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Pandemie Spezial

Bin ich sicher?

Welche Aussagen zu COVID-19-Grund- und -Boosterimpfungen getroffen werden können

Viele von uns sind bereits zweimal gegen SARS-CoV-2 geimpft und lassen sich ihren spezifischen Antikörpertiter bestimmen. Aber was sagt eine Bande im Schnelltest oder irgendeine Zahl, die die Antikörper pro Milliliter Blut angeben? Ist in jedem Fall eine dritte Impfung nötig, um sicher vor COVID-19 geschützt zu sein? |  Von Ilse Zündorf und Robert Fürst

Man kann es nicht oft genug betonen: Es gleicht einem Wunder, dass innerhalb von sechs Monaten nach den ersten Infektionen bereits verschiedene Impfstoffe verfügbar waren. Natürlich war und ist die Pandemie mit einer Vielzahl an potenziell Gefährdeten günstig für klinische Studien während einer Impfstoffentwicklung. Wird eine Probandenkohorte geimpft und mit einer Gruppe Ungeimpfter verglichen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis genügend Erkrankungen aufgetreten sind. Aus dem Vergleich der Erkrankungszahlen beider Kohorten lässt sich anschließend die Wirksamkeit der Vakzinierung ableiten.

Sind bereits effiziente Impfstoffe verfügbar, wird es schwieriger, weitere Vakzin-Kandidaten zu entwickeln und bis zu einer Zulassung zu bringen: Wer ist dann noch bereit, sich als Proband in einer klinischen Studie einem unsicheren Impfstoffkandidaten auszusetzen, wenn es sichere Alternativen auf dem Markt gibt? Hier wären Parameter hilfreich, die im Vorfeld einen Hinweis über eine Wirksamkeit der Vakzine geben könnten.

Eine Pandemie ist trotz der vielen Probleme weltweit auch eine „gute Gelegenheit“, um über einen längeren Zeitraum Bevölkerungsgruppen zu beobachten. Dabei können Daten darüber gesammelt werden, wo und wie sich Einzelne anstecken, wie gut das Immunsystem auf eine Impfung mit den verschiedenen Vakzinen reagiert, wie sich der Impfschutz im Laufe der Zeit verändert und ob beziehungsweise wann eine Booster-Immunisierung nötig ist.

Gibt es einen messbaren Wert für einen sicheren Impfschutz?

Einige kennen es von der Impfung gegen Hepatitis B: Bei all denjenigen, die sich als Risikogruppe einer Grundimmunisierung unterzogen hatten, wurde vier bis acht Wochen später die Konzentration der Anti-HBs-Immunglobuline bestimmt. Bei einem Wert ≥ 100 IE/l wurde davon ausgegangen, dass ein ausreichender Immunschutz besteht. Wird die Impfung gegen Hepatitis B allerdings als Standardimpfung im Kindesalter durchgeführt, ist keine Bestimmung des Antikörpertiters vorgesehen. Bei der Hepatitis-B-Impfung wird von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) also ein klarer Grenzwert von 100 IE/l für einen Immunschutz definiert. Interessanterweise legen die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) diesen Grenzwert bei 10 IE/l fest. Auch wenn es Diskrepanzen zwischen RKI und CDC hinsichtlich der absoluten Zahl gibt, existiert doch zumindest ein Orientierungswert für einen schützenden Antikörpertiter.

Schön wäre es jetzt natürlich, auch für eine Impfung gegen SARS-CoV-2 einen solchen Wert zu identifizieren! Mittlerweile ist bekannt, dass der Antikörpertiter bei Geimpften und Genesenen über die Zeit fällt; unbekannt ist jedoch, ob dabei nach wie vor ein ausreichender Immunschutz besteht. Gäbe es einen Grenzwert wie bei der Hepatitis-B-Impfung, könnte dadurch genauer festgestellt werden, wer eine Booster-Impfung unbedingt benötigt. Vor Kurzem wurden Studienergebnisse publiziert, die versuchen, hier etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Für Vaxzevria wurden Daten von 4372 Teilnehmern der Impfstudie bis Tag 28 nach der zweiten Impfung gesammelt und ausgewertet. Untersucht wurden die Antikörpertiter verschiedener Spezifikationen:

  • Bindung an das Spike-Protein
  • Bindung an die Rezeptor-Bindedomäne (RBD) des Spike-Proteins
  • Neutralisierung eines Pseudovirus, also eines Modell­virus, das das Corona-Spike-Protein trägt
  • Neutralisierung eines SARS-CoV-2-Lebendvirus
Tab.: Übersicht über die Zahl der Impfungen, die bis zum 18. Oktober 2021, 08:00 Uhr dem Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet wurden [Digitales Impfquotenmonitoring zur COVID-19-Impfung, Informationen des RKI, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquoten-Tab.html]
Bundesland
bisher verabreichte Impfungen
mindestens einmal Geimpfte*
vollständig Geimpfte*
Auffrischungs-impfung
Impfquote [%] mindestens einmal geimpft
Impfquote [%] vollständig geimpft
gesamt*
12 – 17 Jahre
18 – 59 Jahre
60+ Jahre
gesamt*
12 – 17 Jahre
18 – 59 Jahre
60+ Jahre
Baden-Württemberg
14.204.907
7.337.239
7.100.210
188.544
66,1
40,5
69,1
85,1
63,9
35,8
70,3
83,3
Bayern
16.704.230
8.636.155
8.345.157
167.516
65,7
40,6
68,7
84,2
63,5
35,5
69,6
82,5
Berlin
4.913.146
2.510.306
2.410.886
101.912
68,5
41,0
72,0
88,7
65,8
36,9
72,2
87,4
Brandenburg
3.008.414
1.577.475
1.510.092
22.783
62,3
31,3
60,1
79,9
59,7
26,3
62,1
80,3
Bremen
1.043.822
546.712
524.064
16.040
80,4
48,9
88,9
94,1
77,1
43,0
88,3
92,0
Hamburg
2.591.371
1.355.331
1.301.738
20.692
73,2
43,8
79,6
87,8
70,3
37,3
80,8
85,9
Hessen
8.270.296
4.318.480
4.085.412
95.065
68,6
44,6
72,1
86,5
64,9
38,4
71,5
83,5
Mecklenburg-Vorpommern
2.061.185
1.071.058
1.033.236
16.528
66,5
30,4
66,4
85,2
64,1
25,3
67,2
84,5
Niedersachsen
10.805.402
5.717.039
5.423.781
73.786
71,4
52,1
72,2
89,8
67,8
45,5
73,3
87,4
Nordrhein-Westfalen
25.118.524
13.145.988
12.408.808
318.211
73,3
52,3
76,6
90,1
69,2
46,2
76,1
87,8
Rheinland-Pfalz
5.499.893
2.888.731
2.691.685
71.321
70,5
46,7
72,0
89,3
65,7
38,3
70,9
85,5
Saarland
1.423.214
739.885
712.685
14.413
75,2
48,0
76,6
90,6
72,4
41,4
78,3
89,6
Sachsen
4.583.393
2.373.684
2.273.313
31.784
58,5
27,0
57,9
78,0
56,0
23,6
56,5
78,2
Sachsen-Anhalt
2.687.895
1.399.182
1.356.526
32.135
64,2
28,5
61,7
82,3
62,2
23,5
63,2
83,4
Schleswig-Holstein
4.128.826
2.135.356
2.053.213
68.647
73,4
58,0
78,4
89,5
70,5
52,0
78,4
88,9
Thüringen
2.531.192
1.304.327
1.269.825
31.628
61,5
29,3
59,9
80,8
59,9
26,3
60,6
81,4
Bundes-ressorts**
370.396
193.207
185.018
288
gesamt
109.946.106
57.250.155
54.685.649
1.271.293
68,8
44,2
71,5
86,5
65,8
38,6
71,8
84,8

* Alle Personen, die Erstimpfungen mit den Impfstoffen von Biontech, Moderna oder AstraZeneca oder eine Impfung mit dem Impfstoff Janssen erhalten haben. Als vollständig geimpft gelten alle Personen, die Zweitimpfungen mit Biontech, Moderna oder AstraZeneca oder eine Impfung mit Janssen erhalten haben. Die Impfungen mit Janssen sind sowohl in der Gruppe „mindestens einmal geimpft“ als auch in der Gruppe „vollständig geimpft“ enthalten. Sie werden für die Gesamtzahl der verabreichten Impfungen jedoch nur einmal gezählt.

