Arzneimittel und Therapie

Helfen Probiotika bei Reizmagen?

Das Potenzial der sporenbildenden Bacillus-Arten

Die funktionelle Dyspepsie, auch Reizmagen genannt, stellt einen vielfältigen Symptomenkomplex dar – von Bauchschmerzen über Völlegefühl und Übelkeit ist alles dabei. Das Krankheitsbild ist für die Betroffenen sehr belastend und führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität – trotzdem sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. In einer aktuellen Studie wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von sporenbildenden Probiotika untersucht – mit vielversprechendem Ergebnis.

Mehr als 10% der Bevölkerung leiden unter den Symptomen einer funktionellen Dyspepsie – Tendenz steigend. Dabei wird nach den Rom-IV-Kriterien von einer funktionellen Dyspepsie gesprochen, wenn eines oder mehrere der folgenden Symptome vorliegt:

  • postprandiales Völlegefühl
  • vorzeitige Sättigung
  • epigastrischer Schmerz/Brennen

Die Symptome müssen seit mindestens drei Monaten bestehen und mindestens sechs Monate vor der Diagnose aufgetreten sein. Dabei ist der Reizmagen eine Ausschlussdiagnose – Hinweise auf eine organische Erkrankung müssen durch eingehende Untersuchungen einschließlich einer Ösophago-Gastro-Duodenoskopie ausgeschlossen sein.

Die funktionelle Dyspepsie wird in zwei Untergruppen gegliedert:

  • das postprandiale Distress-Syndrom (PDS): mehrmals pro Woche unangenehmes Völlegefühl nach dem Essen bzw. vorzeitige Sättigung,
  • das epigastrische Schmerzsyndrom (epigastric pain syndrome, EPS): mehrmals pro Woche Schmerzen oder Brennen im Epigastrium.

Begleitend können Übelkeit, Sodbrennen oder Gefühl des Aufgeblähtseins im Oberbauch auftreten. Die Pathophysiologie ist noch nicht komplett verstanden, basiert aber unter anderem auf einer Akkommodationsstörung des Magens durch eine verminderte Relaxation des Fundus, einer viszeralen Hypersensitivität und damit einhergehenden verzögerten Magenentleerung und entzündlichen ­Veränderungen.

Foto: Estevao/AdobeStock

Sporenbildende Probiotika überleben im Vergleich zu traditionellen Probiotika aufgrund ihrer magensaftresistenten Endosporen besser im Darm und sind daher besser wirksam, so die Hypothese der Wissenschaftler.

Wenig Therapieoptionen

Die Behandlungsoptionen sind rar und meist nicht ausreichend effektiv. Die Basistherapie basiert unter anderem auf Veränderungen des Lebensstils und Optimierung der Ernährungsgewohnheiten. Als Arzneimittel werden in der Regel Säureblocker, Metoclopramid/Domperidon und Phytopharmaka (z. B. Iberogast®) eingesetzt. Die Suche nach Alternativen ist groß – so wurde in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie an der Universitätsklinik in Leuven, Belgien, die Wirksamkeit von sporenbildenden Probiotika (s. Kasten) bei funktioneller Dyspepsie als Mono- oder Add-on-Therapie zur Protonenpumpenhemmer-Langzeiteinnahme (im Durchschnitt 3,14 Jahre) untersucht. Die Forscher vermuteten, dass sporenbildende Probiotika im Vergleich zu traditionellen Probiotika aufgrund ihrer magensaftresistenten Endosporen besser im Darm überleben und daher besser wirksam sind.

Sporenbildende Probiotika

Foto: Paulista/AdobeStock

Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO versteht man unter Probiotika „lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in ausreichender Menge verabreicht werden, dem Wirt einen gesundheitlichen Nutzen bringen“. In diese Kategorie fallen verschiedene Bakterienarten – vor allem Lactobacillus- und Bifidobacterium-Species – aber auch Hefen. Einige Gattungen (z.B. Bacillus) sind dabei in der Lage, durch Sporenbildung auch den widrigsten Außenbedingungen standzuhalten. So schützen eine mehrschichtige Hülle und ein geringer Wassergehalt nicht nur vor extremen Temperatur- und pH-Wert-Schwankungen, sondern auch vor chemischen Einflüssen und sogar radioaktiver Strahlung. Unterschieden wird zwischen Exo- und Endosporen, wobei letztere im Gegensatz zu Exosporen im Inneren des Bakteriums gebildet werden. Sobald sich die Milieubedingungen verbessern, kann sich aus der Endospore wieder ein aktives Bakterium bilden.

