Arzneimittel und Therapie

Multiresistente Tuberkulose im Visier

Bedaquilin und Delamanid auch bei Hochrisikopatienten wirksam

Multiresistente Tuberkulose steht auf der internationalen Agenda weit oben. Bedaquilin und Delamanid, die 2014 speziell für resistente Formen zugelassen wurden, sind jetzt auch an Hochrisikopatienten erfolgreich getestet worden.

Weltweit erkranken jedes Jahr etwa zehn Millionen Menschen an der Lungenerkrankung Tuberkulose, etwa 1,4 Millionen versterben daran. Somit gehört die Tuberkulose global betrachtet zu den tödlichsten Infektionskrankheiten [1]. Aufgrund der gegebenen medizinischen Möglichkeiten ist die Krankheit in den Industrienationen gut behandel- und kontrollierbar. In Ländern mit schlechterer medizinischer Versorgung dagegen ist die Belastung für die Menschen, die Wirtschaft und die Gesundheitssysteme deutlich zu spüren. Dennoch stellt die Lungenkrankheit auch für Industrienationen ein ernst zu nehmendes Problem dar.

Eine globale Lösung gefragt

Im Jahr 2000 haben sich 1500 Partnerorganisationen aller Länder zusammengetan und das Programm „Stop-Tuberkulose“ ins Leben gerufen. Gemeinsam soll der Lungenkrankheit der Kampf angesagt werden. Erklärtes Ziel ist es, die Inzidenz bis 2035 weltweit um 90% zu senken. Deutschland als Niedriginzidenzland soll zum Beispiel die Fallzahl bis 2035 auf unter einen Fall pro 100.000 Einwohner senken. Da es sich bei Tuberkulose um eine meldepflichtige Erkrankung handelt, verfügt das Robert Koch-Institut über genaue Aufzeichnungen des Infektionsgeschehens hierzulande. Und es zeigt sich, dass es noch ein bisschen dauert, bis die Ziele von Stop-Tuberkulose erreicht werden. 2019 wurden für Deutschland 4.791 Fälle gemeldet (Inzidenz 5,8 Neuerkrankungen pro 100.000) [3]. Im Vergleich mit den Zahlen aus 2018 (n = 5492 Fälle) ist zwar ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Um die angestrebten Ziele jedoch zu erreichen, ist eine jährliche Reduktion von mindestens 10% nötig [1].

Sechs Monate Antibiotika

Tuberkulose ist eine der ältesten bakteriellen Erkrankungen, die wir kennen. Verursacht wird sie durch Mycobakterium tuberculosis. Die häufigste Form manifestiert sich in der Lunge (pulmonale Tuberkulose). Die Bakterien können aber auch andere Organe wie das zentrale Nervensystem, die Lymphknoten, den Urogenitalbereich oder das Perikard befallen (extrapulmonale Tuberkulose). Die medikamentöse Behandlung besteht aus einer Kombination aus mindestens vier verschiedenen Wirkstoffen. Die wohl prominentesten Vertreter sind Rifampicin und Isoniazid. Die normale Tuberkulose lässt sich damit gut behandeln. In der Tabelle ist die von der WHO empfohlene sechs–monatige Standardtherapie für Erwachsene aufgelistet [2].

Tab.: Empfohlene Standardtherapie der Tuberkulose. Die Dreifachtherapie in der Initialphase wird nicht mehr empfohlen. Alle Medikamente sollten von Beginn an, sofern verträglich, gleichzeitig auf nüchternen Magen eingenommen werden. [2]
Phase
Anwendungsdauer
Wirkstoff
Dosierung (mg/kg pro kg
Körpergewicht)
Initialphase
zwei Monate
Isoniazid
5
Rifampicin
10
Pyrazinamid
25
Ethambutol
15
Kontinuitätsphase
vier Monate
Isoniazid
5
Rifampicin
10

Resistente Formen breiten sich aus

Doch mittlerweile stößt auch die Standardtherapie an ihre Grenzen. Immer mehr Erreger sprechen nicht mehr auf Isoniazid und Rifampicin an, und multi-drug-resistente Formen der Tuberkulose (MDR-TB) breiten sich aus. In den letzten fünf Jahren sind etwa 20% mehr multiresistente Tuberkulosefälle verzeichnet worden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass jedes Jahr etwa 500.000 neue Fälle einer MDR-TB auftreten. Auch in Deutschland ist die Resistenzlage ernst zu nehmen: Im Jahr 2019 lag der Anteil an Erkrankungen mit multiresistenten Bakterienstämmen laut Robert Koch-Institut bei 2,6% (n = 87) [3].

