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Praxis
Den Vorsprung ausbauen
Welche Chancen Abgabeautomaten, Telepharmazie und E-Rezept den Vor-Ort-Apotheken bieten
Der Medizintechnik-Konzern Becton Dickinson (BD), Konzernmutter des Kommissionierautomaten-Anbieters Rowa Germany, publizierte im Jahr 2020 die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur Apotheke vor Ort. Hierzu wurden über 1.000 deutschsprachige Privathaushalte im gesamten Bundesgebiet befragt, die Teilnehmer waren mindestens 14 Jahre alt. Die Befragung erfolgte auf telefonischem Wege vom 15. bis 18. Mai 2020, also in Zeiten des ersten Corona-Lockdowns. 55 Prozent der Befragten bestätigten, dass die COVID-19-Pandemie ihr Apotheken-Einkaufsverhalten nicht verändert habe. Dabei gaben 10 Prozent an, dass sie die Apotheke vor Ort telefonisch, per Chat oder Mail kontaktiert hätten, und immerhin 9 Prozent, dass sie den Botendienst in Anspruch genommen haben. Lediglich 5 Prozent der Befragten gaben zu, auf Online-Bestellmöglichkeiten von Versandapotheken ausgewichen zu sein, was einem ähnlichen Wert von 4 Prozent entspricht, bei dem die Befragten die Nutzung einer Vorbestell-App der Vor-Ort-Apotheke angaben.
Ganz besonders schätzen die Deutschen an ihren Vor-Ort-Apotheken offenbar die schnelle Beschaffung von Arzneimitteln, die Beratung und dabei fachliche Kompetenz sowie den persönlichen Kontakt: So gaben 83 Prozent der Befragten an, dass sie die Beratung dort zu schätzen wissen, 80 Prozent dass die Apotheke eine wichtige lokale Institution ist, und immerhin noch 70 Prozent, dass man seiner Apothekerin, seinem Apotheker vertraut.
Befragt zu den Wünschen für die Zukunft in der Vor-Ort-Apotheke wurde am häufigsten (43 Prozent der Befragten) eine Abholmöglichkeit rund um die Uhr geäußert. Weitere Wünsche bestanden in einer diskreteren, individuelleren Beratung (38 Prozent), einer schönen, angenehmen Einkaufsatmosphäre (35 Prozent), Online-Bestellmöglichkeiten (30 Prozent) sowie einem breiten Produktsortiment (30 Prozent).
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die Apotheken vor Ort, wider den allgemeinen Handelstrends, insgesamt sehr gut positioniert sind. Während Handelssegmente wie Elektronik, Textil und sogar Lebensmittel durch den Internetversandhandel enorm unter Ergebnisdruck stehen und permanent zu Schließungen von Filialen gezwungen sind, haben Vor-Ort-Apotheken nach wie vor sehr gute Zukunftsaussichten, sofern sie mit der Zeit gehen und das gewünschte Serviceangebot darstellen können.
Mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz, das zum 15. Dezember 2020 in Kraft getreten ist, erfolgte eine Erweiterung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) um § 17 (1b), welcher sogenannte automatisierte Ausgabestationen zur Bereitstellung, Aushändigung und Ausgabe von Arzneimitteln explizit erlaubt. Allerdings müssen einige Punkte bei der Umsetzung beachtet werden:
- Die Bestückung muss durch das Personal der Apotheke erfolgen,
- die Arzneimittel müssen bei der Apotheke bestellt worden sein,
- eine Beratung muss bereits stattgefunden haben,
- die Dokumentationspflichten gemäß § 17 (5) und (6) müssen beachtet und eingehalten werden, und
- die Arzneimittel sind für jeden Empfänger getrennt zu verpacken und jeweils mit dessen Namen und Anschrift zu versehen.
Der Gesetzgeber hat den Paragrafen bewusst so formuliert, um ähnliche Konstrukte wie im „Fall Hüffenhardt“ oder einen spontanen „Straßenverkauf“ zu verhindern, da keine Dritten bzw. Nicht-Apothekenpersonal die sogenannten automatisierten Ausgabestationen bestücken dürfen und die Arzneimittel zuvor in der Apotheke bestellt worden sein müssen.
Neu ist, dass die erforderliche Beratung auch auf dem Wege der Telekommunikation stattfinden kann. Dies eröffnet der Vor-Ort-Apotheke die klassische fernmündliche Telekommunikation wie das Telefon zu nutzen. Neuere Kommunikationskanäle wie z. B. Videochats könnten somit auch genutzt werden.
