Aus den Ländern

„Mit uns aus der Krise“

Westfälisch-lippischer Apothekertag als erster hybrider Apothekertag

MÜNSTER (diz) | „Wir haben gezeigt, wie viel Potenzial in uns steckt“, rief Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, den rund 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 8. Westfälisch-lippischen Apothekertag zu, die dem erstmals hybrid veranstalteten Apothekertag im Netz, aber auch vor Ort in der Halle Münsterland beiwohnen konnten. Die Apotheken haben die Heraus­forderungen der Corona-Pandemie, aber auch Veränderungen durch die Digitalisierung gut bewältigt, unterstrich die Kammerpräsidentin und dankte den Apotheken für ihre Bereitschaft, verlässlich da zu sein.
Foto: AKWL/Leßmann

Gabriele Regina Overwiening Die Apotheken haben gezeigt, welches Potenzial in ihnen steckt.

Wie die Kammerpräsidentin in ihrer Eröffnungsrede herausstellte, haben die Apotheken ihr Potenzial während der Pandemie unter Beweis gestellt. „Mit ihrer Leistung haben sie dem Berufsstand einen großen Dienst erwiesen, aber auch jedem, den sie versorgt haben.“ Dieses Engagement und die Verlässlichkeit seien auch in der Öffentlichkeit und in der Politik angekommen. Vor allem in der Politik habe dies zum Teil zu einem Paradigmenwechsel geführt, das Bild von der Apotheke habe sich zum Positiven hin verändert, so Overwiening. Bei vielen habe sich eine andere Denkweise eingestellt: Kann die Apotheke nicht auch der Ort für ­andere Leistungen sein? Overwiening: „Mit diesem Fundament können wir kreativer in die Zukunft blicken.“

Laumann: „Sie sind Impf-Botschafter“

Karl Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, aber auch Schirmherr des Westfälisch-lippischen Apothekertags, war voll des Lobes für die Apotheken: „Die Präsenzapotheken haben während der Pandemie einen herausragenden Job gemacht“, so der Minister, die wohnortnahe Arzneimittelversorgung durch die inhabergeführten Präsenzapotheken habe sich bewährt, ebenso die Freiberuflichkeit. Laumann: „Ich war froh, dass nur kleine Verordnungen geändert werden mussten, damit Apotheken aus Schnaps Desinfek­tionsmittel machen konnten.“

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Minister Karl Josef Laumann ist überzeugt, dass unser Gesundheitswesen auf Kapitalgesellschaften verzichten kann.

Aber auch das Gesundheitssystem als Ganzes habe in den letzten 17 Monaten gute Arbeit geleistet und dazu beigetragen, „dass wir einigermaßen vernünftig durch diese Zeit gekommen sind; es waren Herausforderungen, die wir so noch nicht erlebt haben“. Um dieses Gesundheitssystem zu erhalten, dürfe man es nicht weiter abspecken. Ein Gesundheitssystem könne man nicht „auf Kante nähen“, man brauche Puffer, um in Krisenzeiten handlungsfähig zu sein, betonte Laumann mit Blick auf die wohnortnahe Versorgung und Krankenhausplanung: „Jeder muss in Nordrhein-Westfalen innerhalb von 20 Minuten ein Krankenhaus erreichen.“ Und er wisse: „Wenn der Hausarzt im Dorf weggeht, schließt auch die Apotheke im Dorf.“

Was die Pandemie gezeigt habe: Man müsse sich wieder ein Stück weit unabhängig machen von internationalen Lieferketten. Laumann: „Wir müssen überlegen, wie wir dafür sorgen können, dass auch Grundsubstanzen für Arzneimittel wieder in Europa produziert werden.“ Es dürfe dabei nicht darum gehen, um den letzten Cent zu feilschen.

Laumann zeigte sich auch überzeugt: Auf Kapitalgesellschaften könne unser Gesundheitswesen verzichten. Um die derzeitigen Entwicklungen im Bereich der Ärzte- und Zahnärzteschaft durch Kapitalgesellschaften zurückzudrängen, müsse man einen „neuen Anlauf nehmen“ – dies verlange nach Änderungen in der Bundesgesetzgebung. Und er fügte hinzu, dass es auch für Patientinnen und Patienten psychologisch wertvoll sei, ihre Arzneimittel in der Apotheke zu beziehen und nicht über den Versandhandel, denn damit steige das Bewusstsein für die Wertigkeit der Ware, die aus guten Gründen nicht überall zu bekommen sei.

