Arzneimitteltherapiesicherheit

Digital die korrekte Arzneimittel­anwendung fördern

Erfahrungen aus dem Watch-Pilotprojekt

Lediglich 40% der erwachsenen Deutschen verfügen über eine ausreichende Gesundheitskompetenz, wie der Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 2) belegt. Der größere Teil der Bevölkerung ist nicht in der Lage, Gesundheitsinforma­tionen in angemessener Weise zu finden, auf sie zuzugreifen, sie zu verstehen und/oder zu nutzen.

Um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland einschätzen zu können, wurde der Health Literacy Survey Germany initiiert. 2014 wurde mit dem HLS-GER 1 die erste repräsentative Bevölkerungserhebung veröffentlicht. 2021 wurden mit dem zweiten Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 2) neue Daten ermittelt, die zeigen, dass sich die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland in den letzten sieben Jahren verschlechtert hat. Deutlich wurde auch, dass Gesundheitskompetenz in Deutschland sozial ungleich verteilt ist: Besonders bei Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Sozialstatus, Migrationserfahrung, höherem Lebensalter und mit chronischen Erkrankungen ist die Gesundheitskompetenz im Durchschnitt geringer. Dabei sind eine ausreichende Gesundheitskompetenz, korrektes Wissen zu Arzneimitteln und ein gutes Therapieverständnis wichtig, um Arzneimittel ordnungsgemäß anzuwenden. Zudem sind sie von entscheidender Bedeutung, um die Eigenverantwortung und Beteiligung der Menschen an ihrer Gesundheitsversorgung zu fördern.

Niederländisches Konzept erfolgreich bestätigt

Obwohl bekannt ist, dass Informationen besser und wirkungsvoller durch Bilder, Piktogramme und Videos transportiert werden, stehen die meisten Information zu Arzneimitteln nur in Textform zur Verfügung. Das niederländische Unternehmen Careanima­tions hat digitale Lösungen für Menschen mit begrenzter Gesundheitskompetenz, begrenzten digitalen Fähigkeiten oder begrenzten Sprachkenntnis-sen entwickelt und will durch Videos und Piktogramme Gesundheitsinformationen leicht verständlich gestalten und zudem leicht zugänglich machen. Das Unternehmen hat die Plattform Watchyourmeds entwickelt (für den Patienten lautet die Bezeichnung in Deutschland „Beipackclip“). Auf dieser Plattform sind ca. 8500 animierte Patientenvideos eingestellt, die Informationen zu bestimmten Erkrankungen und Arzneimittelinformationen, die auf den Informationen der Packungsbeilage basieren, thematisieren und in einer für den Patienten leicht verständlichen Sprache übermitteln. Darüber hinaus hat Careanimations eine benutzerfreundliche Verteilungssoftware für medizinisches Fachpersonal (Apotheker, PTA, Ärzte etc.) entwickelt, um den Patienten diese Informationen zugänglich zu machen. Mit dieser Software können dem Patienten in der Apotheke animierte Piktogramme mithilfe eines Tablets gezeigt werden. Ebenso ist der Versand der Beipackclip-Videos an den Patienten via QR-Code oder E-Mail möglich. In den Niederlanden sind die Softwareanwendungen bereits weitreichend etabliert, dort arbeitet Careanimations eng mit Apotheken, Hausärzten und Krankenhäusern zusammen. So führte in den Niederlanden die einmalige Verwendung eines Videos zu 12 bis 25% mehr Wissen über Arzneimittel und entsprechende Erkrankungen, besonders bei Menschen mit geringer Bildung. Das pharmazeutische Personal in den Niederlanden und – viel wichtiger – die Patienten schätzen diese Dienstleistungen sehr. Mithilfe eines Pilot­projektes wurde der Einsatz von Watchandtalk und Watchyourmeds (Beipackclip) auch in deutschen Apotheken erprobt. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit dem Athina-Konzept (Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken) der Apothekerkammer Nordrhein und der Apotheker-Stiftung Nordrhein das Watch-Pilotprojekt mit 114 Apotheken in verschiedenen Bundesländern initiiert. Als Zielgruppe wurden Patientinnen und Patienten mit Diabetes ausgewählt. Den teilnehmenden Apotheken wurden während des Projektzeitraums (ca. vier Monate) Tablets mit (animierten) Piktogrammen und Videos zum Thema Anti­diabetika in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt. Dabei wurden der Nutzen, der Mehrwert und die Wertschätzung der digitalen Anwendungen Watchandtalk und Watchyourmeds (Beipackclip) durch Fragebögen und Feedback von Apotheken und Patienten evaluiert.

