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Arzneimittel und Therapie
Vom Appetitzügler zum Antiepileptikum
Fenfluramin unter Auflagen zugelassen – was die Apotheke wissen muss
Das 1978 erstmals beschriebene Dravet-Syndrom ist eine Epilepsieform des frühen Kindesalters. Beim zunächst gesunden Kind kommt es im ersten Lebensjahr zu Krampfanfällen, teils im Zusammenhang mit Fieber oder nach Impfungen. Die Anfälle sind klonisch, tonisch-klonisch, generalisiert, dauern meist ungewöhnlich lange und können in einen Status epilepticus münden. Die typischen Symptome sind altersabhängig. Nach dem ersten Lebensjahr werden myoklonische Anfälle, atypische Absencen und Partialanfälle beobachtet. Die psychomotorische Entwicklung der Patienten verläuft in den meisten Fällen verzögert, ferner werden auch Verhaltensauffälligkeiten wie etwa Hyperaktivität oder auch seltener autistische Verhaltensweisen gefunden. Die Diagnose wird oftmals erst nach mehrjährigem Krankheitsverlauf gestellt. Die Erkrankung ist selten; auf 30.000 bis 40.000 Kinder kommt ein Krankheitsfall [1]. In der EU leiden rund 23.000 Patienten unter einem Dravet-Syndrom [2].
Schwierige Behandlung
Die Behandlung der Erkrankung gestaltet sich schwierig, da nur wenige Antiepileptika die Anfälle beim Dravet-Syndrom bessern können. Viele Antiepileptika, die hauptsächlich oder ausschließlich durch Hemmung von Natriumkanälen wirken, können zu einer Verschlechterung führen. Eingesetzt werden unter anderem Valproat, Clobazam, Topiramat oder das neuere Stiripentol (Diacomit®), wobei meist eine Kombinationstherapie mehrerer Medikamente benötigt wird. Eine neue Therapieoption ist die Add-on-Gabe von Fenfluramin (Fintepla®, Zogenix). Der zugrunde liegende antiepileptische Wirkmechanismus ist nicht in allen Einzelheiten bekannt. Fenfluramin ist eine Serotonin-freisetzende Substanz und stimuliert dadurch mehrere 5-HT-Rezeptor-Subtypen. Die Reduktion von Krampfanfällen beruht wahrscheinlich auf der agonistischen Wirkung von Fenfluramin an bestimmten Serotoninrezeptoren im Gehirn, einschließlich der Rezeptoren 5-HT1D, 5-HT2A, und 5-HT2C sowie am Sigma-1-Rezeptor. Fenfluramin wird als Zusatztherapie zu weiteren Antiepileptika bei Patienten ab einem Alter von zwei Jahren eingesetzt, um Krampfanfälle im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom zu lindern. Die Zulassung durch die EU erfolgte im Dezember 2020.
Wechsel der Indikation
Aufgrund schwerer kardiovaskulärer Nebenwirkungen wurde Fenfluramin als Appetitzügler (z. B. Ponderax®) 1997 vom Markt genommen. In kleinen Fallstudien hatte sich aber ein antiepileptischer Effekt bei Patienten mit einem Dravet-Syndrom gezeigt, so dass ein möglicher neuer Einsatz von Fenfluramin in weiteren Studien verfolgt wurde. Die Studienergebnisse waren vielversprechend: So zeigte etwa eine 2019 publizierte Studie eine deutlich verringerte Anfallsfrequenz unter der zusätzlichen, niedrig dosierten Gabe von Fenfluramin. Die Dosis von 0,2 mg/kg führte zu einer Abnahme der Anfälle um rund 43% und die höhere Dosis mit 0,7 mg/kg zu einer Reduktion um rund 75%. Die Abnahme unter Placebo betrug rund 19% [3]. Auch eine weitere Studie zeigte eine Reduktion der Krampfanfälle unter Fenfluramin (0,4 mg/kg) um etwa 54% [4]. Die häufigsten Nebenwirkungen sind verminderter Appetit, Diarrhö, Fieber, Ermüdung, Infektion der oberen Atemwege, Lethargie, Somnolenz und Bronchitis [5].
Was bei der Abgabe beachtet werden muss
Fenfluramin unterliegt einer zusätzlichen Überwachung und wird gemäß einem speziellen Programm für den kontrollierten Zugang („controlled access programme“, CAP) verordnet und abgegeben. Damit soll der nicht bestimmungsgemäße Gebrauch zur Gewichtskontrolle adipöser Patienten verhindert und der verschreibende Arzt über die Notwendigkeit einer regelmäßigen kardiologischen Überwachung informiert werden. Dadurch sollen potenzielle Risiken einer Herzklappenerkrankung und einer pulmonalen arteriellen Hypertonie minimiert werden. Folgendes Prozedere ist vorgesehen:
- Der Arzt muss vor der ersten Verordnung eine verpflichtende Zertifizierung zum Erhalt einer arztindividuellen Verschreiber-Identifikationsnummer (Verschreiber-ID) absolvieren, die auf jedem Fenfluramin-Rezept vermerkt oder diesem beigefügt sein muss.
- Die Apotheke kann Fenfluramin nur dann beziehen (Bestellung über Arvato Supply Chain Solutions SE), wenn die Verordner-ID auf dem Rezept vermerkt oder diesem beigefügt ist. Fehlt diese ID, muss der verordnende Arzt kontaktiert und die Verschreiber-ID auf dem Rezept vermerkt werden. Liegt diese nicht vor, muss der verschreibende Arzt die Zertifizierung absolvieren und die ID nachliefern.
- Für Ärzte, Patienten und deren Betreuer steht Schulungsmaterial zur Verfügung. Patienten sollten ermutigt werden, am Fenfluramin-Register teilzunehmen, um Daten zur Langzeitsicherheit zu erheben. Auch medizinisches Personal ist dazu angehalten, jeglichen Verdachtsfall von Nebenwirkungen an das BfArM zu melden. |
Literatur
[1] Dravet-Syndrom (frühkindliche Grand-mal-Epilepsie). Informationen des Zentrums für Humangenetik und Laboratoriumsdiagnostik (MVZ), www.medizinische-genetik.de/diagnostik/humangenetik/erkrankungen/syndrome/neurogenetische-erkrankungen/dravet-syndrom, Abruf am 19. Januar 2021
[2] Orphan-Arzneimittel nach Indikationen. Informationen des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e. V., www.vfa.de/embed/orphan-drugs-list.pdf, Abruf am 19. Januar 2021
[3] Lagae L. et al. Fenfluramine hydrochloride for the treatment of seizures in Dravet syndrome: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2019 Dec 21;394(10216):2243-2254. doi:10.1016/S0140-6736(19)32500-0
[4] Nabbout R. et al. Fenfluramine for Treatment-Resistant Seizures in Patients With Dravet Syndrome Receiving Stiripentol-Inclusive Regimens: A Randomized Clinical Trial. JAMA Neurol. 2020;77(3):300-308. doi:10.1001/jamaneurol.2019.4113
[5] Fintepla: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels. Informationen der europäischen Arzneimittelbehörde, www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/fintepla-epar-product-information_de.pdf, Abruf am 19. Januar 2021
[6] Information des Herstellers (Zogenix)
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