Zwei Bacillus-Species im Test

Die Studie wurde von Juni 2019 bis März 2020 durchgeführt, insgesamt wurden 68 Patienten mit funktioneller Dyspepsie, definiert nach den Rom-IV-Kriterien mit normaler Endoskopie inklusive Ausschluss einer Helicobacter-pylori-Infektion, eingeschlossen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 40 Jahren; 75% waren Frauen, und die Hälfte nahm einen Protonenpumpenhemmer ein. Nach einer 1:1-Randomisierung bekamen 32 Probanden über acht Wochen zweimal täglich probiotische Kapseln mit den beiden Stämmen Bacillus coagulans MY01 und Bacillus subtilis MY02. Dabei enthielt jede Kapsel 2,5 × 109 koloniebildende Einheiten (KBE) von Endosporen und Malto­dextrin. Die Vergleichsgruppe (n = 36) bekam zweimal täglich Placebo-Kapseln mit reinem Maltodextrin. Alle Patienten wiesen zu Studienbeginn auf der Leuven-Postprandial-Distress-Skala einen postprandialen Distress-Syndrom(PDS)-Wert von ≥ 1 auf. Primärer Endpunkt war eine Reduktion um mindestens 0,7 Punkte.

Vielversprechende Ergebnisse

Nach achtwöchiger Behandlung war die klinische Ansprechbarkeit bei den Teilnehmern, die Probiotika einnahmen, höher als in der Placebo-Gruppe (12 von 25 [48%] vs. 6 von 30 [20%]; ­relatives Risiko 1,95 [95%-Konfidenzintervall: 1,07 bis 4,11]; p = 0,028).

Innerhalb der Probiotika-Gruppe gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen der Monotherapie oder der zusätzlichen Einnahme eines PPI. Die Erniedrigung des EPS-Scores war nach acht Wochen Probiotika-Einnahme signifikant, aber nicht unter Placebo. Die Ergebnisse der Scores aus dem Fragebogen zu Symptomen des oberen Gastrointestinaltrakts (PAGI-SYM) und einem Fragebogen zur Lebensqualität bei gastrointestinalen Erkrankungen (PAGI-QOL) waren in beiden Gruppen ähnlich.

Entzündungsmarker nehmen ab

Die klinischen Effekte der Probiotika-Therapie sind assoziiert mit einer Erhöhung der Zahl an Stuhlbakterien – eine proportionale Zunahme an Faecalibacterium und Roseburia. Positiv war auch zu sehen, dass nach 16 Wochen Probiotika-Einnahme der Entzündungsmarker Interleukin 17 (IL-17)und die Anzahl der Th17-Zellen sanken – ein mögliches Indiz für die klinische Wirksamkeit der Probiotika.

Sowohl unter der Probiotika-Einnahme als auch unter Placebo wurde über unerwünschte Ereignisse berichtet (5 von 32 [16%] vs. 12 von 36 [33%]). Am häufigsten traten gastrointestinale Beschwerden und grippeartige Symptome auf. Des Weiteren kam es während der Studie zu zwei schwerwiegenden Ereignissen (Appendizitis und Synkope), die laut den Studienautoren jedoch nicht im Zusammenhang mit der Studienmedikation standen – Todesfälle traten nicht auf.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie sind viel­versprechend – so könnte die Einnahme von sporenbildenden Probiotika, welche eine höhere gastrointestinale Stabilität aufweisen, zukünftig eine neue Therapieoption darstellen. Die Studie unterstreicht den potenziellen Nutzen von Probiotika bei funktioneller Dyspepsie und gibt Anlass zur Durchführung größerer, multizentrischer klinischer Studien. |

Literatur

Endospore. Informationen der DocCheck Community GmbH. https://flexikon.doccheck.com/de/Endospore

Hill et al. The International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics consensus statement on the scope and appropriate use of the term probiotic. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 11, 506–514 (2014). https://doi.org/10.1038/nrgastro.2014.66

Pehl C et al. Funktionelle Dyspepsie. Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie. www.neurogastro.de/unterrichtsmaterial.html

Wauters L et al. Efficacy and safety of spore-forming probiotics in the treatment of functional dyspepsia: a pilot randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Gastroenterol Hepatol 2021;6:784-6792

Apothekerin Dr. Martina Wegener

Das könnte Sie auch interessieren

Innoval® FD – Therapieansatz bei funktioneller Dyspepsie

Neues aus der Mikrobiomforschung

Der Zusammenhang von Adipositas und Mikrobiom

Probiotika zum Abnehmen?

Beratungstipps für Patienten mit Reizdarmsyndrom

An Symptomen kurieren

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. med. Thomas Frieling

Probiotika – Fluch und Segen

Therapie des Reizdarmsyndroms sollte symptomorientiert erfolgen

Leiden mit vielen Gesichtern

Therapie sollte symptomorientiert erfolgen

Reizdarmsyndrom – ein Leiden mit vielen Gesichtern

Imipramin lindert dyspeptische Beschwerden

Mit Antidepressiva den Magen beruhigen

Probiotika für die Gesundheit einsetzen

Bakterien nutzen

Aktualisierte Behandlungsempfehlungen anhand dominanter Beschwerden

Neues zum Reizdarmsyndrom

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.