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Beratung

Wenn die Angst im Nacken sitzt

Nackenschmerzen können auch psychisch bedingt sein

Das Sprichwort: „Die Angst sitzt mir im Nacken“ deutet auf den engen Zusammenhang zwischen Nackenbeschwerden und psychischen Symptomen hin. Wenn die in der Selbstmedikation empfehlenswerten Mittel nicht zur Schmerzlinderung führen, sollte auch an Überforderung, Migräne oder Depression als Ursache gedacht werden.

Nackenschmerzen, häufig kombiniert mit Schulterbeschwerden, haben laut der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien (DEGAM) in den meisten Fällen keine schwerwiegende Ursache (s. Kasten „Einteilung der Nackenschmerzen“). Sie bessern sich häufig spontan, können jedoch rezidivieren. Kunden in der Apotheke kann dann – unter Beachtung von Kontraindikationen und möglichen Wechselwirkungen – zur kurzfristigen Anwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac geraten werden (s. Tab.). Betroffene fragen häufig nach topischen Präparaten, denn der Massageeffekt beim Auftragen durchblutet die betroffenen Areale stärker, was zusätzlich zur Schmerzlinderung beitragen kann. Auch Vollbäder (z. B. mit Benzylnicotinat) sowie Salben und Pflaster, zum Beispiel mit hyperämisierenden Wirkstoffen wie Capsaicin oder Nonivamid, können durch die starke Wärmeentwicklung Verspannungen lösen.

Tab.: Zur Therapie nichtspezifischer Nackenschmerzen stehen verschiedene Optionen für die Selbstmedikation zur Verfügung [Lauer-Fischer-Taxe].
Anwendungsart
Wirkstoff
Präparate (Beispiele)
oral
Diclofenac
Voltaren® Dolo Tabletten
Ibuprofen
Dolormin® extra Filmtabletten
Naproxen
Naproxen-ratiopharm® Filmtabletten
extern
(Salben, Gele, Cremes, Einreibungen)
Diclofenac
Voltaren® Schmerzgel
Ibuprofen
Ibutop® Schmerzgel
Felbinac
Thermacare® Schmerzgel
Methylnicotinat
Kytta® Wärmebalsam
Nonivamid
Finalgon® Wärmesalbe duo
Capsaicin
Finalgon® CPD Wärmecreme
Latschenkiefernöl
Allgäuer® Latschenkiefer Arnika extra stark
homöopathische Zubereitung
Traumeel® Salbe
Beinwell-Extrakt
Kytta® Schmerzsalbe
Spray
Etofenamat
Traumon® Spray
Bäder
Benzylnicotinat
Pernionin® Thermobad
Rosmarin-Extrakt
Weleda® Aktivierungsbad
Pflaster, Umschläge
Capsaicin
ABC Wärmepflaster Capsicum
Nonivamid
ABC Wärmepflaster sensitiv
Diclofenac
Flector® Schmerzpflaster
Ibuprofen
Nurofen® 24-Stunden-Schmerzpflaster
physikalisches Wirkprinzip
Thermacare® Wärm­eumschläge

Wann zum Arzt?

Es gibt allerdings auch einige ernsthafte Erkrankungen, die Nackenbeschwerden auslösen können. Hinweise darauf sind beispielsweise eine vorangegangene Verletzung wie ein Unfall (Schleudertrauma) oder ein Sturz, Osteoporose oder Tumorerkrankungen, Krankheiten des rheumatischen Formenkreises, Fieber oder Lähmungserscheinungen. Werden diese als Ursache vermutet, sollten Betroffene bereits bei leichten Beschwerden einen Arzt aufsuchen. Wenn sich herausstellt, dass keine schwerwiegenden Erkrankungen die Ursache sind, verordnen Hausärzte bei Nackenbeschwerden häufig Krankengymnastik. Denn Schonung oder das Ruhigstellen mittels einer „Halskrause“, falls der Schmerz sich bis in den Halsbereich ausgebreitet hat, gelten heute als obsolet. Krankengymnastische Übungen zur Lockerung von Verspannungen sollten auch über den Physiotherapie-Termin hinaus zuhause praktiziert werden (s. Abb.). Außerdem empfiehlt die DEGAM, dass Betroffene – so früh es der Schmerz zulässt – ihre Alltagstätigkeiten wieder auf­nehmen. Empfehlenswert sind laut DEGAM je nach Trainingszustand außerdem Spazierengehen, Walking oder Jogging. Dagegen sollten sport­liche Aktivitäten, die mit relativ starren Haltungen ver­bunden sind (z. B. Radfahren), vorerst vermieden werden. Auch Akupunktur, Stretching, spezielle Kräftigungsübungen und Yoga können eine hilfreiche Option bei Nackenschmerzen sein.