Watchandtalk

unterstützt die Apotheken bei der Beratung von Patienten zur Anwendung von Arzneimitteln. Ein Beratungsgespräch kann damit auf einem Tablet begleitet werden, visualisiert durch (teils animierte) Piktogramme werden die wichtigsten Informationen zur Dosierung, richtigen Anwendung, zu Nebenwirkungen und Warnhinweisen erklärt (Abb. 1). Am Ende des Gesprächs kann die Apotheke dem Patienten den Zugang zur Folgeanwendung Watch­yourmeds über einen QR-Code oder einen personalisierten Link via E-Mail ermöglichen.

Foto: Careanimations GmbH

Abb. 1: Animierte Piktogramme vermitteln Einnahmehinweise (z. B. mit einem Glas Wasser schlucken), Hinweise zu möglichen Nebenwirkungen (z. B. Übelkeit) sowie begleitende Hinweise (z. B. keinen Alkohol trinken).

Watchyourmeds

ist eine Plattform mit mehreren Tausend interaktiven, animierten Videos, in denen die wichtigsten Informationen des Beipackzettels in leicht verständlicher, gesprochener Sprache erläutert werden (Abb. 2).

Foto: Careanimations GmbH

Abb. 2: Mit interaktiven Videos werden in leicht verständlicher Sprache die wichtigsten Informationen der Packungsbeilage erklärt.

Die Informationen von Watchandtalk und Watchyourmeds sind nach Geschlecht, Alter, Darreichungsform und Verwendungszweck personalisiert, in den gängigen Sprachen verfügbar und sie basieren vollständig auf den Informationen des Beipackzettels.

Ergebnisse

Feedback der Patienten. Im Rahmen des Watch-Projekts beantworteten 434 Patientinnen und Patienten die Fragen im Bewertungsbogen. Demnach empfanden 85% die Beratung mit Watch­andtalk und Watchandtalk besser als gewöhnlich. Dabei verstanden 95% der Patientinnen und Patienten alle Informationen in den Beipackclip­-Videos. Für neun von zehn Patienten sind die vermittelten, leicht verständlichen Informationen eine wichtige Ergänzung zu den Informationen, die sie normalerweise in der Apotheke erhalten. 97% der Patientinnen und Patienten fühlten sich nach dem Ansehen eines Beipackclips sicher oder sehr sicher, ihre Arzneimittel richtig anzuwenden.

Feedback der Apotheken

. Insgesamt 106 Fragebögen aus 67 Apotheken standen zur Evaluierung zur Ver­fügung. Die Meinungen zu Watchandtalk und Watchyourmeds, die in Multiple-Choice-Fragen und offenen Fragen ermittelt wurden, sind mit 91% und 81% positiven Bewertungen außer­ordentlich zufriedenstellend (Abb. 3). Die Qualität der Inhalte der Care­animations-Produkte bewerteten 85% der Apotheken als positiv. Über 80% der Apotheken waren der Meinung, dass die Careanimations-Produkte gut zur Digitalisierung im Gesundheitswesen passen und einen Mehrwert für die Vor-Ort-Apotheke darstellen. Den ausführlichen Ergebnisbericht zum Pilotprojekt finden Sie unter www.careanimations.de und www.aknr.de/Watch. Oder Sie geben in die Suchfunktion auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-­zeitung.de den Webcode X6UJ4 ein und gelangen direkt zum Ergebnis des Watch-Projekts.

Abb. 3: Gesamtniveau der Wertschätzung von Watchandtalk und Watchyourmeds.

Schlussfolgerungen

Die positiven Ergebnisse des Pilotprojekts decken sich mit den Erfahrungen aus den Niederlanden, wo die Produkte mittlerweile von 96% aller Apotheken verwendet werden. In einem nächsten Schritt ist nun zu überlegen, wie diese positiven Ergebnisse zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung in Deutschland genutzt werden können. Ziel ist es, die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten zu verbessern, die richtige Einnahme von Arzneimitteln sicherzustellen, die Bindung der Patienten an die Vor-Ort-Apotheke zu festigen und so auch die Position der Apotheke vor Ort gegenüber den Online-Konkurrenten zu stärken. |

Literatur

Schaeffer D, Berens E-M, Gille S et al. Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 2). Universität Bielefeld 2021, Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung, doi:10.4119/unibi/2950305

Apothekerin Carina John, PharmD,

Apotheker Jesper Spoelder, MSc

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