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„Wir müssen die Arzneimittelproduktion nationalisieren“
Zur Bundestagswahl 2021: AfD-Gesundheitspolitiker Jörg Schneider im DAZ-Interview
Jörg Schneider sitzt seit vier Jahren für die AfD im Bundestag und ist Mitglied des Gesundheitsausschusses. Dessen Arbeit sei natürlich vor allem durch die Corona-Krise geprägt gewesen, erzählt er gegenüber der DAZ. Aber so ganz grundsätzlich ist er von seiner ersten Amtszeit im Ausschuss etwas enttäuscht: „Ich hätte mir mehr Diskussionen gewünscht“, sagt er. Der AfD-Abgeordnete, der seinen Wahlkreis in Gelsenkirchen hat, würde es sich lebendiger wünschen, als er es jetzt in dieser Legislaturperiode erlebt hat. Schneiders Erkenntnis: „Die eigentlich wichtigen Gespräche finden nicht im Ausschuss oder im Plenum statt, sondern irgendwo, wo wir noch nicht dabei sind.“
Positiv wahrgenommen hat Schneider die Rolle der Apotheken in der Pandemie. Als Beispiel nennt er die Digitalisierung der Impfnachweise: „Die wurde von den Apotheken gut vorangetrieben.“ Dass es am Anfang nicht lief, weil das System überlastet war, sei kein Versäumnis der Apotheken gewesen. „Die Apotheken haben sich gut geschlagen“, so Schneiders persönliches Fazit. Er selbst hätte sie sogar noch ein Stück weit mehr einbezogen – nämlich in das Testgeschehen. Schneider ist überzeugt, dass es weniger Wildwuchs gegeben hätte, wenn man die Apotheken stärker in die Pflicht genommen hätte. Für die Zukunft hält er es für den richtigen Weg, die Apotheken verstärkt in die Versorgung einzubinden. „Wir müssen den Apotheken die Möglichkeit geben, ihr Know-how und ihre Nähe zu den Kunden, insbesondere den Älteren, einzubringen und zusätzliche Dienstleistungen anzubieten“, erklärt er. Somit war in seinen Augen Corona ein guter Testlauf für etwaige zusätzliche Dienstleistungen.
Die pharmazeutischen Dienstleistungen sieht er außerdem als einen Schritt auf dem Weg, das Gesundheitssystem effizienter zu machen und den Kassen Geld zu sparen – was in seinen Augen zweifelsohne notwendig ist. Jörg Schneider sieht hier die Möglichkeit, Leistungen aus den Kliniken oder den Arztpraxen in die Apotheken zu verlagern. Exemplarisch nennt er Impfen. Darüber hinaus sieht Schneider in den Dienstleistungen eine Möglichkeit für die Apotheken vor Ort, sich von den ausländischen Versendern abzugrenzen.
DocMorris und Co. den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu verbieten, war für Schneider allerdings nie eine Lösung. Es sei zwar für die AfD wichtig, vor Ort zu versorgen, manche Menschen seien aber in ihrer Mobilität eingeschränkt. Deswegen habe er den Versand immer als sinnvolle Ergänzung gesehen: „Für uns steht an erster Stelle die Versorgung der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation. Das muss allerdings nicht DocMorris übernehmen, wenn die Apotheke vor Ort die Möglichkeit hat zu liefern“, merkt er an. Davon, dass man nun den rechtlichen Rahmen für den Botendienst als Regelleistung geschaffen hat, erhofft sich Schneider positive Effekte für die Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb mit den Versendern. Ein Rx-Versandverbot ist in seinen Augen erst einmal vom Tisch. Grundsätzlich hält Schneider aber die Apotheke für einen wichtigen Baustein der Versorgung vor Ort. Durch Verlagerung von Aufgaben aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens dorthin, sieht er die Chance, dass neue Geschäftsfelder erschlossen werden, „sodass die DocMorrisse dieser Welt den Apotheken nicht das Wasser abgraben werden“.
Inwiefern das VOASG hier seinen Zweck erfüllt, muss man seiner Meinung nach noch ein wenig abwarten. Schließlich habe es mit der Maskenverteilung oder den Impfzertifikaten Sondereffekte gegeben, die für die Apotheken lukrativ waren. „Die Politik muss den Rahmen schaffen, dass etwas funktioniert. Aber die Apotheken müssen die Chancen auch ergreifen, die man ihnen gibt“, so Schneider weiter. Das haben sie aber seiner Ansicht nach aktuell auch getan: „Die Zahl der Apotheken, die nicht an der Digitalisierung der Impfausweise teilgenommen haben, liegt im unteren einstelligen Prozentbereich. Man sieht, dass die Apotheken Interesse haben, Möglichkeiten, die ihnen angeboten werden, aufzunehmen. Sie machen aktuell ihre Hausaufgaben. Wir müssen im engen Austausch miteinander dafür sorgen, dass diese Möglichkeiten auch ausgeweitet werden.“ Er sieht aber die Apotheker auch in einer gewissen Bringschuld gegenüber der Politik, welche Dienstleistungen noch infrage kämen.
Raum für eine Honorarerhöhung ohne zusätzliche Leistungen, also eine Anpassung des Fixums, sieht Schneider derzeit nicht.