** Impfungen, die aus dem Impfkontingent des Bundes gemäß Coronavirus-Impfverordnung an Angehörige des Bundes verabreicht wurden. Eine Impfquote kann wegen fehlender Nennerpopulation nicht berechnet werden, die Impfungen gehen in die Berechnung der Impfquote für Gesamtdeutschland mit ein.

Während die Titerbestimmung der bindenden Antikörper relativ einfach als Routineuntersuchung durchgeführt werden kann, ist bei den Neutralisationsexperimenten eine infizierbare Zelllinie nötig. Diese Tests sind mit einem ziemlichen Aufwand verbunden – vor allem diejenigen mit dem Lebendvirus – und deshalb nur in Einzelfällen durchführbar. All diese Untersuchungen werden im Vergleich mit einer Referenz-Antikörperlösung durchgeführt, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen.

Während des Beobachtungszeitraums kam es bei 174 Studien­teilnehmern zu Infektionen, die über einen PCR-Test nachgewiesen wurden, allerdings lagen für drei Infizierte keine ausreichenden Antikörperdaten zur Auswertung vor. Die Wissenschaftler ermittelten aus den vorhandenen Ergebnissen für eine 80%ige Impfstoffsicherheit gegenüber symptomatischen Infektionen

  • 264 Bindende-Antikörper-Einheiten (BAU) pro ml (95%-Konfidenzintervall [KI]: 108 bis 806) für IgG-­Antikörper gegen das Spike-Protein
  • 506 BAU/ml (95%-KI: 135 – obere Grenze, beyond data range) für IgG-Antikörper gegen die Bindung an die Rezeptor-Bindedomäne
  • 26 IU/ml (95%-KI: beide Grenzen, beyond data range) für Pseudovirus-neutralisierende Antikörper
  • 247 normierter Neutralisationstiter NF50 (95%-KI: 101 –obere Grenze, beyond data range)

Was sagen uns diese Zahlen? Letztendlich, dass wir einen umso besseren Schutz vor einer symptomatischen Infektion haben, je mehr Antikörper in unserem Blut herumschwimmen, die direkt die Viruspartikel abfangen können, sobald sie in unseren Körper eingedrungen sind. Die verschiedenen Einheiten verwirren etwas, sind aber der unterschiedlichen Methodik der Testungen geschuldet. Zwischen Bindungs- und Neutralisationswerten konnten die Autoren Korrelationen feststellen. Keinerlei Korrelation bestand zwischen einem Schutz vor asymptomatischen Infektionen und bestimmten Antikörpertitern. Die Autoren diskutieren in der Veröffentlichung selbst die Limitationen ihrer Untersuchungen, allen voran die Kürze der Beobachtungszeit: Vier Wochen nach der zweiten Impfung reichen nicht aus, um haltbare Aussagen über die langfristige Wirksamkeit der Impfung treffen zu können. Für die Autoren war kein eindeutiger Grenzwert definierbar, der für einen sicheren Immunschutz gültig ist. Zum einen sind die interindividuellen Variationen bei den Antikörpertitern zu groß, was sich auch in den recht großen Konfidenzintervallen zeigt. Zum anderen sind spezifische T-Zellen ebenfalls daran beteiligt, einen sicheren Immunschutz vor einer Erkrankung aufzubauen. Zwar besteht auch eine Korrelation zwischen dem Antikörpertiter und der durch T-Zellen vermittelten Immunantwort, allerdings ist diese Verbindung schlecht quantifizierbar. In der vorgestellten Studie wurden Grenzwerte angegeben, die einen Schutz gegenüber leichten COVID-19-Erkrankungen bieten. Nachdem im Untersuchungszeitraum kein schwerer Krankheitsfall aufgetreten war, konnte dafür auch kein konkretes Korrelat identifiziert werden. Die Festlegung auf die Detektion spezifischer IgG-Antikörper lässt zudem völlig außer Acht, dass die Infektion über die Schleimhäute stattfindet, wo vor allem IgA-Moleküle an der Immunabwehr beteiligt sind.

