DAZ aktuell

Europa fasst einen Plan gegen Krebs

Fokus auf Präventionsmaßnahmen gerichtet

Tumorerkrankungen zählen in Europa zu den häufigsten Ursachen für Tod, Krankheit und Behinderung. Das geht nicht nur mit enormem persönlichem Leid einher, auch die Belastung für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt ist hoch. Die Europäische Kommission will mit einem „Plan gegen Krebs“ die Herausforderung für die ganze Gesellschaft fokussieren.

2020 diagnostizierten Ärzte in der Europäischen Union bei 2,68 Millionen Menschen eine neue Tumorerkrankung. Etwa 1,26 Millionen Patienten starben an den Folgen einer Krebserkrankung. Das geht aus den Schätzungen des Joint Research Centre (JRC) der Europäischen Kommission hervor. Die meisten neuen Tumore bei Frauen traten an der Brust auf (28,7%), gefolgt vom Darm (12,2%) und der Lunge (9,1%). Männer erkrankten am häufigsten an Prostatakrebs (23,2%), Lungenkrebs (14,2%) und Darmkrebs (13,2%). Andere oft betroffene Organe sind die Gebärmutter, Haut und Blase. Dabei ergeben sich nationale Unterschiede. So ist die Mortalitätsrate in vielen osteuropäischen Ländern höher als im Rest der EU-27. Gleichzeitig bestätigt sich, dass Krebs eine Alterserkrankung ist. Von den neuen Fällen traten 62% bei Menschen über 65 Jahren auf. Diese Altersgruppe hatte mit 76% auch die meisten Todesfälle zu verzeichnen. Um zu verhindern, dass Krebs eines Tages in der EU die Herz-Kreislauf-­Erkrankungen als führende Todesursache überholt, hat die EU-Kommission Anfang des Jahres den Europe‘s Beating Cancer Plan beschlossen.

Foto: To Studio/AdbobeStock

Europe‘s Beating Cancer Plan

Mit ihrem Plan möchte die EU sowohl Initiativen zur Prävention und frühen Diagnose von Tumorerkrankungen auf den Weg bringen, als auch die Behandlungsmöglichkeiten ausbauen. Außerdem soll die Lebensqualität von Krebspatienten und -überlebenden verbessert werden. Dazu stehen insgesamt vier Milliarden Euro bereit: Zwei Milliarden Euro stammen vom Horizon Europe Framework Programme for Research and Innovation, das auch andere Projekte zum Thema Gesundheit finanziert. Weitere 1,25 Milliarden stehen im Rahmen des EU4Health-Programms zur Verfügung. Außerdem fließen insgesamt 500 Millionen Euro des Europäischen Instituts für Technologie, des Erasmus+-Programms und der Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahmen in die Krebsforschung. Zu guter Letzt stellt auch das Digital Europe Programme 250 Millionen Euro speziell für digitale Investitionen im Gesundheitsbereich bereit. Doch was genau soll mit all dem Geld erreicht werden?

Leitinitiativen zur Digitalisierung und Datensammlung

Besondere Signalwirkung sollen zehn Leuchtturmprojekte (Flagship Initiatives) haben, die in den kommenden Jahren gestartet werden. Eines davon ist das Knowledge Centre on Cancer (KCC) innerhalb des Joint Research Centres, das bereits im Juni 2021 ins Leben gerufen wurde. Es soll wissenschaftliche Initiativen zur Krebsbekämpfung innerhalb der EU koordinieren. Außerdem wird es den Ausbau von IT-Infrastruktur und die Digitalisierung des Gesundheitssektors unterstützen. Das KCC soll auch zur zweiten Leitinitiative beitragen: die European Cancer Imaging Initiative soll 2022 starten. Ziel ist es, Forschern und Ärzten europaweit einen Atlas mit anonymisierten, krebs-bezogenen Bildern zugänglich zu machen. Der Gesundheitssektor sammelt große Mengen an Daten, die aber noch nicht effektiv genutzt werden. Die digitale Analyse dieser Daten mittels Hochleistungscomputern und künstlicher Intelligenz soll vorangetrieben und Screening-Algorithmen entwickelt werden. Das European Cancer Information System (ECIS), das Informationen zu Inzidenz und Mortalität verschiedener Krebserkrankungen sammelt, soll erweitert werden.

Foto: andrea/AdobeStock

Tabak und Alkohol als Krebsauslöser Der Verbrauch soll durch Verteuerung und Beschränkungen reduziert werden: Bis 2040 sollen weniger als 5% der Menschen rauchen, gefährlicher Alkoholkonsum soll bis 2025 um mindestens 10% reduziert werden.

