Arzneimittel und Therapie

Immer gut lüften!?

Ein Kommentar zur AMK-Meldung über müffelnde Metoprolol-Tabletten

cel | Wenn Metoprololsuccinat AL 95 mg Retardtabletten stinken, rät die AMK, die Tabletten auszulüften, um die Einnahmetreue der Patienten nicht zu gefährden. Doch fördert dann tatsächlich Lüften das Zutrauen der Patienten in die einwandfreie Qualität ihres Arzneimittels? DAZ-Redakteurin Celine Müller zweifelt, ob das bei „chemisch, ranzig, cannabis- oder knoblauchartig“ sowie unspezifisch „unangenehm“ riechendem Metoprolol die optimale Adhärenz-fördernde Maßnahme ist.
Foto: DAZ/Kahrmann
Celine Müller, DAZ-Redakteurin

Metoprololsuccinat Al 95 mg Retard­tabletten stinken. Das berichten nicht nur Apotheken der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), auch das ZL bestätigt nach „Geruchsprüfung nach Ph. Eur. 2.3.4 (…) in allen Fällen auch nach 15 Minuten einen deutlich wahrnehmbaren Geruch der Retardtabletten im Vergleich zum entleerten Aluminium/Aluminium-Blister“, schreibt die AMK. Das Problem ist wohl neu, denn zwischen 2013 und 2020 erreichte die AMK gerade eine einzige Meldung zu unangenehm riechendem Metoprolol, seit Mai diesen Jahres sind mittlerweile schon 54 Meldungen bei der AMK eingetrudelt. Stets sei der Geruch direkt nach Ausblistern der Tablette aufgetreten – als „chemisch, ranzig, cannabis- oder knoblauch­artig“ sowie unspezifisch „unangenehm“ wird er beschrieben.

Doch woran liegt’s?

An Erklärungen mangelt es nicht. Da die Bulkware beim Hersteller nicht müffelt, könnte es folglich an der Verpackung liegen – und in der Tat: „Als mögliche Ursache wird die Kunststoff-Aluminium-Formfolie für die Verblisterung genannt, da diese bei allen betroffenen Chargen des Fertigarzneimittels identisch ist“. Ein sensorischer Test des Folienherstellers habe ergeben, dass der Geruch vom Kunststoffanteil der Folie ausgeht. Und weiter: „Es wird vermutet, dass die aus der Folie freigesetzten Geruchsmoleküle von der mikrokristallinen Cellulose, einem Hauptbestandteil der Retard­tabletten, angenommen wird“, erklärt die AMK. Das würde auch erklären, warum der penetrante Geruch selbst nach der Entnahme weiterhin von den Tabletten ausgehe. Nun ist Geruchsempfinden eine stark individuelle Sache – wie sonst ließe sich erklären, dass Alba-Trüffel bei manchen wahre Gaumenverzückungen auslösen und andere, angewidert von dem moschusartigen Geruch, auffällig die Nase rümpfen. Das räumt auch die AMK ein – relativiert jedoch auch sofort, dass der Geruch ja im Vergleich zu vormals eingenommenen Chargen aufgefallen sei, das heißt: Zuvor war der unan­genehme Geruch offenbar nicht da.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Nun könnte man meinen: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – und die betroffenen Chargen des Arzneimittels werden zurückgerufen. Immerhin wurden im Zusammenhang mit den unangenehm riechenden Tabletten bereits Nebenwirkungen wie erhöhter Blutdruck – nach Absetzen – berichtet. Und in der Tat fürchtet die AMK, dass Patienten wenig Vertrauen in ihren müffelnden Betablocker von AL haben – Überraschung – und diesen eigenmächtig absetzen. Rückruf? Puste­kuchen. Den gibt es nicht. Stattdessen hat die AMK eine andere Idee: auslüften. Wenn das nichts hilft, bleibe der Austausch des Herstellers als Ultima Ratio mit pharmazeutischen Bedenken. Mag man an dieser Stelle des AMK-Schriebs zunächst verifizierend mit dem Blick zurückschweifen, ob man sich nicht verlesen hat, bittet die AMK Apotheker aber tatsächlich, Patienten, die einen unangenehmen Geruch bei Metoprololsuccinat 95 mg Retardtabletten der Firma AL beklagen, angemessen zu beraten und auf die Risiken, die von einem eigenmächtigen Absetzen ausgehen können, hinzuweisen. „Wenn ein ,Auslüften‘ der Tablette nach dem Ausblistern oder die Einnahme zum Essen nicht zur Besserung der Einnahmetreue beitragen, sollte eine engmaschige Blutdruckkontrolle und ein Herstellerwechsel erwogen werden.“
 

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Einmal an die frische Luft: Wenn Metoprololsuccinat AL 95 mg Retardtabletten stinken, rät die AMK, sie auszulüften.

Ist das klug?

Sorgt sich die AMK nicht, dass die Geruchsmoleküle vielleicht wenig gesundheitsförderlich sind oder gar Bindungen mit Stoffen in der Tablette eingehen? Die DAZ hat das interessiert und nachgefragt. Dort kann man zur Reaktivität der Tabletten jedoch nichts Genaueres sagen, da die Informationen vom Hersteller stammten. Zumindest sieht die AMK keine Gesundheitsgefahr, schließlich sei der Geruch von den Inhaltsstoffen der Folie bekannt, weswegen man die Tabletten auch nicht zurückgerufen habe. Die Standardempfehlung der AMK sei in diesen Fällen nun mal Lüften, bei Metoprolol sei das technologisch auch kein Problem, erklärt die AMK. Jedoch schließt die AMK auch einen Rote-Hand-Brief nicht aus, das erfolge sodann aber in Abstimmung mit der Behörde. Auch wenn laut § 4 Arzneimittelgesetz die Qualität eines Arzneimittels, die nach Identität, Gehalt, Reinheit, sonstigen chemischen, physikalischen, biologischen Eigenschaften oder durch das Herstellungsverfahren bestimmt wird, vielleicht nicht beeinträchtigt ist, haftet der Lüftungsempfehlung der AMK doch eine abenteuerliche Konnotation an. Auch im Falle einer Nichtgesundheits­gefährdung muten „chemisch, ranzig, cannabis- oder knoblauchartig“ sowie unspezifisch „unangenehm“ wohl wenig vertrauenserweckend für den Konsumenten an – und Hand aufs Herz: Wer würde denn die stinkenden Tabletten, in die Geruchsmoleküle der Blisterfolie diffundiert sind, selbst einnehmen wollen? Zumal Metoprololsuccinat nicht gerade ein Orphan Drug ist.

Wäre es im Sinne der Adhärenz folglich nicht klüger, die Tabletten aus dem Verkehr zu ziehen, statt den Apothekern zu empfehlen, sie sollten ihre Patienten beraten und nach dem Motto beruhigen: die Tabletten stinken zwar, ist aber halb so schlimm? |

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