In einer ähnlich konzipierten Studie mit Teilnehmern, die mit Spikevax (COVID-19-Vakzine Moderna) geimpft worden waren, wurden etwas niedrigere Werte für Antikörpertiter ermittelt, die mit einer 70- bzw. 90%igen Schutzwirkung korrelierten. Letztendlich lagen sie jedoch in einer ähnlichen Größenordnung wie für Vaxzevria. Immerhin stehen damit Werte zur Verfügung, anhand derer die Wirksamkeit neuer Impfstoff-Kandidaten abgeschätzt werden kann, bevor eine Phase-III-Studie initiiert wird. Allerdings wurden diese Zahlen zu einem Zeitpunkt erhoben, als weit und breit noch keine Delta-Variante in Sicht war. Zudem war die Zahl der älteren Probanden sehr gering. Es sind also dringend weitere Daten nötig, um noch mehr und aussagekräftigere Informationen zu erhalten. Für alle Geimpften sind diese Werte keine wirkliche Hilfe, um sich absolut sicher fühlen zu können. Wir können aber immerhin ungefähr abschätzen, wie gut unser Immunschutz ist und uns dann entsprechend verhalten: Sich gegebenenfalls eine Auffrischungsimpfung verabreichen lassen oder FFP2-Masken in größeren Menschenansammlungen tragen.

Was rät die STIKO?

Die Ständige Impfkommission empfiehlt derzeit eine Auffrischungsimpfung für folgende Personenkreise:

  • Personen mit einer Immundefizienz
  • Personen im Alter von ≥ 70 Jahren
  • Bewohnerinnen und Bewohner sowie Betreute in Einrichtungen der Pflege für alte Menschen, selbst wenn sie noch jünger als 70 Jahre sind
  • Pflegepersonal und andere Tätige mit direktem Kontakt mit den zu Pflegenden in ambulanten, teil- oder vollstationären Einrichtungen der Pflege für (a) alte Menschen oder (b) für andere Menschen mit einem erhöhten Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe
  • Personal in medizinischen Einrichtungen mit direktem Patientenkontakt.

Diese Auffrischungsimpfungen sollten etwa sechs Monate nach Abschluss einer Grundimmunisierung mit einem mRNA-Impfstoff erfolgen. Mit diesen Empfehlungen wird die STIKO der Tatsache gerecht, dass das Immunsystem im Alter etwas schwächer arbeitet und mehr Stimulation braucht, um zu einer adäquaten Reaktion zu kommen. Eine Booster-Impfung ist also bei Personen über 70 Jahre indiziert, aber durchaus auch bei Immunsupprimierten. Durch eine Auffrischungsimpfung sollen außerdem diejenigen Personen einen besseren Immunschutz erhalten, die engen Kontakt mit Menschen haben, die ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe aufweisen. Bei schwer Immundefizienten, beispielsweise Organtransplantierten oder Krebspatienten unter antineoplastischer Therapie, kann der Immunschutz nach der Grundimmunisierung so schlecht sein, dass die Booster-­Impfung eher der Optimierung des Impfergebnisses dient. In diesem Fall kann die erneute Impfung bereits vier Wochen nach der initialen Vakzinierung und gegebenenfalls sechs Monate später eine Auffrischungsimpfung verabreicht werden. Erhielten die Geimpften die COVID-19-Vakzine Janssen, sollte der Immunschutz mit einem mRNA-Impfstoff frühestens vier Wochen nach der Impfung optimiert werden.

Eine Auffrischungsimpfung mit einem Vektor-Impfstoff ist in den STIKO-Empfehlungen nicht vorgesehen. Für Genesene ist bisher nur eine Impfung sechs Monate nach der Erkrankung empfohlen, die den wahrscheinlich recht hohen Antikörpertiter noch einmal verbessert. Eventuell kann – vor allem bei Immungeschwächten – eine zweite Auf­frischungsimpfung erwogen werden. Genaue Daten dazu liegen allerdings noch nicht vor. |

Literatur

Digitales Impfquotenmonitoring zur COVID-19-Impfung, Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquoten-Tab.html

Feng S, Phillips DJ, White T et al. Correlates of protection against symptomatic and asymptomatic SARS-CoV-2 infection. Nat Med 2021, doi: 10.1038/s41591-021-01540-1

Gilbert PB, Montefiori DC, McDermott A et al. Immune Correlates Analysis of the mRNA-1273 COVID-19 Vaccine Efficacy Trial. medRxiv 2021, doi: 10.1101/2021.08.09.21261290

Informationen des Robert Koch-Instituts mit STIKO-Empfehlungen, www.rki.de

Autoren

Prof. Dr. Robert Fürst ist Professor für Pharmazeutische Biologie am In­stitut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Dr. Ilse Zündorf ist am Institut für Pharmazeutische Biologie als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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