Foto: Dan Race/AdobeStock

Management

Blinde und Sehbehinderte in der Apotheke

Was Sie bei der Kommunikation beachten sollten / Wertvolle Tipps für Betroffene

Häufig kommen Kunden in die Apotheke, die entweder dauerhaft an einer Sehbeeinträchtigung leiden oder die aufgrund einer akuten Augenerkrankung vorübergehend nicht mehr so gut sehen können wie früher. Was ist bei der Beratung der blinden und sehbehinderten Menschen in der Apotheke wichtig und worauf ist bei der Kommunikation zu achten?

Eine Sehbehinderung sieht man einem Menschen nicht immer an und nicht jeder Betroffene spricht offen darüber, wenn seine Sehkraft rapide nachlässt. Ein Teil der Sehbehinderungen ist genetisch bedingt (angeboren) und tritt nicht selten im Laufe des Lebens auf. Andere Sehbehinderungen sind Folge von Unfällen oder Erkrankungen wie Diabetes, Makuladegeneration, grauer und grüner Star oder Multiple Sklerose. Tritt Blindheit oder eine Sehbehinderung im Laufe des späteren Lebens auf, sind die Integration der Betroffenen und die Wahrung ihrer Selbstständigkeit schwieriger, denn sie wachsen nicht mit der Situation auf und müssen sich im Erwachsenenleben damit neu zurechtfinden und neue Routinen und Sicherheit erlernen.

Über Hilfsmöglichkeiten informieren

Eine Sehschwäche kann dazu führen, dass Betroffene immer weniger am Leben teilnehmen, auf fremde Hilfe angewiesen sind und sich letztendlich zurückziehen. Insbesondere dann, wenn die Sehschwäche zunimmt, kommen Betroffene schlecht an Informationen, die im Internet oder in anderen Medien zu finden sind. Apothekenmitarbeiter können deshalb durch eine gute Beratung dabei helfen, ein Stück weit die Selbstständigkeit und Lebensfreude der Patienten wiederzugewinnen. Nicht nur Hilfsmittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden, sondern auch Apps und Leistungen, die die Teilhabe am täglichen Leben möglich machen, stehen Blinden und Sehbehinderten zur Verfügung.

Selbstständig trotz Blindheit und Behinderung

Trotz Sehbehinderung und Blindheit ist eine selbstständige Lebensführung möglich. Durch das Er­lernen von lebenspraktischen Fertigkeiten, den sogenannten LPF, können Sehgeschädigte Mahlzeiten selbstständig zubereiten und essen, Wäsche selbstständig waschen, die Wohnung selbstständig reinigen sowie einkaufen und den Haushalt selbstständig führen. Ein Auszug aus den eigenen vier Wänden in ein betreutes Heim ist wegen einer Sehschädigung nicht notwendig. Alle Menschen mit einer drohenden Behinderung und deren Angehörige können sich im Vorfeld zu der Beantragung von Leistungen beraten lassen. Ziel ist es, die beste Lösung für die eigene Lebenssituation zu finden. Betroffene haben daher gesetzlich ein Recht auf Teilhabe. Das beschreibt das Bundesteilhabegesetz (BTHG), das in vier zeitversetzten Reformstufen bis 2023 in Kraft tritt und das für Menschen mit Behinderungen viele Verbesserungen vorsieht. Mit dem BTHG wurden mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen.

Hilfsmittel zulasten der gesetzlichen Krankenkasse

Klassische Hilfsmittel für Blinde – wie ein Blindenstock oder ein Blutdruckmessgerät mit einer Sprachausgabe – sind Betroffenen und deren Angehörigen allgemein bekannt. Moderne Hilfsmittel bieten Blinden und Sehbehinderten zusätzlich eine noch größere Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags. Viele davon sind im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgeführt und werden daher in der Regel auch von diesen übernommen. Dazu gehören beispielsweise Farberkennungsgeräte, vergrößernde Seh­hilfen wie Lupen und Bildschirmlesegeräte, Markierungssysteme, Großtastentelefone, sprechende Geräte wie Uhren, Thermometer und Blutdruckmessgeräte oder auch tastbare Uhren, Lesepulte und LED-Leuchten.

Ein weiteres tragbares Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen ist eine kompakte Kamera, die an der Brille befestigt werden kann. Diese liest sofort und diskret gedruckten und digitalen Text von jeder Oberfläche vor und erkennt Gesichter, Produkte und Geldscheine – alles in Echtzeit und ohne weitere Unterstützung.