Therapiemöglichkeiten begrenzt

Zu beachten ist, dass multiresistente Tuberkulose-Formen nur schwer zu therapieren sind. Die bisherige The­rapie ist eine zermürbende 18- bis 24-­monatige Behandlung. Mit einer Erfolgsquote von lediglich etwa 55%. Neue Ansätze sind daher notwendig. Die Pipeline der Tuberkulose-Therapeutika war die letzten 50 Jahre quasi leergefegt. 2014 dann der erste Hoffnungsschimmer: Bedaquilin und Delamanid wurden von der Euro­päischen Kommission zugelassen. Sie sollen eine wirksame und weniger toxische Behandlung der multiresistenten Tuberkulose ermöglichen. Bedaquilin (Sirturo®, Janssen-Cilag), das über 24 Wochen ein­genommen wird, bindet an die Untereinheit der spezifischen Adenosin-5-triphosphat(ATP)-Synthetase, eines essenziellen Enzyms von M. tuberculosis zur Energiegewinnung. Bedaquilin wirkt so bakterizid sowohl auf aktiv replizierende als auch auf dormante (ruhende) Mykobakterien. Durch den neuen Wirkmechanismus weist es auch bei komplexen Resistenzsituationen noch ausreichend Wirksamkeit auf [4]. Delamanid (Deltyba®

, Otsuka) ist ein Nitro-Dihydro-Imidazooxazol und hemmt die Synthese der Mykolsäure, einem wichtigen Bestandteil der bakteriellen Zellwand. Aufgrund möglicher QT-Zeit-Verlängerungen unter dem Arzneimittel, sollen regelmäßige EKG-Kontrollen durchgeführt werden [5]. Beide Arzneimittel dürfen nur in Kombination mit weiteren Notfall-Tuberkulose-Antibiotika (z. B. Fluorchinolone, Aminoglykoside, Polypeptidantibiotika) unter strenger Berücksichtigung des Resistenzmusters eingesetzt werden. Die WHO bietet hierzu eine Richtlinie an, in der sie je nach vorliegenden Resistenzen Therapieempfehlungen ausspricht [6].

Pretomanid - Licht am Horizont gegen resistente Formen?

Im August 2020 hat die europäische Kommission eine bedingte Marktzulassung für ein weiteres Antibiotikum (noch nicht auf dem deutschen Markt eingeführt) gegen die hochresistente Form der Tuberkulose erteilt. Bei Pretomanid handelt es sich um ein Nitroimidazooxazin, das bei Patienten mit extrem resistenter Tuberkulose (XDR-TB) oder multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) eingesetzt werden kann, die eine vorherige Therapie nicht vertragen oder nicht darauf angesprochen haben. Es handelt sich um ein Prodrug, das durch bakterielle Enzyme von M. tuberculosis in die aktive Form überführt wird. Der genaue Wirkmechanismus ist unklar. Vermutet wird, dass es zum einen den Zellwandaufbau stört, zum anderen über die Bildung von Stickstoffoxid bakterizid wirkt. Pretomanid darf nur in der Kombination mit Bedaquilin und Linezolid (BPaL-Schema) über einen Therapiezeitraum von sechs Monaten eingesetzt werden. Zulassungsstudie war die Nix-TB-Studie, in der Pretolamid an 109 Probanden mit XDR-Tuberkulose oder MDR-Tuberkulose getestet worden war. Nach sechs Monaten war die Therapie bei 89% der Probanden erfolgreich. Als häufigste Nebenwirkungen wurden periphere Neuropathien, Übelkeit und Anämien genannt.

Pretomanid FGK, Summary of Product characteristics, Informationen der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA), Abruf am 05. Februar 2021

Wirksam auch bei Risikopatienten?