Ziel muss es sein, Krebs vorzubeugen

Rund 40% der Krebserkrankungen in der EU könnten verhindert werden. Bildung ist hier der Schlüssel. Daher liegt ein Fokus des Plans darauf, in der Bevölkerung das Bewusstsein für risikoreiche Lebensweisen zu wecken. Bis 2040 soll beispielsweise eine tabakfreie Generation hervorgebracht werden, in der weniger als 5% der Menschen rauchen. Ein ambitioniertes Ziel angesichts der Tatsache, dass heute etwa 25% der EU-Bevölkerung raucht. Erreicht werden soll es unter anderem durch Besteuerung von Tabakprodukten, Verbot von Geschmacksstoffen und die Beschränkung von Tabakwerbung im Internet und den sozialen Medien. Auch Alkoholkonsum trägt zur Krebsentstehung bei und soll bekämpft werden. Ziel ist es, gefährlichen Alkoholkonsum bis 2025 um mindestens 10% zu reduzieren. Besteuerung von alkoholischen Getränken und Einschränkungen für Werbung sollen vor allem junge Menschen vom Trinken abhalten. Außerdem sollen Etiketten auf Getränken ab 2023 mit Gesundheitswarnungen über die gesundheitlichen Folgen von Alkoholkonsum bedruckt werden. Weiterhin will die EU-Kommission auf den positiven Einfluss von gesunder Ernährung und physischer Aktivität aufmerksam machen. Besonders die Aufnahme von verarbeitetem, rotem Fleisch und stark gesüßten Lebensmitteln soll zugunsten einer pflanzen­basierten Ernährung verringert werden. Gruppen mit niedrigem sozio-ökonomischem Status sollen gezielt angesprochen werden, z. B. mit der HealthyLifestyle4All-Kampagne, die im September startete. Seit Ende August gelten in Europa zudem verschärfte Grenzwerte für Blei und Cadmium in Lebensmitteln. Beide Metalle sind krebserregend und gelangen als Umweltkontaminanten in die Nahrung. Der maximal erlaubte Blei-Gehalt in Salz liegt jetzt bei 1 mg/kg statt zuvor 2 mg/kg. In Wein und Likörwein gilt nun statt 0,2 mg/kg ein Grenzwert von 0,1 bzw. 0,15 mg/kg. In Reis sind statt 0,2 mg Cadmium/kg nur noch 0,15 mg/kg zulässig und verschiedene Früchte und Obst dürfen nur noch 0,02 mg Cadmium/kg statt 0,05 mg/kg enthalten.

Auch Umweltverschmutzung kann Krebserkrankungen begünstigen. Daher sieht der Plan der EU-Kommission eine Reduzierung der Luftverschmutzung vor. Dieses Ziel fügt sich gut ein in die Absichten, emissionsfreie Mobilität zum Klimaschutz zu fördern. Weiterhin soll auch die Exposition gegenüber kanzerogen Substanzen und Strahlung am Arbeitsplatz reduziert werden. Unter anderem schlug die EU-Kommission eine Aktualisierung der Carcinogens and Mutagens Directive (Richtlinie 2004/37/EG) vor. Darin sollen die Arbeitsplatzgrenzwerte für Acrylonitril, Benzol und Nickelverbindungen angepasst werden. Die internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft alle drei Stoffe als karzinogen oder möglicherweise karzinogen für den Menschen ein. Krebserregend beim Menschen sind auch humane Papillomaviren (HPV). Sie verursachen Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, können aber auch bei Männern zu Tumorerkrankungen führen. Hier greift das dritte Flaggschiff im Kampf gegen den Krebs an. Eine Impfung schützt effektiv vor HPV. Bis 2030 sollen mindestens 90% der Mädchen geimpft sein und die Zahl der Impfungen von Jungen signifikant erhöht werden.

Früherkennung flächendeckend etablieren

Wenn es für eine Prävention bereits zu spät ist, sind die Heilungschancen eines Patienten umso größer, je früher der Tumor entdeckt wird. Nicht in allen Ländern haben die Menschen ausreichenden Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen. Die vierte Leitinitiative des Plans sieht vor, dass bis 2025 mindestens 90% der in Frage kommenden Bevölkerungsgruppen ein Angebot zur Vorsorge für Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs bekommen. Die Liste der Zielorgane für eine Krebsvorsorge könnte zudem erweitert werden um Prostata, Lunge und Magen. Hierüber will die EU-Kommission bis Anfang 2022 entscheiden. Leitinitiative Nummer fünf befasst sich mit der Verbesserung von Behandlungsmöglichkeiten. Bis 2025 soll ein flächendeckendes Netzwerk von Krebszentren in der EU die grenzübergreifende Zusammenarbeit fördern und Patienten den Zugang zu innovativen Therapien ermöglichen. Bis 2030 sollen mindestens 90% der Patienten Zugang zu solchen Behandlungszentren haben. Bestehende Ungleichheiten zwischen den Ländern sollen dadurch ausgeglichen werden.