Auf diese Weise ist es möglich, Zeitschriften und Bücher zu lesen sowie das Internet und andere digitale Medien zu nutzen. Die Kosten für eine solche Kamera werden von der Krankenkasse übernommen. Damit wird sie nahezu jedem blinden oder sehbehinderten Menschen zugänglich.

Moderne Technologie macht es zudem möglich, dass auch Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Herd oder Trockner leicht von Blinden oder Sehbehinderten bedient werden können, sei es durch Sprachansagen, um Informationen hörbar zu machen, oder taktile Symbole, um Informationen fühlbar darzustellen.

Weiterführende Internetseiten

Praktische Hilfe per App

Digitalisierung kann auf eine sehr vielfältige Weise Blinde und Sehbehinderte unterstützen. Je besser Apothekenmitarbeiter über diverse Möglichkeiten Bescheid wissen, umso besser können sie auch die Betroffenen beraten. Praktische Hilfe im Alltag bietet die App „Be My Eyes“, die kostenlos auf iOS und Android verfügbar ist. Sie verbindet eine globale Community bestehend aus Blinden und Sehbehinderten sowie Freiwilligen, die sehen können. Durch einen Live-Videoanruf können Freiwillige Blinden und Sehbehinderten bei vielen Aufgaben assistieren. Fordern blinde oder sehbehinderte Nutzer über die App Assistenz an, schickt Be My Eyes eine Nachricht an mehrere Freiwillige. Der erste, der antwortet, empfängt eine Videoübertragung von der Kamera an der Rückseite des Handys des blinden oder sehbehinderten Nutzers. Dann kann schnelle Hilfe geleistet werden, beispielsweise

  • um verlorene oder heruntergefallene Gegenstände zu finden, Farben abzustimmen oder zu beschreiben,
  • durch Vorlesen von Etiketten beim Einkauf oder
  • um sich mit neuen Umgebungen vertraut zu machen, an einem neuen Ort zu bewegen etc.

Selbstverständlich können sich auch Apothekenteams hierbei beteiligen. Fast noch wichtiger ist aber, Betroffene auf die Existenz solcher Möglichkeiten aufmerksam zu machen.

Kommunikation mit Blinden und Sehbehinderten

„Kann ich es Ihnen zeigen?“, „Auf Wiedersehen, man sieht sich?“, „Sollen wir uns das gemeinsam anschauen?“ – auch im Umgang mit einem blinden oder sehbehinderten Menschen müssen Sie diese Sätze nicht zwangsläufig vermeiden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein blinder Mensch zu Ihnen sagt: „Das habe ich noch nie gesehen, können Sie mir das zeigen?“ Blinde Menschen verbinden diese Begriffe nicht unbedingt mit dem Augenlicht oder mit der Sehkraft, sondern mit einer Begegnung, einem Ertasten eines Gegenstandes oder einer Beschreibung der Situation. Dennoch sind besonders bei älteren sehbehinderten Menschen auch diese Ausdrücke mit Vorsicht zu verwenden. Ältere neu erblindete und multimorbide Patienten leiden unter dieser Situation häufig besonders, denn nicht nur die Sehkraft, sondern auch die generell nachlassende Mobilität, andere Erkrankungen und zudem nicht selten Schwerhörigkeit machen das Älterwerden sehr schwer.

Reden Sie mit den Menschen – nicht über sie hinweg. Auch wenn der blinde oder sehbehinderte Kunde mit einer Begleitung in der Apotheke erscheint, sprechen Sie ihn direkt an: Schauen Sie ihn an, wenn Sie mit dem Betroffenen reden, und nicht die Begleitperson. Fragen Sie den Kunden direkt, ob er über die Medikation Bescheid weiß, und nicht etwa: „Weiß Ihr Mann, wie man die Medikamente einnimmt?“ oder „Sind Ihrem Mann die Medikamente bekannt?“. Blinde und Sehbehinderte merken es, wenn Sie sie ansprechen oder aber an ihnen vorbeireden. Suchen Sie Blickkontakt!

Tauschen Sie keine Präparate gegen Rabattartikel aus. Seh­behinderung ist eine plausible Erklärung für pharmazeutische Bedenken. Ein Austausch könnte durch Verwechslungen die Gesundheit des Patienten gefährden. Blindenschrift („Braille“) auf dem Umkarton ist zwar Pflicht bei Arzneimitteln – allerdings beherrschen viele ältere Patienten, die neu erblindet oder sehbehindert sind, die Brailleschrift nicht.

