Kosten in der Regel nicht an ihre Patienten weitergeben. Die Vergütung für die Abgabe verordneter Arzneimittel sei weder dynamisiert noch angepasst worden in den vergangenen zehn Jahren. Die Inflation bedeute somit eine deutliche reale Verringerung der Vergütung.
Eigene Lage wird etwas weniger düster wahrgenommen
„Und genau in diese belastende Situation platzt nun der Entwurf eines Spargesetzes“, so Overwiening. Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sieht vor, den Krankenkassenrabatt pro Arzneimittelpackung von aktuell 1,77 Euro auf 2,00 Euro anzuheben. Insgesamt sollen die Apotheken hierüber rund 240 Millionen Euro zur Deckung des Finanzdefizits im GKV-System beisteuern. Der Gesetzesentwurf Lauterbachs wurde genau in der Befragungsphase für den Apothekenklima-Index veröffentlicht. Die ABDA-Präsidentin sieht das Vorhaben somit als hauptursächlich für die Verschlechterung der Stimmung an. Dabei registriere der Klimaindex, dass die befragten Inhaber im Hinblick auf die eigene Apotheke die wirtschaftlichen Entwicklungen als „etwas weniger düster“ wahrnehmen. Doch auch hier wurde mit 57,8 Prozent der Befragten, die eine etwas bis deutlichere Verschlechterung erwarten, ein neuer Höchstwert erreicht. „Dass es Abweichungen zwischen der Bewertung von Branche und eigenem Betrieb gibt, ist übrigens nicht ungewöhnlich“, merkt Overwiening an. In der Regel werde die konkrete eigene Situation immer etwas selbstbewusster betrachtet als die eher abstrakte eines gesamten Berufsstandes, so die Erklärung.
2021 | 2022 | |
---|---|---|
Bürokratischer Aufwand | 92,8% | 92,6% |
Lieferengpässe | 62,4% | 81,6% |
Nachwuchs- oder Personalprobleme | 70,2% | 77,8% |
Unzureichende Honorierung von Leistungen (z. B. Rezeptur) | 60,6% | 69,4% |
Aufwand bei Hilfsmittelversorgung | 63,8% | 61,4% |
Zu geringe Wertschätzung der apothekerlichen Leistungen im Gesundheitswesen | 58,0% | 57,6% |
Retaxationen | 55,2% | 55,4% |
Umsetzung von Rabattverträgen | 34,4% | 33,4% |
Erfüllung der Importquote | 16,2% | 11,2% |
Andere Ärgernisse | 9,4% | 9,8% |
Mehrfachnennungen möglich |
Die Nachwuchssorgen im Berufsstand wachsen
Darüber hinaus zeigt die repräsentative Meinungsumfrage unter den 500 Inhabern, dass die Nachwuchssorgen im Berufsstand wachsen: Für drei Viertel der Apothekenleiter (77,8 Prozent) gehören Personalprobleme zu den größten Defiziten im Versorgungsalltag. Sieben von zehn Befragten (71,2 Prozent) suchen qualifiziertes pharmazeutisches Personal. 92,4 Prozent geben trotz der düsteren Branchenstimmung an, in den nächsten zwei bis drei Jahren keine Entlassungen zu planen und 80,6 Prozent wollen Vollzeit- nicht in Teilzeitstellen umwandeln.
Auf die Bewerbersituation blicken die Apothekeninhaber zunehmend pessimistisch: Etwas mehr als ein Drittel (36,8 Prozent) rechnet damit, in den nächsten zwei bis drei Jahren keine Apothekerstelle besetzen zu können. Das ist ein Allzeit-Höchstwert – im vergangenen Jahr war es noch ein Viertel. Dieser Trend zeigt sich auch im Hinblick auf die Situation in den anderen Berufsgruppen. Bei den PTAs gehen nur 44,4 Prozent davon aus, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine Bewerbung zu erhalten. 25,6 Prozent rechnen mit gar keinem Interesse an einem PTA-Arbeitsplatz in der eigenen Apotheke. Dieser pessimistische Ausblick setzt sich bei den PKA-Stellen fort. 33,2 Prozent der befragten Inhaber erwarten eine, 26,6 Prozent gar keine Bewerbung in nächster Zeit.
