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Kongresse
Gemeinsam mit unseren Mikroben besser leben
Seminar der DPhG und Apothekerkammer Hamburg
Der Veranstaltungstitel folgte der geläufigen Bezeichnung der Mikroorganismen eines Menschen als Mikrobiom. Im ursprünglichen Wortsinn bezeichnet dies die Gene dieser Mikroorganismen, die insgesamt die Mikrobiota bilden, erklärte Prof. Dr. Samuel Huber in seinem Vortrag. Bei der Begrüßung machten die Gastgeber auf das Jubiläum der Veranstaltung aufmerksam – es war die 25. Auflage des jährlich stattfindenden gemeinsamen Fortbildungsseminars. Moderator Prof. Dr. Sebastian Wicha betonte, dass auch diese nun virtuelle Veranstaltung unter dem Dach der Universität Hamburg stattfand, weil sie die Server zur Verfügung gestellt hat. Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen erklärte, dass die Veranstaltung stets Themen im Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis betrachte und eine „Quelle der Erkenntnis“ sei.
Empfindliche Gemeinschaft
Prof. Dr. Dr. Thomas Bosch, Kiel, betonte, dass Pflanzen und Tiere in einer Umwelt entstanden sind, die schon Milliarden Jahre zuvor durch Mikroben dominiert wurde. Das Prinzip von Signaltransduktionswegen sei bereits in Mikroben entstanden. Der Mensch bilde mit seinen Mikroben eine komplexe Gemeinschaft, die als Gesamtheit – als Holobiont – funktioniere. Auch die Evolution wirke auf diese Gesamtheit. Gelegentlich würden menschliche Zellen auf ein Signal von Mikroben warten und sie würden gestört, wenn dies ausbleibe. Wenn die Balance zwischen dem Menschen und den Mikroorganismen gestört ist, erkranke der Mensch. Bosch sieht plausible Hinweise, dass die vermehrte Häufigkeit von chronisch-entzündlichen Erkrankungen in den vorigen 50 Jahren auf Lebensstilveränderungen beruhen, die wiederum das Mikrobiom der Menschen verändert haben. Das gelte sogar für psychische Erkrankungen, weil ein gestörtes Mikrobiom auch zu Neuroinflammation führe. Außerdem könne es vom Mikrobiom abhängen, ob jemand bei gegebener Nahrungsmittelzufuhr dick wird oder nicht. Doch für die Therapie helfen diese Erkenntnisse bisher kaum weiter, denn „wir wissen nicht, was ein gesundes Mikrobiom ist“, beklagte Bosch. Stuhltransplantationen haben sich in vielen Fällen als erfolgreich erwiesen, aber es ist nicht bekannt, wer ein gesunder Donor ist. Erst recht fehlen Ansätze für die gezielte Beeinflussung des Mikrobioms. Das gelte sogar für Probiotika. Es sei nicht einmal in allen Fällen sicher, dass diese nicht schaden, erklärte Bosch. Vermutlich liegt dieses Unwissen daran, dass es keine pauschalen Antworten gibt. Vielmehr ist das Mikrobiom offenbar so individuell, dass auch die Behandlungen nur individuell sein können. Die Forschung richtet sich daher verstärkt auf individuelle Muster des Mikrobioms, die durch standardisierte Analysen mithilfe künstlicher Intelligenz ermittelt werden.
Das Mikrobiom sei auch als Teil des Immunsystems zu verstehen und schütze den Menschen vor Pathogenen, erklärte Bosch. Es führe zu einer Kolonisierungsresistenz gegenüber Pathogenen. Außerdem hätten keimfreie Versuchstiere viele Defekte. Die Unterschiede im Mikrobiom verschiedener Menschen könnten wahrscheinlich in vielen Fälle erklären, weshalb Arzneimittel individuell unterschiedlich gut wirken. Dies wird in der Pharmakomikrobiomik erforscht. Dabei geht es insbesondere darum, wie Mikroorganismen ein Arzneimittel verändern, bevor es seinen Wirkort erreicht.
Bedeutsame Diversität
Wesentlich für die Funktion des Mikrobioms ist offenbar seine Diversität, die durch eine vielfältige Umwelt und zahlreiche soziale Kontakte entsteht. Doch Hygiene, Antibiotika, soziale Isolation, Entzündungen und Immunreaktionen verringern die mikrobielle Vielfalt. Daher mahnte Bosch, den Einsatz von Antibiotika jeweils kritisch zu überdenken. Die verstärkten Hygienemaßnahmen in der Pandemie könnten das Problem verschärfen. Bosch forderte daher „Hygiene mit Köpfchen“, fürchtet aber, dass bei den derzeit nahezu keimfrei aufwachsenden Kindern in einigen Jahren mehr chronische Erkrankungen auftreten.
