Arzneimittel und Therapie

Fahrtauglichkeit nach Cannabis-Konsum

THC und CBD auf dem Prüfstand

Ist die Fahrtauglichkeit durch Cannabis-Konsum beeinträchtigt und wenn ja, wie lange? Diese Frage hat ein niederländisches Forscherteam in einer Studie untersucht. Dabei wurde auch getestet, ob es Unterschiede zwischen dem Konsum von THC und CBD gibt.

Untersuchungen zufolge starben im Jahr 2013 weltweit ­geschätzt 8700 Menschen bei Verkehrsunfällen, weil sie sich nach dem Konsum von Cannabis ans Steuer gesetzt ­hatten. Die meisten Studien zu den Auswirkungen von ­Cannabis auf die Fahrtauglichkeit konzentrierten sich bisher auf den euphorisierenden Inhaltsstoff ­Tetrahydro-cannabinol (THC). Doch auch das Cannabinoid Cannabidiol (CBD) kann die Konsumenten sedieren und beispielsweise Somnolenz hervorrufen, wodurch die Fahreignung beeinträchtigt wird.

Foto: lassedesignen – stock.adobe.com

Real-Life-Bedingungen Es erscheint fraglich, ob diese Untersuchung eines niederländischen Forscherteams in einem anderen Land genehmigt worden wäre: Das Stu­diendesign sah vor, dass 26 Probanden mit einer Geschwindigkeit von 95 km/h insgesamt acht einstündige Testfahrten auf einer Autobahn nahe Maastricht absolvieren, nachdem sie Cannabis oder ein Placebo geraucht hatten. Begleitet wurden sie von ­einem Fahrlehrer, der jederzeit mittels eigenem Gaspedal oder Bremse in das Fahr­geschehen eingreifen konnte.

Cannabidiol als ­„THC-Antagonist“?

Es gibt begrenzte Hinweise aus Untersuchungen die vermuten lassen, dass bei gleichzeitiger Einnahme von Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol das CBD die euphorischen Effekte von THC zu reduzieren vermag. Dagegen haben andere Studien gezeigt, dass Cannabidiol die negativen Wirkungen von Tetrahydrocannabinol verstärken oder sie zumindest nicht abmildern konnte. Ausführlich wurde dieser ­Aspekt in ­einem Beitrag in DAZ 2019, Nr. 49, S. 58, Herdegen T. „Pharmako-legendär! Cannabis – die Pharmakologie“ beleuchtet.

Wie Cannabis-Rauchen die ­Fahreignung ­beeinflusst

Eine Studie von Arkell TR et al., die kürzlich in der amerikanischen Fachzeitschrift „JAMA“ publiziert worden war, hatte das Ziel, die Wirkung des Cannabis-Rauchens auf die Fahreignung zu untersuchen. Es handelt sich um eine doppelblinde, randomisierte, klinische Crossover-Studie, die zwischen Mai 2019 und März 2020 an der Fakultät für Psychologie und Neurowissenschaften der Universität Maastricht (Niederlande) durchgeführt worden war. Eingeschlossen wurden 26 körperlich und psychisch gesunde Probanden mit einem mittleren Alter von rund 23 Jahren, darunter 16 Frauen, die gelegentlich Cannabis konsumierten. Sie waren seit mindestens zwei Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis und fuhren pro Jahr mindestens 2000 Kilometer. Im Studienzeitraum nahmen sie keine Arzneimittel ein, die die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen konnten.

Rauchen nach Protokoll

Die Studienmedikation wurde aus der Cannabis-Sorte „Bedrocan“ hergestellt. Während der Gesamtgehalt an Cannabinoiden in der Placebo-Mischung unter 0,2% lag, waren die drei anderen Zubereitungen auf Gehalte von 13,75 mg THC, 13,75 mg THC plus 13,75 mg CBD und 13,75 mg CBD eingestellt worden (s. Tab). Nach dem Verdampfen der Droge bei 200 °C inhalierten die Probanden den Rauch nach ­einem festgelegten Protokoll. Sofern sie sich danach zum Autofahren in der Lage fühlten, absolvierten sie zwei Testfahrten auf einer Autobahn in der Nähe von Maastricht: die erste begann 40 Minuten, die zweite 240 Minuten nach dem Konsum. Die Teilnehmer fuhren dabei 60 Minuten lang mit einer konstanten Geschwindigkeit von 95 km/h auf der rechten Fahrbahn, wobei eine auf dem Autodach montierte Kamera die seitliche Abweichung von der Fahrspur (standard deviation of lateral position in lane, SDLP) registrierte, den primären Endpunkt der Studie. Diese Maßeinheit hat sich zur Beurteilung einer durch Alkohol oder Drogen beeinträchtigten Fahrtauglichkeit bewährt. Zum Vergleich: Eine erhöhte seitliche Abweichung von der Fahrspur zwischen 2,4 und 2,5 cm im Vergleich zum Nüchternzustand ist typisch für einen Fahrer mit einem Blutalkoholwert von etwa 0,5 Promille.