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Gabriele Regina Overwiening und Minister Karl Josef Laumann

Ausdrücklich lobte Laumann die Mitarbeit der Apothekerinnen, Apotheker und PTA in Impfzentren: „Wir dürfen stolz darauf sein, was wir hier hinbekommen haben.“ In Nordrhein-Westfalen seien bereits 75 Prozent geimpft, er wolle diese Zahl mit Blick auf den kommenden Herbst aber noch um mindestens zehn Prozentpunkte steigern. So sei es richtig, dass künftig Corona-Tests nicht mehr vom Staat bezahlt werden. Laumann wörtlich: „Ich meine: Wer sich nicht impfen lassen will, soll für seine Entscheidung auch die Konsequenzen tragen. Wer dann Tests braucht, soll dafür bezahlen. Es ist ein Anschubsen in die richtige Richtung.“ Er setze dabei auch weiterhin auf das pharmazeutische Personal, das sein Vertrauensverhältnis zu den Menschen einsetzen und Überzeugungsarbeit in Sachen Corona-Impfung leisten könne: „Sie sind wichtige und glaubwürdige Botschafter für die Impfung.“

Der hybride Apothekertag

Neben Grußworten und politischer Diskussion ließ es der hybride Apo­thekertag der Apothekerkammer Westfalen-Lippe an nichts fehlen. Auf dem umfangreichen Programm stand eine Vielzahl an Fachvorträgen und dazu zwei bemerkenswerte Keynotes.

Der Psychologe Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann, Tübingen, zeigte, was wir von Spitzensportlern übernehmen können: „Erfolg beginnt im Kopf – Miss­erfolg auch!“ Hermann ist vor allem bekannt durch seine Arbeit für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, die er als deren erster Mannschafts­psychologe seit 2004 betreut und bei allen Länderspielen, Europa- und Weltmeisterschaften begleitet. Er hat dazu beigetragen, dass die deutschen Fußballer 2014 in Brasilien endlich den langersehnten Weltmeistertitel holten.

Der Neurowissenschaftler und Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Prof. Dr. Volker Busch, Wuppertal, gab in seinem Vortrag praktische Tipps, wie wir es schaffen, unser Gehirn in hochdynamischen Zeiten der Digitalisierung gesund und leistungsstark zu halten: Möglichkeiten zum klugen Umgang mit Reizflut und Multitasking. Sein neuestes Buch ist soeben erschienen: „Kopf frei!“

Sogar eine Fachausstellung konnte der hybride Apothekertag bieten: Sie fand allerdings ausschließlich virtuell statt.

Pandemie-Erfahrungen …

In der berufspolitischen Diskussionsrunde standen vor allem zwei Themen im Mittelpunkt: ein Rückblick auf die vergangenen 18 Monate der Pandemie und die Herausforderungen zum Start des E-Rezepts. Für Noweda-Chef Dr. Michael P. Kuck war die Pandemiezeit auch „eine tolle Erfahrung“, wie resi­lient dieses Gesundheitssystem sei. Die Lieferkette Apotheke – Großhandel habe funktioniert: „Wir hatten aus dem Stand heraus bis zu 50 Prozent mehr Umsatz zu bewältigen“, so Kuck, „wir haben es hin­gekriegt. Jeder hat alles gegeben, sogar nachts.“ Hürden seien allerdings mitunter durch die Politik aufgebaut worden, merkte Kuck an, z. B. bei der Impfstoff-Lieferkette von Apotheken an Ärzte. Jede Woche habe es neue Verteilregeln gegeben, „vielleicht hätte man früher miteinander sprechen sollen“.

Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer, war online zur Diskussionsrunde zugeschaltet. Er berichtete, man habe nicht nur einen Run auf Lebensmittelgeschäfte erlebt, sondern auch auf die Apotheken. Und es waren die Apotheken, die mit als erste die Spuckwände aufgebaut hätten. Um die Infektionsgefahr zu reduzieren, habe er aus seinem Team in seiner Apotheke in Mammendorf zwei Teams gebildet, die im Schichtdienst versetzt arbeiteten. Vor allem die Impfstofflieferungen waren für Apotheken eine Herausforderung. Benkert: „Die Apotheken standen zwischen den Fronten: Was bekommen wir vom Großhandel, was wollen die Ärzte? Es war ein Spagat zwischen Arzt und Großhandel, den wir managen mussten. War echt eine gigantische Herausforderung.“

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Politik auf Bundesebene muss verstehen, dass Apotheken zur sozialen Infrastruktur gehören wie Polizei und Feuerwehr – „diese Dienste holt man sich doch auch nicht im Ausland“, so Noweda-Chef Michael P. Kuck (re.) in der berufspolitischen Diskussion. Im Bild Moderator Oliver Paul, Frank Dieckerhoff (v. l.), Thomas Benkert war virtuell zugeschaltet.

Er dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Apotheken, „es war sensationell, was da geleistet wurde“.

Auch Frank Dieckerhoff, Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, lobte die Arbeit des pharmazeutischen Personals in Apotheken, aber auch in Impfzentren. Die Zahl derjenigen, die sich freiwillig zur Mitarbeit in den Zentren gemeldet habe, sei außerordentlich hoch gewesen.