Antibiose mit Bedacht
Prof. Dr. Barbara Stecher-Letsch, München, bekräftigte die große Bedeutung der interindividuellen Unterschiede des Mikrobioms. Ein Mensch wird auf der Haut und den Epithelien seiner inneren Organe von etwa 100 Billionen Mikroben besiedelt, die etwa zwei Kilogramm wiegen. Als Bestandteile des Mikrobioms sind über 10.000 Arten bekannt, aber die jeweilige Zusammensetzung ist individuell wie ein Fingerabdruck und an verschiedenen Stellen unterschiedlich. Stecher-Letsch beklagte die dünne Studienlage zur Frage, wie verschiedene Antibiotika das Mikrobiom schädigen. Insbesondere über die meist anaeroben Darmbakterien sei wenig bekannt. Doch sprechen Studien für besonders starke Effekte durch Vancomycin, Clindamycin, Makrolide und Tetracycline. Nach einer Antibiose bestehe die Gefahr einer Sekundärinfektion, weil die Kolonisierungsresistenz sinke. Bei einer Stammzelltransplantation leide die Diversität des Mikrobioms, das dann oft durch typischerweise pathogene Keime dominiert werde. Dann sei die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten geringer.
Stecher-Letsch sieht immer mehr Bestätigungen für die lange bekannte „Hygienehypothese“, nach der Kinder für ihre Entwicklung den Kontakt zu „Dreck“ benötigen. Besonders wichtig sei die mikrobielle Umgebung, wenn Kinder erstmals feste Nahrung zu sich nehmen. Diese Reaktion des Immunsystems wird als weaving reaction bezeichnet, weil dieser Zeitpunkt englisch weaving genannt wird. Dann sei der Einsatz von Antibiotika besonders problematisch, und ein Effekt zu dieser Zeit sei später nicht mehr rückgängig zu machen.
Variabilität und Individualität
Prof. Dr. Samuel Huber, Hamburg, ergänzte, dass auch andere Arzneimittel als Antibiotika in vivo oder in vitro erhebliche Effekte auf die Zusammensetzung des menschlichen Mikrobioms gezeigt hätten, insbesondere Azathioprin, Mesalazin, Metformin, Protonenpumpenhemmer, nicht-steroidale Antirheumatika, Progesteron und Östrogene. Huber betonte die vielfältigen Einflussgrößen, die das Mikrobiom verändern können, beispielsweise Art und Menge der Nahrung, Tageszeit und Umgebung. Denn abhängig vom Klima und der Höhenlage leben unterschiedliche Mikroben. Huber beschrieb weitere Beispiele für interindividuelle Unterschiede, die vermutlich durch das Mikrobiom zu erklären sind. Demnach verändern Süßstoffe das Mikrobiom mancher Versuchstiere so, dass Glucose zu einem stärkeren Blutzuckeranstieg führt. Außerdem erhöhe rotes Fleisch zwar im Durchschnitt die Gefahr für entzündliche Erkrankungen, bei manchen Menschen aber nicht. Der Jo-Jo-Effekt nach Reduktionsdiäten beruhe auf einem „Gedächtnis“ des Mikrobioms, das Menschen und Versuchstiere bei anschließender Nahrungszufuhr mehr als vorher zunehmen lasse. Es sei nicht nur relevant, was die Menschen essen, sondern auch wann sie das tun. Huber riet zu regelmäßigem Essen. Die nächtliche Nahrungskarenz sollte jeweils etwa zur gleichen Zeit stattfinden, empfahl Huber. Wechselnde Schichtarbeit sei daher problematisch. Zugleich relativierte Huber die pauschale Empfehlung „steinzeitlicher“ Diäten, denn die Menschen in der Steinzeit seien nicht alt geworden.
Praktische Anwendung
Besonders bedeutsam sei die mikrobielle Besiedlung des Darms bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und beim Kolonkarzinom. Eine Stuhltransplantation könne dafür sorgen, dass ein Patient für die Therapie von Morbus Crohn ansprechbar werde. Auch das Ansprechen auf Biologikatherapien könne vom Mikrobiom abhängen. Ein Ansatz für praktische Anwendungen sei, eine standardisierte Analyse des Mikrobioms mit künstlicher Intelligenz auszuwerten, um personalisierte Ernährungspläne zu erstellen. Das wirke in Studien nicht besser als allgemeine Diätempfehlungen, aber die personalisierten Pläne seien viel weniger restriktiv. Sie würden nur die individuell problematischen Nahrungsmittel ausschließen und seien daher besser umsetzbar.
Im Anschluss an die Fachvorträge vermittelte Monika Raulf, Buxtehude, Apothekerin und Coach, einige Ideen, um fachliche Inhalte in Beratungsgesprächen erfolgreich zu vermitteln. Sie empfahl, bewusst geeignete Überleitungen und sprachliche Muster zu nutzen. |
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