- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 47/2021
- Tirzepatid senkt HbA1c ...
Arzneimittel und Therapie
Tirzepatid senkt HbA1c und lässt die Pfunde purzeln
Duales Wirkprinzip überzeugt
Inkretine sind gastrointestinale Hormone, welche in Abhängigkeit der Nahrungsaufnahme die Insulin-Sekretion steuern. Dazu zählen das Glucagon-like-Peptide-1 (GLP-1) und das Gastric-Inhibitory-Peptide (GIP). Neben der Insulin-Ausschüttung fördert GLP-1 auch die Hemmung der postprandialen Glucagon-Freisetzung und verzögert die Magenentleerung – das Sättigungsgefühl nimmt zu. Dabei kann GIP die Wirkung von GLP-1 ergänzen, indem es die Nahrungsaufnahme verringert und den Energieumsatz steigert, was eine Gewichtsreduktion begünstigen kann. Mittlerweile ist bekannt, dass bei Typ-2-Diabetikern die postprandiale Inkretin-Sekretion vermindert ist. Arzneistoffe, die als Rezeptoragonisten die Wirkung von GLP-1 imitieren, sind bereits auf dem Markt (z. B. Semaglutid). Tirzepatid ist ein dualer Rezeptoragonist, der sowohl an GLP-1- als auch an GIP-Rezeptoren bindet. Dadurch lassen sich effektiv der Blutzuckerspiegel und das Körpergewicht senken. Im Rahmen des SURPASS-Studienprogramms der Firma Lilly wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Tirzepatid als Mono- oder Kombinationstherapie in zehn Phase-III-Studien überprüft. Die Ergebnisse der ersten drei Studien wurden in „The Lancet“ bzw. im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht und im Rahmen eines Kongresses der American Diabetes Association vorgestellt.
Tirzepatid versus Placebo
In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie (SURPASS-1) wurden im Zeitraum von Juni 2019 bis Oktober 2020 die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tirzepatid im direkten Vergleich zu Placebo untersucht. Die Studie wurde an 52 medizinischen Zentren in Indien, Japan, Mexiko und den USA durchgeführt. Insgesamt nahmen 478 erwachsene Typ-2-Diabetiker teil, deren Blutzuckerwerte unter einer nichtmedikamentösen Therapie nur unzureichend kontrolliert werden konnten. Dabei wiesen die Teilnehmer im Durchschnitt einen HbA1c-Ausgangswert von 7,9%, eine mittlere Diabetes-Dauer von 4,7 Jahren und einen Body-Mass-Index von 31,9 kg/m2 auf. Die Randomisierung erfolgte zu gleichen Teilen; jeweils 121 Teilnehmer erhielten einmal wöchentlich subkutan 5 mg, 10 mg oder 15 mg Tirzepatid und 115 Probanden ein Placebo. Mit 2,5 mg Tirzepatid pro Woche wurde gestartet und anschließend alle vier Wochen um 2,5 mg bis zum Erreichen der endgültigen Dosis gesteigert.
Primärer Endpunkt der Studie war die Reduktion des HbA1c-Wertes nach 40 Wochen. In allen drei Tirzepatid-Gruppen konnte eine signifikante Verbesserung des HbA1c-Wertes (5 mg: -1,87%; 10 mg: - 1,89%; 1 5 mg: - 2,07% ) im Vergleich zu Placebo (+ 0,04%) gezeigt werden. Nach 40-wöchiger Behandlung erreichten mehr als 80% der mit Tirzepatid behandelten Probanden einen HbA1c-Wert ≤ 6,5% - in der Placebogruppe lag der Anteil bei lediglich 10%. Den normoglykämischen Bereich (HbA1c-Wert unter 5,7%) erzielten in der 15-mg-Tirzepatid-Gruppe 52% der Teilnehmer (34% in der 5-mg-Gruppe; 31% in der 10-mg-Gruppe) versus 1% unter Placebo. Auch konnten sich die Teilnehmer der Tirzepatid-Gruppe dosisabhängig über sieben bis 9,5 Kilogramm weniger auf der Waage freuen.
Die am häufigsten unter Tirzepatid berichteten Nebenwirkungen waren milde bis moderate gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Durchfall oder Erbrechen – ähnlich der bekannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Schwere oder klinisch signifikante Hypoglykämien (< 54 mg/dl) traten nicht auf.
Tirzepatid versus Semaglutid
In der offenen, randomisierten Head-to-Head-Studie (SURPASS-2) wurde die Wirksamkeit von Tirzepatid versus Semaglutid, jeweils in Kombination mit Metformin untersucht. Die Studie erfolgte im Zeitraum von Juli 2019 bis Februar 2021 an 128 Zentren u. a. in den USA, Australien und Kanada. Die 1879 Teilnehmer (Durchschnittsalter 56,6 Jahre) litten etwa 8,6 Jahre an Typ-2-Diabetes und hatten unter der Metformin-Therapie keine ausreichende Blutzuckereinstellung erreicht. Der mittlere HbA1c-Ausgangswert lag bei allen Probanden bei 8,28%, das mittlere Ausgangsgewicht bei 93,7 kg. Die Randomisierung erfolgte gleichmäßig auf die vier Behandlungsarme (Tirzepatid 5 mg, 10 mg, 15 mg vs. Semaglutid 1 mg, einmal wöchentlich subkutan). Auch in dieser Studie erfolgte sowohl für Tirzepatid als auch für Semaglutid eine langsame Dosissteigerung von 2,5 mg bzw. 0,25 mg alle vier Wochen bis zum Erreichen der Enddosis.