2021 | 2022 | |
---|---|---|
Beratung und persönlicher Kontakt zu den Patienten | 79,0% | 78,6% |
Zusammenarbeit mit meinem Team | 61,6% | 64,8% |
Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bzw. Freiberuflichkeit | 69,0% | 64,6% |
Soziale Rolle der Apotheke vor Ort | 51,4% | 51,0% |
Wirtschaftlicher Erfolg | 45,6% | 45,6% |
Heilberufliche Tätigkeit auf pharmazeutisch wissenschaftlicher Basis | 43,4% | 43,0% |
Beitrag zur Gesundheitsvorsorge | 41,4% | 38,2% |
Andere Motivationen | 5,2% | 3,6% |
Mehrfachnennungen möglich |
Jeder Sechste rechnet mit erfolgloser Nachfolgersuche
Immerhin: Wenn es um die Nachfolgersuche geht, rechnen die Apothekeninhaber im Vergleich zum Vorjahr etwas häufiger mit wenigstens einem Interessenten (2022: 30,4 Prozent, 2021: 28,2 Prozent). Doch auch bei der Apothekenübergabe schlägt sich die pessimistische Branchenstimmung durch, weil häufiger mit keinen Interessenten (2022: 16,6 Prozent, 2021: 15,4 Prozent) und seltener mit zwei bis vier Interessenten (2022: 43,2 Prozent, 2021: 45,8 Prozent) gerechnet wird.
Bei der allgemeinen Investitionsbereitschaft zeigt sich ein ähnliches Niveau im Vergleich zum Vorjahr: 58,4 Prozent der Apothekeninhaber wollen investieren.
Trotz aller Herausforderungen und Unwägbarkeiten beschäftigen sich die Apothekeninhaber in ihrem Berufsalltag auch mit gesellschaftlichen Grundsatzdebatten. Der Deutsche Apothekertag 2022 steht unter dem Motto „Klimawandel, Pharmazie und Gesundheit“. Eine Vielzahl von Anträgen zu diesem Schwerpunktthema wurde im Vorfeld eingereicht. „Drei von vier Apotheken planen konkrete Maßnahmen für die nächsten zwei bis drei Jahre, um sich nachhaltiger auszurichten“, konstatiert ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening mit Blick auf die Ergebnisse des Apothekenklima-Index. Vor allem geht es dabei um Energieeinsparung und Abfallvermeidung. Jede dritte Apotheke (32,6 Prozent) setze auf E-Mobilität. Abseits unternehmerischer Entscheidungen und Maßnahmen geben neun von zehn Apothekeninhabern (88,6 Prozent) sogar an, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ressourcenschonung in Gesprächen mit Kunden zu thematisieren. Nahezu alle Befragten (94,6 Prozent) erachten gesetzgeberische Maßnahmen als notwendig, um den Nachhaltigkeitsgedanken in der Arzneimittelversorgung (Produktion und Lieferketten) stärker zu verankern.
Overwiening resümiert: „Wir sind mitten in der Einführung des E-Rezepts und haben diesen Sommer mit der Implementierung neuer, arbeitsintensiver pharmazeutischer Dienstleistungen begonnen.“ Man stelle sich den Aufgaben, aber könne keine weiteren finanziellen Belastungen in den Apotheken verkraften. „Das müssen die Verantwortlichen in Bundesministerium, Bundestag und Bundesrat verstehen.“ Der Apothekenabschlag von 2 Euro müsse raus aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – „und zwar sofort!“ Dafür will sich ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening im anstehenden parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren „mit aller Kraft“ einsetzen. |
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