Mit dem Einbau einer automatisierten Ausgabestation wird das Apothekenteam beim Nachlieferungsprozess entlastet und die Möglichkeiten zur Abholung für die Kunden und Kundinnen auf 24 Stunden erweitert.
Typisierung der Ausgabestationen
Mittlerweile ist ein recht vielfältiges Angebot an Ausgabestationen im Markt vorhanden, die Auswahl des jeweiligen Automaten richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Apotheken-Standorts. Technisch verfügen alle Typen in der Regel über eine gewisse Grundausstattung, die eine Temperierung ermöglicht, so dass die nach ApBetrO zwingend erforderlichen Lagerbedingungen zu jeder Zeit eingehalten werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, bei Bestückung der Abholfächer den Kunden und Kundinnen per E-Mail und/oder SMS einen Abholcode zuzusenden.
Prinzipiell können die Ausgabestationen in drei verschiedene Typen unterschieden werden (vgl. Tab.): Es existieren einfache Geräte, die im Prinzip eine erweiterte Notdienstklappe darstellen, bis hin zu komplexen Geräten, die an die Kommissionierautomaten der Apotheke angeschlossen werden können.
Erweiterte Notdienstklappen | Ein-Klappen-Systeme stand-alone | an Kommissionierautomaten gebundene Systeme | |
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Vorteile |
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Nachteile |
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Erweiterungsmöglichkeiten | + | ++ | +++ |
Empfehlung | breit sortierte Apotheken mit geringer Anzahl an Nachlieferungen | kommen für nahezu alle Apotheken infrage, auch ohne Kommissionierautomaten | bereits gut automatisierte Apotheken, mit Anbindung an technisch aktuelles Kommissionierautomaten-System |
Erweiterte Notdienstklappensysteme
Häufig werden diese Systeme mit den bestehenden Notdienstklappen kombiniert. So verfügt die Edelstahlfront über zumindest sechs Abholklappen mit unterschiedlichen Fachgrößen. Die Systeme werden manuell durch die Rückseite mit Abholtüten befüllt, und Kunden bzw. Kundinnen können durch die manuelle (Codeeingabe per Tastenfeld) oder digitale (Scannen eines Barcodes) Eingabe eines Abholcodes ein Fach der erforderlichen Größe öffnen. Die Systeme sind technisch relativ einfach zu realisieren, im einfachsten Fall sind die Klappen über rein mechanische Mechanismen zu öffnen.
Die Lösung ist zwar vergleichsweise einfach, aber für kleinere Apotheken-Standorte mit gut sortierten Warenlagern und nur wenigen Nachlieferungen sicherlich ein interessanter und vor allem kostengünstiger Einstieg in das erweiterte Serviceangebot.
Ausgabestationen als Ein-Klappen-Systeme und stand-alone-Lösung
Eine technisch aufwendigere Lösung stellen die so in diesem Artikel bezeichneten Ein-Klappen-Systeme dar, die auch mit einer Notdienstklappe kombiniert werden können. Bei diesen Ein-Klappen-Systemen werden die abzuholenden Arzneimittel ebenfalls von der Rückseite der Ausgabestation in unterschiedlich große Abholfächer eingelagert, die aber keine Klappen nach außen haben. Nach der Eingabe des erforderlichen Abholcodes fallen die Arzneimittel in ein dafür vorgesehenes Abholfach und können durch die Kunden bzw. Kundinnen entnommen werden. Sollte ein Arzneimittel nicht entnommen und vergessen worden sein, wird dieses zeitgesteuert in ein Rückläuferfach in die Apotheke zurückgeführt. Somit ist ein vergessenes Arzneimittel vor dem Zugriff Dritter geschützt.
Dieser Typ der Ausgabestationen ermöglicht in der Regel die Einlagerung und Abgabe von mehr Abholungen und zudem die Koppelung an (elektronische) Bezahlsysteme. Außerdem bieten entsprechende Anbieter unter Umständen eine direkte Anbindung an die Kommissionierautomaten der Apotheke.
An Kommissionierautomaten gebundene Ausgabestationen
Eine technische Erweiterung der Ein-Klappen-Systeme stellen die bereits an die Kommissionierautomaten gebundenen Ausgabestationen dar. Hier werden die abzuholenden Packungen direkt im Kommissionierautomaten gelagert und bei der Eingabe des Abholcodes über eine (externe) Fördertechnik zu der Ausgabeklappe transportiert. Die gemeinsame Lagerung von Handelsware und abzuholenden Artikeln wird bisher von den Überwachungsorganen als kritisch gesehen. Aus diesem Grund separieren die Kommissionierautomaten-Anbieter in der Regel die Abholfächer in den Kommissionierautomaten und lagern die Artikel nur unter definierten Abholcodes, und nicht deren Pharmazentralnummer ein! Zudem muss die ApBetrO eingehalten werden, und die Packungen müssen mit Patientennamen und Adresse versehen werden. Sollte der Kommissionierautomat über Kühlfächer verfügen, ist sogar die 24-Stunden-Abgabe von Kühlartikeln denkbar.
