Arzneimittel und Therapie

„Kosteneinsparung ein statistisches Artefakt“

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. Martin Smollich

Prof. Dr. Martin Smollich,Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein.

Die Schlagzeilen der Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums klingen sensationell: 30.000 weniger Krebstote pro Jahr allein durch Vitamin-D-Supplementierung. Schaut man sich die Ergebnisse an, sind sie aus ernährungsmedizinischer Sicht allerdings viel weniger überraschend, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Zunächst handelt es sich nicht um Ergebnisse einer klinischen Studie mit Vitamin-D-Supplementen, sondern um gesundheitsökonomische Modellrechnungen. Berechnungsgrundlage ist die Hypothese, dass eine Vitamin-D-Supplementierung von 1000 IE pro Tag die Krebssterblichkeit insgesamt um 13% senken kann. Diese Zahl stammt aus der Metaanalyse von Keum et al. (2019). Der Knackpunkt ist dabei die Unterscheidung zwischen Krebsinzidenz und Krebssterblichkeit: Während in der zugrunde gelegten Studie eine Vitamin-D-Supplementation nämlich die Krebssterblichkeit tatsächlich um 13% reduzierte, war sie ohne Einfluss auf die Krebsinzidenz (Relatives Risiko [RR] = 0,98; 95%-KI: 0,93 bis 1,03, p = 0,42) [Keum et al. 2019]. Das heißt: Eine Vitamin-D-Supplementierung hat keinen Effekt darauf, an Krebs zu erkranken (Krebsinzidenz), aber bei bestehender Krebserkrankung sinkt die Sterblichkeit durch Anwendung von Vitamin-D-Supplementen (Krebsmortalität). Diese Unterscheidung ist essenziell, denn die meisten Leserinnen und Leser werden aufgrund der Meldungen vermuten, eine Vitamin-D-Supplementation schütze vor der Krebserkrankung an sich.

Der unterschiedliche Effekt von Vit­amin D auf Krebsinzidenz und -mor­talität ist seit Langem bekannt und schlägt sich auch in der ernährungsmedizinischen Praxis nieder. Nicht nur ältere epidemiologische Studien, sondern auch neue genombasierte Studien haben gezeigt, dass es keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Vitamin-D-Konzentration im Blut und dem individuellen Krebsrisiko gibt [Dimitrakopoulou et al. 2017]. Eine unspezifische Einnahme von Vitamin D ist daher keine sinnvolle Strategie der Krebsprävention. Anders sieht es bei Krebspatienten aus: Hier sinkt die krebsspezifische Mortalität, wenn sie optimal mit Vitamin D versorgt sind – und das bedeutet in aller Regel eine Supplementierung. Gründe hierfür sind die bei sehr gutem Vitamin-D-Status bessere Verträglichkeit der onkologischen Therapie, weniger Wundheilungsstörungen, weniger opportunistische Infekte, weniger Fatigue und möglicherweise sogar eine reduzierte Metastasierung (fraglich). All dies wirkt sich natürlich günstig auf die Krebsmortalität aus.

HR = Hazard Ratio [nach Gaksch et al. Vitamin D and mortality: Individual participant data meta-analysis of standardized 25-hydroxyvitamin D in 26916 individuals from a European consortium. PLOS one 2017. doi:10.1371/journal.pone.0170791]

Vitamin-D-Status bestimmen

Eine Vitamin-D-Supplementation verhindert also zwar nicht die Krebsentstehung, verbessert aber oft erheblich die Prognose von Patienten mit bestehender Krebserkrankung. Die ernährungsmedizinische Empfehlung bzw. Praxis ist deshalb klar: Kein Vitamin D zur Krebsprävention, aber bei Krebs­patienten auf jeden Fall den Status bestimmen und zur Erreichung des Zielkorridors von etwa 30 bis 50 ng/ml (s. Abb.) ggf. supplementieren (was bei den meisten Patienten erforderlich ist). Dabei wird allerdings auch deutlich, dass die aus der Modellrechnung abgeleitete Kosteneinsparung ein statistisches Artefakt ist: Da die Vitamin-D-Supplementierung die Krebsinzidenz nicht senkt, sondern die Prognose von Krebspatienten verbessert, fallen deren Behandlungskosten ja trotzdem an – nur eben später. Für den einzelnen Patienten ist das zwar ein entscheidender Punkt, in Bezug auf die realen Kosten macht das aber keinen Unterschied. |

Literatur

Dimitrakopoulou VI et al. Circulating vitamin D concentration and risk of seven cancers: Mendelian randomisation study. BMJ 2017;359:j4761

Keum N et al. Vitamin D supplementation and total cancer incidence and mortality: a meta-analysis of randomized controlled trials. Ann Oncol. 2019;30(5):733-43

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