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Entweder schlecht recherchiert oder bewusst irreführend formuliert
Handelsblatt verbreitet Fake news über Apotheken – eine kommentierende Analyse
In der Pandemie dürfte auch der letzte Politiker die Bedeutung eines leistungsfähigen und dezentral aufgestellten Gesundheitssystems zu schätzen gelernt haben. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber das „Handelsblatt“ schlägt schon wieder Töne an, die an uralte Zeiten erinnern, in denen an allen Ecken des Gesundheitswesens gespart werden sollte. Am Freitag erschien dort ein Kommentar von Prof. Bert Rürup. Der ehemalige Wirtschaftsweise ist mittlerweile Chefökonom des „Handelsblattes“. Unter dem Titel „Gesundheit ist den Deutschen lieb – und sehr teuer“ beklagt Rürup strukturelle Defizite des Gesundheitssystems, die in der Zeit sprudelnder Beitragseinnahmen gewachsen seien. Nach dem Schwinden der Reserven würden nun höhere Beiträge für die GKV drohen. Im Kern geht es darum, dass das deutsche System zu teuer sei. Deutschland gebe 12,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Gesundheit aus, andere Länder viel weniger. Doch bei der Lebenserwartung erreiche Deutschland nur Rang 24 von 38 OECD-Staaten. Ein wesentlicher Grund für diese Ineffizienz liege in der Krankenhauslandschaft. Als Konsequenzen empfiehlt Rürup „kluge Eigenbeteiligungsmodelle“ und eine konsequente Digitalisierung, aber auch „eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung, eine Optimierung der Standorte und eine Weiterentwicklung der Arzneimittelversorgung“. Vieles klingt so, als sollten die Kosten im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
Nichts gelernt?
Allerdings wird in dem Beitrag nicht hinterfragt, wie verschiedene Länder die Corona-Pandemie bewältigt haben. Der Text mutet an wie die Effizienzbetrachtungen, die vor vielen Jahren als Argumente für verschiedene Gesundheitsreformen dienten. Das waren die Gedanken, die beispielsweise Spanien, Italien und Griechenland in der Finanzkrise zur Sanierung ihrer Staatsfinanzen aufgegriffen haben und die in der Pandemie so schreckliche Folgen hatten. Alles klingt so, als hätten wir nichts daraus gelernt. Doch ein Gesundheitssystem sollte sich nicht wie eine industrielle Fließbandfertigung nur am Idealfall orientieren, in dem alles klappt, sondern auch an Ausnahmesituationen.
Rohertrag und Gewinn vertauscht
Leider wiederholt sich in dem Text auch ein anderes problematisches Muster vergangener Zeiten. Das alte Zerrbild der Apotheken als überbezahlte Goldgruben wird wieder bemüht. Es geht zwar nur in einem kleinen Absatz um die Apotheken, aber der hat es in sich. Angeblich leiste sich Deutschland „ein kostenintensives Apothekennetz“. Dazu heißt es, von 37,6 Milliarden Euro Arzneimittelausgaben der GKV verblieben den Apotheken 14,7 Prozent als „Gewinnmarge“. Die Versicherten koste das jährlich etwa 5,5 Milliarden Euro. Doch die Begriffe passen nicht zu den Zahlen. Der genannte Betrag und der Prozentsatz gelten für den Rohertrag der Apotheken, aber nicht für das Betriebsergebnis oder den „Gewinn“. Mit dem Rohertrag muss der Betrieb der Apotheken finanziert werden. Davon müssen Gehälter, Mieten, Ausstattung, Energie, Botenfahrzeuge, Versicherungen, Beiträge und zahlreiche andere Kosten bezahlt werden. Danach bleibt dann hoffentlich ein Gewinn. Ein Ökonom weiß das. Er verwechselt den Rohertrag nicht mit dem Gewinn und sollte so formulieren, dass auch seine Leser das nicht tun. Entweder sind diese Angaben schlecht recherchiert oder die Formulierung ist bewusst irreführend gewählt. Dann wäre der Beitrag nicht als Information gedacht, sondern als Stimmungsmache für die neue Legislaturperiode. Wird hier ein neuer Wettbewerb um knappe staatliche Mittel eröffnet? Soll eine Neiddebatte geschürt werden, weil andere Wirtschaftsbereiche Ansprüche auf die Mittel erheben, die wegen der Pandemie ins Gesundheitswesen geflossen sind? Wenn diese Position verbreitet sein sollte, drohen dem Gesundheitssystem – auch den Apotheken – Kontroversen, die eigentlich überwunden schienen.
Zum Weiterlesen
Rürups Analyse im Handelsblatt „Gesundheit ist den Deutschen lieb – und sehr teuer“ finden Sie online, wenn Sie in das Suchfeld auf DAZ.online den Webcode H5DW3 eingeben.
1,6 statt 5,5 Milliarden Gewinn aus GKV-Umsätzen
Im Zusammenhang mit den Apotheken stellt sich die Frage, wie hoch deren Gewinn wirklich ist. In ihrem Wirtschaftsbericht gibt die ABDA für 2020 ein steuerliches Betriebsergebnis von etwa 168.000 Euro pro Apotheke oder 6,1 Prozent des Netto-Umsatzes an. Doch das betrifft die gesamte Tätigkeit der Apotheken und ist darum hier nicht die passende Vergleichsgröße. Denn Rürup bezieht sich nur auf die Versorgung innerhalb der GKV. Der Wirtschaftsbericht der ABDA weist für 2020 als Teilbetriebsergebnis der Apotheken zur GKV-Versorgung 84.631 Euro pro Durchschnittsapotheke aus. Bei 18.753 Apotheken (Stand: Ende 2020) sind das etwa 1,6 Milliarden Euro, also etwa 4,3 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben von 37,6 Milliarden Euro. Statt der vom „Handelsblatt“ genannten 5,5 Milliarden Euro erzielen die Apotheken demnach 1,6 Milliarden Euro „Gewinn“ aus dem GKV-Umsatz.
Bei allen Angaben ist zu bedenken, dass der „Gewinn“ einer freiberuflich organisierten Apotheke auch das Entgelt für die Arbeit des Inhabers enthält, das bei anderen Rechtsformen als steuerwirksames Geschäftsführergehalt verbucht wird. Diese Besonderheit einiger freier Berufe ist für einen Vergleich mit anders organisierten Unternehmen wichtig. Die meisten Leser des „Handelsblattes“ dürften unter „Gewinn“ einen Unternehmenserfolg nach Abzug aller Arbeitsentgelte verstehen. Ein solcher Apothekengewinn wäre sehr viel kleiner als von der ABDA angegeben. Auf jeden Fall sind alle realistischen Prozentsätze für den Gewinn sehr viel geringer als die behaupteten 14,7 Prozent. Darum gehört die Angabe im „Handelsblatt“ in die Kategorie „Fake news“. |
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