Perspektivisch ist sicherlich damit zu rechnen, dass zumindest der Verkauf von Nicht-Arzneimitteln per Bestell-App, Online-Shop oder andere Medien möglich ist. Sollte diese Möglichkeit in Zukunft gegeben sein, kann die Apotheke zeitnah in diesen Absatzkanal einsteigen.
Was muss beachtet werden?
Die Frage steht im Raum: Welche Ausgabestation ist für die jeweiligen Kunden-Anforderungen die richtige? Grundsätzlich sollte bedacht werden, wie hoch die aktuelle, aber auch die zukünftige benötigte Kapazität ist.
Des Weiteren könnte in Zukunft die Abgabe von Artikeln, zumindest aus dem Nicht-Arzneimittel-Sortiment, beispielsweise über einen Online-Shop möglich sein. Auch hier sollte eine technische Erweiterungsmöglichkeit machbar sein.
Einbindung Bezahlsysteme, zusätzliche Verkaufsmöglichkeiten
Die Einbindung eines (Online-)Bezahlsystems sollte zumindest in Vorbereitung vorgesehen sein. Somit können die Kunden und Kundinnen die Zuzahlungen bzw. Mehrzahlungen für rezeptpflichtige Arzneimittel leisten. Außerdem sollte man die Verkaufsmöglichkeit von Nicht-Arzneimitteln als Option zur Nachrüstung vorsehen. Zwingend erforderlich ist der Einsatz eines Bezahlsystems, welches mit der aktuellen Kassenverordnung kompatibel ist.
Anbindung Kommunikationssysteme
Durch die weitere Digitalisierung der Branche ist über eine weitere Nachrüstung nachzudenken. In Zukunft könnte die Kommunikation über Kamera und einen Bildschirm mit den Kunden möglich werden. Dies kann sowohl im Notdienst, bei anwesendem Personal, als auch außerhalb der Öffnungszeit für Beratungs- und Verkaufsgespräche neue Möglichkeiten eröffnen.
Empfohlenes Vorgehen
Die Apothekenleitung muss sich bewusst machen, dass die Investition in eine Ausgabestation sich in einem deutlich fünfstelligen Bereich bewegt. Insofern sollte man die technische Lösung für zumindest eine Dekade betrachten, und dies muss auch bei der Konzeption beachtet werden.
Es empfiehlt sich, die Kundenbedürfnisse in einer eigenen kleinen Erfassung herauszufinden, um die aktuell benötigte Kapazität möglichst sicher zu bestimmen. Dies kann auf einfachem Wege, mit einer einzelnen Frage und einer simplen Strichliste erfolgen. Unter Umständen ist ein Praktikant oder eine Praktikantin an so einer kleinen Marktstudie interessiert? Eine Befragung dieser Art sollte allerdings über einige Wochen stattfinden, um eine gewisse statistische Signifikanz zu erhalten. Im Zweifelsfall kann die aktuelle durchschnittliche tägliche Anzahl an Nachlieferungen als maximale Kapazität herangezogen werden.
Trotz allem sollten über den aktuellen Bedarf Erweiterungen eingeplant werden, auch wenn diese zunächst Mehrkosten verursachen, die sich aber in der Zukunft durchaus rentieren können.
Lastenheft und Abfrage mehrerer Angebote
Nach der Bestimmung der individuellen Anforderungen für den jeweiligen Apotheken-Standort empfiehlt sich die Erstellung eines kurzen Lastenhefts, in dem die Anforderungen schriftlich fixiert werden. Auf der Basis dieses Anforderungskatalogs können Angebote bei diversen Herstellern und Anbietern eingeholt werden und eine optimale Lösung gefunden werden. Zwar spielt der Preis eine Rolle, doch sollte man immer die Nutzungsdauer von unter Umstände mehreren Dekaden dabei bedenken. Mehrkosten von beispielsweise 5000 Euro, bei einer angenommenen Nutzungsdauer von 20 Jahren bedeuten lediglich 250 Euro jährlicher Mehraufwand oder kaum mehr als 20 Euro pro Monat. |
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