Personalisierte Therapien

Die Cancer Diagnostic and Treatment for All Initiative (Leitinitiative 6) wird mittels DNA-Sequenzierung genetische Profile von Tumorzellen erstellen und den Krebszentren zugänglich machen. Die Diagnose und Therapie von ähnlichen Tumoren soll dadurch europaweit angeglichen werden. Außerdem sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für klinische Studien Ende dieses Jahres angepasst werden, um die Durchführung neuer Studien zu erleichtern. Genaue Kenntnisse der genetischen Profile von Tumoren sind zudem entscheidend für personalisierte Krebstherapien. Diese sollen im Rahmen des europäischen Plans vorangetrieben werden. Die siebte Leit­initiative European Initiative to Under­stand Cancer (UNCAN.eu) und das Genomic for Public Health Projekt sollen große Mengen genomischer Daten für Forscher zugänglich machen. Durch die Identifizierung von genetischen Prädispositionen sollen individuelle Risikobewertung und gezielte Prävention für Einzelpersonen ermöglicht werden.

Gut Leben auch nach einer Krebserkrankung

Wer eine Krebserkrankung überlebt hat, steht vor weiteren Herausforderungen. Eine Zytostatika-Therapie geht oft mit langfristigen unerwünschten Wirkungen einher. Viele Krebspatienten haben Schwierigkeiten bei der Rückkehr ins Berufsleben. Probleme wie diese sollen in der achten Leitinitiative, der Better Life for Cancer Patients Initiative, adressiert werden. Ab 2022 soll Patienten eine freiwillige Cancer Survivor Smart Card zur Verfügung stehen, die die klinische Vorgeschichte zusammenfasst. Folgebehandlungen sollen so besser koordiniert werden. Außerdem sollen Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme auf den Weg gebracht werden, um Patienten eine bessere Fortführung ihres Berufs zu ermöglichen. Familienangehörige, die in die Pflege eingebunden sind, sollen entlastet werden. Weiterhin will die EU-Kommission ein Register der Ungleichheiten bei der Krebsbekämpfung (Leitinitiative 9) schaffen, um Gründe für Ungleichheiten zwischen bestimmten Gruppen und Regionen zu finden und zu beseitigen. Krebserkrankungen im Kindesalter sind zwar selten, wenn sie auftreten aber für die betroffenen Kinder und ihre Angehörigen besonders dramatisch. Im Jahr 2020 erkrankten in der EU immerhin etwa 15.500 Kinder an Krebs und 2000 starben an den Folgen. Die zehnte Leitinitiative widmet sich diesem Thema (Helping Children with Cancer Initiative) und sieht die Bildung eines EU-weiten Netzwerks junger Krebsüberlebender vor.

Bei der Krebsentstehung spielen viele Faktoren eine Rolle und nicht jede Erkrankung lässt sich verhindern. Die EU möchte daher eine breite Palette von Maßnahmen auf den Weg bringen, um der erwarteten großen Zahl an Krebserkrankungen in den kommenden Jahrzehnten Herr zu werden. Besonders digitale Technologien und personalisierte Therapien werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Ende 2024 soll die Umsetzung des Plans geprüft und eventuell zusätzliche Schritte eingeleitet werden. |

Literatur

Europe‘s beating Cancer Plan. Europäische Kommission 2021, https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/non_communicable_diseases/docs/eu_cancer-plan_en.pdf

European Cancer Information System. https://ecis.jrc.ec.europa.eu/explorer.php

Verordnung (EU) 2021/1323 der Kommission vom 10. August 2021 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 bezüglich der Höchstgehalte für Cadmium in bestimmten Lebensmitteln. Europäische Kommission 2021, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32021R1323

Verordnung (EU) 2021/1317 der Kommission vom 9. August 2021 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 hinsichtlich der Höchstgehalte an Blei in bestimmten Lebensmitteln. Europäische Kommission 2021, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32021R1317

Autor

Ulrich Schreiber studierte Chemie an der Uni Münster und Toxikologie an der Charité in Berlin. Derzeit promoviert er am Institut für Lebensmittelchemie der Uni Münster zu genotoxischen Naturstoffen. Nebenbei schreibt er regelmäßig für die DAZ.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.