Primärer Endpunkt war die Reduktion des HbA1c-Wertes nach 40 Wochen. Unter Tirzepatid kam es in allen drei Dosisbereichen zu einer signifikanten Verbesserung des HbA1c-Wertes im Vergleich zu Semaglutid. In der 5-mg-Tirzepatid-Gruppe lag die Reduktion bei - 2,01%, in der 10-mg-Gruppe bei - 2,24% und in der 15-mg-Gruppe bei - 2,30% – unter Semaglutid bei - 1,86%. Je nach Tirzepatid-Dosis erreichten zwischen 69 und 80% der Teilnehmer nach 40 Wochen einen HbA1c-Wert ≤ 6,5%, in der Semaglutid-Gruppe lag der Anteil bei 64%. Einen HbA1c-Wert unter 5,7% erzielten 27 bis 46% der mit Tirzepatid behandelten Probanden versus 19% unter Semaglutid.
Das Verträglichkeitsprofil war zwischen beiden Gruppen ähnlich – am häufigsten traten auch hier leichte bis moderate gastrointestinale Beschwerden auf. Klinisch signifikante Hypoglykämien traten bei zwölf Teilnehmern der Tirzepatid-Gruppen (davon acht in der 15-mg-Gruppe) und zwei Teilnehmern in der Semaglutid-Gruppe auf.
Tirzepatid versus Insulin degludec
In der dritten randomisierten, offenen, multizentrischen (122 Zentren) Phase-III-Studie (SURPASS-3) wurde Tirzepatid in drei Dosierungen (5 mg, 10 mg, 15 mg einmal wöchentlich subkutan) mit titriertem Insulin degludec (einmal täglich subkutan) über 52 Wochen miteinander verglichen. An der Studie, die im Zeitraum zwischen April 2019 und November 2019 stattfand, nahmen 1444 Typ-2-Diabetiker teil, die unter Metformin mit oder ohne SGLT(sodium-glucose linked transporter)-2-Hemmer keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht hatten. Alle Teilnehmer wiesen zu Studiengebinn einen HbA1c-Wert zwischen 7 und 10,5% sowie einen BMI-Wert von mind. 25 kg/m2 auf. Auch hier wurden alle Teilnehmer gleichmäßig auf die vier Behandlungsarme randomisiert; die Dosierung wurde wie in den vorherigen Studien langsam eingeschlichen. Und wieder überzeugte das duale Wirkprinzip: Nach 52 Wochen reduzierte sich der HbA1c-Wert in der 5-mg-Tirzepatid-Gruppe um - 1,93% (10 mg: - 2,20%; 15 mg: - 2,37%) gegenüber - 1,34% unter der Insulin-Therapie. Mit 82 bis 93% (je nach Tirzepatid-Dosis) erreichten deutlich mehr Studienteilnehmer nach 52 Wochen einen HbA1c-Wert unter 7% als unter der Insulin-Gabe (61%). Die Gewichtsreduktion betrug in allen drei Tirzepatid-Gruppen zwischen 7,5 kg und 12,9 kg – während die Insulin-Therapie sogar zu einer Gewichtszunahme von zwei bis drei Kilogramm im Vergleich zum Ausgangszustand führte.
Dafür war die Insulin-Therapie verträglicher: So traten in den mit Tirzepatid behandelten Gruppen häufiger gastrointestinale Beschwerden auf. Das Hypoglykämie-Risiko stieg jedoch unter der Insulin-Gabe – klinisch signifikante Hypoglykämien traten bei 26 Teilnehmern auf versus 17 in den Tirzepatid-Armen.
Fazit
In allen drei Studien konnte Tirzepatid hinsichtlich der HbA1c-Reduktion und der Abnahme des Körpergewichts überzeugen. Das Nebenwirkungsprofil war mit den bereits zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten vergleichbar – am häufigsten traten gastrointestinale Beschwerden vorwiegend während der Dosiseskalation auf. |
Literatur
Hellwig B. Das Inkretin-System – Ziel für neue Antidiabetika; www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2007/daz-26-2007/das-inkretin-system-ziel-fuer-neue-antidiabetika, Abruf am 31. August 2021
Finale Ergebnisse des SURPASS-Studienprogramms auf dem ADA-Kongress präsentiert; Pressemitteilung Lilly Diabetes. verfügbar unter https://downloads.webershandwick.de//Lilly%20Diabetes_Pressemitteilung_Tirzepatid_ADA%20Ergebnisse%20SURPASS%201%2B2.pdf, letzter Zugriff 23. August 2021
Rosenstock J et al. Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2021; 398:143-55
Frias JP. Tirzepatide versus Semaglutide Once Weekly in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2021; 385:503-15
Ludvik B et al. Once-weekly tirzepatide versus once-daily insulin degludec as add-on to metformin with or without SGLT2 inhibitors in patients with type 2 diabetes (SURPASS-3): a randomised, open-label, parallel-group, phase 3 trial. Lancet 2021; doi.org/10.1016/S0140-6736(21)01443-4
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.