Geben Sie Ihrem Kunden einen Tipp für die Dosierung von Tropfen oder Säften. Tropfen kann man mit dem Tropfenzähler abmessen (erhältlich im Blindenversandhandel) oder in einen leeren Plastikbecher (zum Beispiel leeren Joghurtbecher) tropfen lassen und abzählen, sofern die Hörfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Bei Säften: Markieren Sie dem Kunden die Menge, die aufgezogen werden muss, auf dem Kolben einer Spritze, die Sie ihm dazugeben. Bei mitgelieferten Messbechern schauen Sie zusammen mit dem Kunden nach, ob die Markierung am Becher tastbar ist.

Bieten Sie Unterstützung an – und warten Sie die Antwort ab. Bieten Sie Unterstützung an, fragen Sie, ob Hilfe erwünscht ist und ob Sie den Kunden zur Tür führen dürfen. Fassen Sie die Person nicht ungefragt an! Fragen Sie beim Ortswechsel, beispielsweise wenn Sie den Kunden zur Tür oder zum Beratungsraum führen möchten: „Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?“

Kommunizieren Sie besser zu viel als zu wenig. Gerade für blinde Menschen ist es wichtig, dass Sie kommunizieren und erklären, was Sie gerade tun. Das fängt bei der Begrüßung an oder wenn Sie den Kunden draußen sehen. Gehen Sie nicht einfach wortlos vorbei mit dem Gedanken „er hat mich eh nicht bemerkt“. Sagen Sie: „Hallo, Herr Meier, ich bin’s, Frau Dikta aus der Apotheke!“ Wenn Sie das Rezept entgegennehmen, sagen Sie, was Sie gerade tun: „Ich schaue jetzt, ob wir alles vorrätig haben. Ja, wie ich sehe, das erste Medikament haben wir da. Ich schaue jetzt weiter nach den anderen Präparaten etc.“ Geben Sie Bescheid, wenn Sie Ihren Platz verlassen, um zum Beispiel Medikamente aus dem Lager zu holen. Damit vermeiden Sie, dass Ihr Kunde sich weiter mit Ihnen unterhält, weil er denkt, Sie seien noch da.

Sprachliche Sorgfalt ist wichtig. In der Kommunikation kommt es auf Feinheiten an und Worte oder bestimmte Begriffe können als Diskriminierung verstanden werden. Reden Sie nicht von „Behinderten“, sondern besser von „behinderten Menschen“ oder „Menschen mit Behinderung“. Die Behinderung ist nur ein Merkmal von vielen – beschreiben Sie die Person, wenn Sie mit anderen Menschen über sie sprechen, nicht ausschließlich als „der blinde Mann“ oder „die Mutter des blinden Mädchens“.

Ist Ihre Webseite barrierefrei?

Handys sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: Auch ältere Menschen nutzen zunehmend Handys und Internet, um an Informationen zu gelangen und auch um einzukaufen. Für Blinde oder stark Sehbehinderte kann das Internet eine sehr wichtige Kontaktmöglichkeit mit ihrer Apo­theke darstellen, vorausgesetzt ist allerdings, dass die Webseite barrierefrei ist.

Die meisten Handys haben inzwischen eine integrierte Spracheingabe und Sprachausgabe, die das Versenden von E-Mails und Nachrichten via Kurznachrichtendienst sowie die Nutzung der Social Media Plattformen problemlos möglich machen.

Handys, die über diese Funktionen verfügen, können alle Nachrichten, die Sie auf Ihrer Webseite publizieren, dem Kunden vorlesen und ermöglichen zudem die Nutzung von Apps. Falls Sie als Apotheke Vorbestell-Apps oder Plattformen anbieten, überprüfen Sie die Barrierefreiheit dieser Anwendungen.

Kundenbindung durch umfassende Beratung

Informieren Sie blinde und seh­behinderte Menschen sowie deren Angehörige über die Möglichkeiten, die moderne Technologie anbietet. Seien Sie hellhörig, wenn Kunden Ihnen sagen: „Ihre Kundenzeitschrift brauche ich nicht, ich kann die kleine Schrift nicht mehr lesen.“ Schauen Sie, was Sie tun können, um die Lebensfreude und Qualität der Kunden zu verbessern. Und auch wenn viele Hilfsmittel für Blinde nicht über die Apotheke zu beziehen sind, durch Ihre Beratung binden Sie eine sehr dankbare und treue Kundengruppe an sich. |

Tatiana Dikta, B.Sc. Psychologie, Lehrassistentin an der PTA-Schule, PTA

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.