Tab.: Veränderung der seitlichen Abweichung von der Fahrspur im Vergleich mit Placebo nach der ersten und zweiten Testfahrt (95%-Konfidenzintervalle)
Cannabinoid-Gehalt der Studienmedikation
Veränderung der seitlichen Abweichung [cm] nach dem Konsum in einem Zeitraum von
40 bis 100 Minuten
240 bis 300 Minuten
THC 13,75 mg
+2,33 cm
(0,080 bis 3,86) p < 0,001
+0,51 cm
(-1,01 bis 2,02) p > 0,99
THC 13,75 mg + CBD 13,75 mg
+2,83 cm
(1,28 bis 4,39) p < 0,001
+1,22 cm
(-0,29 bis 2,72] p = 0,20
CBD 13,75 mg
-0,05 cm
(-1,49 bis 1,39) p > 0,99
-0,34 cm (-1,77 bis 1,10) p > 0,99

Begleitet wurden die Probanden von einem lizenzierten Fahrlehrer, der mittels eigenem Gas- und Bremspedal jederzeit in das Fahrgeschehen eingreifen konnte. Zusätzlich hatten die Teilnehmer zu definierten Zeitpunkten vor, zwischen und nach den Fahrten kognitive Tests zu absolvieren und Fragen zur Verträglichkeit des Cannabis zu beantworten. Es wurden außerdem Blutproben entnommen und Parameter wie Blutdruck und Herzfrequenz bestimmt.

Ergebnisse der Studie

22 Probanden (85%) absolvierten alle acht Fahrtests. Verglichen mit Placebo waren die Abweichungen von der Fahrspur zwischen 40 und 100 Minuten bei Konsumenten von THC-haltigem und THC + CBD-haltigem Cannabis signifikant ­höher als unter Placebo. Vier bis fünf Stunden nach dem Konsum konnten jedoch keine Unterschiede mehr fest­gestellt werden. Beim Konsum von CBD-haltigem Cannabis lagen die SDLP-Werte in allen Zeiträumen auf Placeboniveau (s. Tab.).

Cannabidiol nicht verharmlosen

Die Studie hat an einer kleinen Probandenzahl gezeigt, dass das gleichzeitige Rauchen von THC und CBD genauso beeinträchtigend ist wie der Konsum von THC. Dagegen führte das Rauchen von CBD in einem Bolus von knapp 14 mg nicht zu einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit. Dennoch raten die Autoren zur vorsichtigen Interpretation dieser Ergebnisse. Ein Grund ist, dass die in der Studie verabreichten Dosen viel geringer sind als die üblicherweise konsumierten Mengen an THC und CBD. Für medizinische Anwendungen gilt das nicht immer. So wird beispielsweise CBD in Epidyolex®, zugelassen ab zwei Jahren zur adjuvanten Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem Dravet-Syndrom, in der Aufdosierungsphase bereits mit zweimal täglich 2,5 mg/kg Körpergewicht angewendet. Dagegen liegt die typische Wirkdosis von Dronabinol zwischen 5 und 20 mg pro Tag.

Die Autoren eines begleitenden Editorials der Publikation fordern weitere Untersuchungen, an denen auch Personen teilnehmen, die Cannabis regelmäßig konsumieren. Außerdem sollte eine breite Spanne an Dosierungen getestet werden, die sowohl die medizinischen als auch die nichtmedizinischen Anwendungen von Cannabis abdecken.

Konsequenzen für die Praxis: Dürfen Patienten Auto fahren?

Vor vier Jahren hat der Bundestag das Gesetz „Cannabis als Medizin“ beschlossen, im März 2017 war es in Kraft getreten. Seitdem sind in Deutschland Cannabis-Blüten und -Extrakte unter bestimmten Voraussetzungen verordnungsfähig. Das Thema Fahrtauglichkeit nach medizinischer Cannabis-Anwendung hat seither immer wieder für Diskussionen gesorgt und ist auch für die Beratung in der Apotheke relevant. Rechtsanwalt Harald Küper hat in seinem Beitrag in der DAZ 2019, Nr. 3, S. 60 „Droht Cannabis-Patienten der Führerscheinentzug?“ darauf hingewiesen, dass Patienten in der Einstellungs- und Eingewöhnungsphase auf keinen Fall ein Fahrzeug führen sollten, da in dieser Zeit häufig Schwindelgefühle und Müdigkeit auftreten, die die Fahrtüchtigkeit deutlich beeinträchtigen. Darüber hinaus seien Nebenwirkungen wie Tachykardie, Blutdruckabfall, Muskelentspannung und psychotrope Wirkungen möglich. Falls es dann zu Ausfallerscheinungen kommt, mache sich der Patient nicht nur gegebenenfalls strafbar, sondern verliere auch seinen Führerschein. Die Firma Bionorica SE, Hersteller der Rezeptursubstanz Dronabinol, rät dazu, bei Teilnahme am Straßenverkehr eine Kopie des Rezeptes und einen Patientenpass mit sich zu führen. Damit könne die legale Einnahme von THC nachgewiesen werden. Sanktionen können dann nicht verhängt werden, sofern der Patient keine Verhaltensauf-fälligkeiten zeigt. |
 

Literatur

Arkell TR et al. Effect of cannabidiol and Δ9-tetrahydrocannabinol on driving performance. A randomized clinical trial. JAMA 2020;324(21):2177-2186

Cole TB, Saitz R Cannabis and impaired driving. JAMA 2020;324(21):2163-2164

Fachinformation Epidyolex®, Stand Juli 2020

Fahrtauglichkeit bei Einnahme von Dronabinol. Informationen der Spectrum Therapeutics GmbH, www.bionorica-ethics.de/service/patienten/fahrtauglichkeit-bei-einnahme-von-dronabinol

Herdegen T. Pharmako-legendär! Cannabis – die Pharmakologie. DAZ 2020;49:58-71

Herdegen T. Pharmako-legendär! Cannabis – Zwischen Dichtung und Wahrheit. DAZ 2019;36:46-53

Küper H. Droht Cannabis-Patienten der Führerscheinentzug? DAZ 2019;3:60-62

Kurzprofil Dronabinol – Der Wirkstoff aus Cannabis. Informationen der Spectrum Therapeutics GmbH, www.bionorica-ethics.de

Rubin R Driving under the influence of CBD or THC – is there a difference? JAMA 2020;324(21):2144-2145

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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