Angesprochen auf die Zukunftsfähigkeit der Branche sieht Schneider vor allem bei den PTA Nachholbedarf. Hier gebe es Nachwuchsprobleme, weil der Job nicht attraktiv genug sei, erklärt er. Schneider ist der Auffassung, dass man künftig an einer Akademisierung des PTA-Berufs nicht vorbei kommt „Wenn Apotheken von reinen Einzelhändlern zu Gesundheitsdienstleistern werden sollen, reicht eine Ausbildung nicht. Dann muss man bei den PTA bessere Voraussetzungen schaffen, dass das umgesetzt werden kann. Sie müssen lernen und bereit sein, sich Wissen anzueignen. Der Trend zur Individualisierung in der Arzneimitteltherapie trägt dazu bei, dass es um weit mehr geht, als nur Packungen herauszureichen“, erklärt er. Und weiter: „Wir müssen weg davon, dass der Apotheker Verkäuferinnen um sich schart, das ist ein altes Bild. Wenn die Apotheken zusätzliche Aufgaben bekommen wie Impfen oder Testen, müssen wir uns davon verabschieden.“ In Schneiders Augen braucht es eine grundlegende Reform der PTA-Ausbildung. Wenn weiterhin immer nur wenig nachgebessert werde, drohe eine immer größere Lücke zu den Approbierten. Die Apotheker sieht Schneider nämlich gut gerüstet für zusätzliche Aufgaben: „Die haben im Gegensatz zu den PTA durch ihre akademische Ausbildung gelernt, sich Wissen anzueignen“, erklärt er. Und auch beim Studium sieht er keinen übermäßigen Handlungsbedarf. Durch die Verzahnung von Forschung und Lehre gehe die universitäre Ausbildung mit der Zeit. Wenn PTA – entsprechend qualifiziert – zusätzliche Aufgaben wahrnehmen, müsse das natürlich mit einem besseren Gehalt einhergehen, was wiederum über zusätzliche Dienstleistungen in den Apotheken zu erwirtschaften sei.
Die Nachfolgersorgen vieler Inhaber lassen sich in Schneiders Augen nicht mit mehr Geld im System lösen. Sie spiegelten vielmehr ein gesamtgesellschaftliches Problem wider, erklärt er. Dass die Bereitschaft sich selbstständig zu machen, zurückgegangen ist, liegt seiner Meinung nach an einer zunehmenden Fixierung auf den Sozialstaat, der alles regeln soll. „Die Menschen wollen alle Freiheiten haben, aber keine Verantwortung übernehmen“, erklärt der Abgeordnete. „Wir müssen wieder dahin kommen, dass Menschen Verantwortung für sich selber übernehmen. Sie können frei leben – das ist ein wesentliches Element unserer Gesellschaft und Grundordnung –, aber sie müssen dann auch mit den Konsequenzen ihres Handelns leben. Die Politik hat aber in den letzten Jahrzehnten die Menschen von dieser Verantwortung entbunden. Da müssen wir gegensteuern. Dann werden auch Apotheker wieder einfacher Nachfolger finden.“
Größere Filialverbünde oder gar Ketten sind für Schneider zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung für das Problem der Nachfolgersuche. Allerdings: „Wenn man irgendwann an den Punkt kommt, dass die Versorgung nicht mehr gesichert ist, müssen wir vielleicht auch über so etwas nachdenken“, so Schneider. Im Moment sehe er noch nicht, dass man alles über den Haufen werfen müsse. „Das muss aber nicht für alle Ewigkeit so bleiben.“
Das grundsätzliche Ansinnen, im Gesundheitswesen Geld zu sparen, gilt für einen Bereich Schneider zufolge nicht: die Arzneimittelproduktion. Durch die Globalisierung auch im medizinischen Bereich ist man in seinen Augen auf einen „merkwürdigen Weg“ gekommen. Und die Rabattverträge trügen maßgeblich zu dieser Globalisierung der Arzneimittelversorgung bei. Die AfD fordere in ihrem Wahlprogramm daher deren Abschaffung und Ersatz durch eine Festbetragsregelung. Bei so etwas Wichtigem wie der Arzneimittelversorgung sollte man Geld in die Hand nehmen, um sie nicht nur wieder zu europäisieren, sondern zu nationalisieren. „Das wird Geld kosten“, räumt er ein, „aber das ist gut angelegtes Geld“. Nur auf eine Rückverlagerung der Arzneimittelproduktion nach Europa zu setzen, wie es die anderen Parteien tun, hält Schneider für blauäugig. „Ich bin ein Stück weit skeptisch, ob die Franzosen uns in einer Notsituation bereitwillig Ressourcen zur Verfügung stellen. Re-Europäisierung reicht da nicht, wir müssen das Ganze nationalisieren. Das Wort Nationalisierung wird nur von den anderen Parteien nicht gerne verwendet, es steckt national drin, das möchte man nicht. Man ist da sehr europafixiert“, erklärt er.
Beim Thema Digitalisierung ist Schneider laut eigener Aussage „quer“ mit seiner Partei. Die stellt sich nämlich in ihrem Wahlprogramm ganz klar gegen den eingeschlagenen Weg der elektronischen Patientenakte und spricht sich stattdessen für eine lokale Speicherung bestimmter Daten auf der Versicherungskarte eines jeden Patienten aus. Schneider hingegen ist großer Befürworter der ePA, wie er im Gespräch betont. Er sieht auch die Datenschutzprobleme, die von vielen hervorgebracht werden nicht. „Man kann heutzutage alles hacken. Aber, wo ist das Interesse an den Röntgenbildern von Tante Erna? Was will man damit machen? Wenn man sich in die Datenbank von Daimler oder Siemens einhackt, ist das natürlich anders.“ Schneider sieht vor allem die Vorteile der Digitalisierung, zum Beispiel könne man Arzneimittel effizienter einsetzen, denn in den Patientendaten steckten viele bislang ungenutzte Zusatzinformationen. Er will daher auch in seiner Partei noch einmal die „Werbetrommel rühren“ für die digitale Patientenakte. |
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