Thema der Diskussionsrunde waren auch die Masken-Preise. Benkert ließ wissen, für ihn sei es nur wichtig gewesen, so viele Masken wie möglich zu bekommen, der Preis sei nebensächlich gewesen. „Wer hier die Apotheke angreift, sie habe zu viel verdient, hat keine Ahnung, was auf dem Markt los war“, so der Noweda-Chef, „zuerst brauchte man keine Masken, und dann brauchte es die gesamte Welt. Hersteller haben sich die Hände gerieben. Wir hatten sehr hohe Einkaufspreise. Die Apotheke konnte gar nicht anders, als den Preis weiterzugeben.“ Kuck stellte infrage, ob es wirklich die Lösung sei, im Gesundheitswesen nach mehr Marktwirtschaft zu rufen. Er erinnerte auch daran, dass es der Bund versäumt habe, Reserven für den Ernstfall anzulegen, vor diesem Hintergrund sei es nicht angezeigt, sich im Nachhinein über die Preise für Masken zu beschweren: „Wir haben alles gekauft, was wir bekommen konnten. Wir haben nur an die Versorgung gedacht. Letztlich saßen wir auf zu teurem Material und mussten es abschreiben.“

… und E-Rezept-Hoffnungen

Auch wenn, wie Benkert betonte, die Apotheken schon lange digital gut aufgestellt seien, gibt es unter Apothekerinnen und Apothekern mit Blick auf das E-Rezept doch auch Befürchtungen, so Dieckerhoff. Mit dem E-Rezept werde zwar vieles einfacher, die Apotheken in seinem Kammerbereich seien technisch gut aufgestellt. Aber es hakt noch beim Ordnungsrahmen rund ums E-Rezept: „Die freie Apo­thekenwahl muss gewahrt bleiben“, es dürfe für die Patientinnen und Patienten keine Incentives geben, das E-Rezept an Versender weiterzuleiten.

Auch Kuck meinte, man sollte Respekt davor haben, was auf die Apotheken zukommt: Angreifer wie DocMorris & Co. sehen das als große Chance. Nach großen Investitionen, aber noch ohne Gewinne werden die Versender wohl alles daransetzen, um mit dem E-Rezept endlich schwarze Zahlen zu schreiben: „Das E-Rezept ist der letzte Schuss für die Versender“, so Kuck. Ein Angebot für die Apotheken, die E-Rezepte in die Apotheken zu holen, könnten nach Auffassung von Kuck die Plattformen sein. Man wisse aus anderen Branchen, dass Plattformen funktionieren. Allerdings, und das ist nach Kucks Einschätzung wichtig, müsse die Plattform in Apothekerhand sein und dürfe nicht einem Konzern gehören, der auch verkauft werden könne: „Man muss sich genau anschauen, wer hier welche Einflüsse hat.“ Und als Noweda-Chef fügte er hinzu, dass die Apothekergenossenschaft praktisch unverkäuflich sei, was für eine Anbindung an die Plattform „ihreapotheken.de“ spreche, an der die Noweda über den „Zukunftspakt Apotheke“ beteiligt sei.

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Für ihre stete Unterstützung der Projektarbeit zeichnete Overwiening Karin Reismann, ehrenamtliche Bürgermeisterin von Münster (li.), mit der Verdienstmedaille der Kammer aus.

Zum Schluss durften die Diskutanten ihre Erwartungen an die Politik formulieren. Für den BAK-Präsidenten Benkert ist es notwendig, jetzt ein klares Bekenntnis der Politik zur Apotheke vor Ort einzufordern! Und er wünsche sich mehr Studienplätze: „Der Apothekerberuf ist ein Zukunftsberuf, es gibt keine arbeitslosen Apotheker.“

Noweda-Chef Kuck wünscht sich, die Politik auf Bundesebene müsse verstehen, dass Apotheken zur sozialen Infrastruktur gehören wie Polizei und Feuerwehr – „diese Dienste holt man sich doch auch nicht im Ausland“. Diese Strukturen müssten geschätzt werden, und dazu gehöre eine anständige Bezahlung.

AKWL-Vize Dieckerhoff möchte, dass sich die Rahmenbedingungen für Apotheken verbessern. Denn viele Apotheken seien unterfinanziert. Außerdem: Das Arzneimittel dürfe nicht trivialisiert, die Rx-Pflicht nicht unterlaufen werden. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot müsse bleiben. Und ja: „Wir brauchen mehr Personal.“ |

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Für musikalische Unterhaltung sorgte an allen Tagen des West­fälisch-lippischen Apothekertages zwischendurch und an den Abenden das Tobias-Sudhoff-Trio.

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