Die Erkenntnisse aus randomisierten Studien und Beobachtungsstudien haben die Rolle von Bedaquilin und Delamanid in der Behandlung von multiresistenten Tuberkuloseformen in den letzten Jahren weiter untermauert: Die WHO hat ihren Einsatz befürwortet, und die Patientenpopulationen, in ­denen sie eingesetzt werden können, wurden schrittweise erweitert. Das ist wichtig, denn Patienten mit multiresistenter Tuberkulose leiden häufig an Begleiterkrankungen (z. B. Infektionen mit dem Humanen Immundefizienz-­Virus und/oder dem Hepatitis-C-Virus, Diabetes mellitus), die das Resistenzrisiko weiter erhöhen und zugleich die Heilungschancen weiter erniedrigen. Forscher um Franke et al. sind der Frage nachgegangen, ob Bedaquilin und Delaminid bei diesen vulnerablen Patientengruppen, die oft von Studien ­ausgeschlossen werden, ebenfalls zu erfolgreichen Therapieergebnissen ­f­ühren. In der prospektiven Kohortenstudie wurden speziell Hochrisiko­patienten aus 16 Ländern, die aufgrund einer multiresistenten Tuberkulose mit Bedaquilin oder Delaminid enthaltenden WHO-Schemata behandelt wurden, untersucht. Ein vor Kurzem veröffentlichtes Paper berichtet über die Zwischenergebnisse zur allgemeinen Wirksamkeit der beiden Therapeutika [7].

Auch HIV-Patienten profitieren

In die Auswertung wurden Patienten eingeschlossen, die zwischen 2015 und 2018 mit der Antibiotika-Therapie begonnen hatten und bei denen eine positive Sputumkultur nachgewiesen wurde. Primärer Endpunkt war die Sputumkulturkonversion, definiert als zwei aufeinanderfolgende negative Abstriche im Abstand von mehr als 15 Tagen innerhalb des Behandlungszeitraums von sechs Monaten. Insgesamt 1109 Patienten erhielten eine Kombinationstherapie mit Bedaquilin (63%), Delamanid (27%) oder beiden Arzneimitteln (10%). Die Ergebnisse sind wie erwartet gut: Eine Sputumkulturkonversion konnte bei 939 Patienten (85%) innerhalb der ersten sechs Monate nachgewiesen werden. Etwas schlechter sah es bei Patienten mit HIV aus. Sie hatten eine marginal geringere Chance auf eine Sputumkonversion (Odds Ratio [OR]: 0,73, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,62 bis 0,84) als Patienten ohne HIV (OR: 0,84; 95%-KI: 0,79 bis 0,90; p = 0,03). Dennoch sind das gute und wichtige Ergebnisse. Erwartet wurde zudem, dass Diabetiker schlechter auf die Therapie ansprechen. Aufgrund vorhandener Leberschäden ging man auch bei Hepatitis-C-Patienten davon aus, dass die Therapeutika nicht im gleichen Maße ansprechen. Erstaunlicherweise konnte diese Assoziation jedoch nicht gesehen werden. Hierzu müssten weitere Studien durchgeführt werden.

Bedaquilin und Delaminid haben sich also über alle Patientensubgruppen hinweg als wirksam in der Behandlung der multiresistenten Tuberkulose erwiesen. Das lässt hoffen. Nun ist es wichtig, so die Forscher um Franke, dass der Zugang zu beiden Wirkstoffen weltweit ermöglicht wird [7]. |

Literatur

[1] Welttuberkulosetag 2020 - Fortschritte und Ziele, Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts vom 12. März 2020

[2] Schaberg T et al, S2k-Leitlinie: Tuberkulose im Erwachsenenalter, Pneumologie 2017; 71:325-397

[3] Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland, Informationen des Robert Koch-Instituts, 24.September 2020

[4] Bedaquilin, Dossier zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V, Modul 1, Informationen des G-BA, Stand: Februar 2020

[5] Delamanid: Behandlungsleitfaden für Ärzte, Informationen des BfArM, Version 01/2021

[6] WHO Consolidated Guidelines on Tuberculosis, Module 4: Treatment – Drug-Resistant Tuberculosis Treatment, Stand: Juni 2020

[7] Franke, M F, et al, Culture Conversion in Patients Treated with Bedaquiline and/or Delamanid: A Prospective Multi-country Study, American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine 2020

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

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