Abb.: Übungen für den Nacken 1: Aufrecht stehen, Arme hängen lassen und Schultern senken. Beide ausgestreckten Arme langsam anheben, bis sie im rechten Winkel vom Körper abstehen wie die Tragflächen eines Flugzeugs. Im Nacken und in den Armen sollte es ziehen. Die Endposition muss nicht erreicht werden, die Arme nur so weit heben, wie das Muskel­ziehen gerade noch angenehm ist. Einige Minuten die Spannung halten. 2: An einer ebenen Fläche (z. B. einer Wand) so anlehnen, dass Hinterkopf und Schultern fest an die Wand gedrückt sind. Nun versuchen, den Bereich der Halswirbelsäule ebenfalls in Richtung Wand zu drücken. Den Druck für einige Minuten halten. [nach: DEGAM-Patienteninformation]

Psychische Erkrankungen als Ursache

Vorsicht ist geboten, wenn sich die Beschwerden mit den genannten Maßnahmen nicht lindern lassen. Dann sollten auch psychische Ursachen in Betracht gezogen werden. Psyche und körperliches Symptom beeinflussen sich dabei oft wechselseitig: Einerseits können körperliche Beschwerden ein Warnzeichen für eine noch unerkannte psychische Störung sein. Andererseits kann beispielsweise eine unbehandelte Depression dazu führen, dass vorübergehende Nacken- oder Rückenschmerzen chronifizieren. Denn typische Depressions-Symptome wie verminderter Antrieb, gekoppelt mit erhöhter Ermüdbarkeit und Interessenverlust, haben häufig Bewegungsarmut und Anspannungen zur Folge. Wird eine Depression als Ursache für die Nackenschmerzen vermutet, sollte so schnell wie möglich fachärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.

Einteilung der Nackenschmerzen

nach der Dauer

  • akut: bis zu drei Wochen
  • subakut: vier bis zwölf Wochen
  • chronisch: länger als zwölf Wochen

nach der Ätiologie

  • nicht spezifisch: keine spezi­fische behandlungs- oder abklärungsbedürftige Ursache
  • spezifisch: Verdacht auf radikuläre Reizung, Trauma, nach Operation, Systemerkrankung etc.

Untypische Migräne-Symptome

Neben den typischen pochenden Kopfschmerzen können bei Migräne auch Nackenschmerzen sowie schmerzhafte Symptome im Gesicht, in den Augen oder Zähnen auftreten. Ursache dieses Phänomens sind wahrscheinlich Wechselwirkungen zwischen dem Trigeminusnerv mit seinen drei Seitenästen und dem großen Hinterhauptsnerv (Nervus occipitalis major), der über Hinterkopf und Nacken verläuft. Bei Migräne ist die Aktivität des Trigeminusnervs erhöht, der für die Wahrnehmung von Schmerzen im Gesicht, dem vorderen Kopf und den Hirnhäuten zuständig ist. Der große Hinterhauptsnerv innerviert nicht nur den Hinterkopf sensibel, sondern besitzt auch motorische Äste zu Muskeln im Nackenbereich wie dem Musculus semispinalis capitis. Berichten Kunden über Nackenschmerzen und zusätzliche Beschwerden im Gesicht, im Augen- oder Zahnbereich, sollte ihnen die Abklärung durch einen Neurologen empfohlen werden, da eine Migräne-spezifische Behandlung notwendig sein kann.

Einfluss von Stress auf die Muskulatur

Auch Herausforderungen im Alltag oder im Berufsleben, landläufig als Stress bezeichnet, führen häufig zu Nackenverspannungen und Schmerzen. Der Begriff Stress wird aus dem Englischen mit Druck oder Anspannung übersetzt, das Ursprungswort im Lateinischen ist stringere (anspannen). Laut Sportwissenschaftler Jan Lingen kommt es dabei zu zwei nicht miteinander zu vereinbarenden Tendenzen: Wenn wir glauben, einer Herausforderung nicht gewachsen zu sein, möchten wir uns davor schützen, machen uns klein, die Beugermuskulatur im Nacken wird aktiviert. Wenn es aber dennoch notwendig ist, zu handeln, werden im Körper, speziell auch im Halsbereich, die Streckermuskeln aktiviert. Der Versuch, ein Gelenk gleichzeitig zu beugen und zu strecken, führt zwangsläufig zu einer großen Anspannung, die auch chronifizieren kann. Denn wenn Stress, Ängste oder Sorgen nicht nachlassen, bleibt die Anspannung bestehen. Ein möglicher Weg zur Entspannung ist laut Lingen die komplette Annahme des momentan unlösbaren Problems. Gezielte Massagen des Nackenbereiches, sanfte Yoga-Formen oder die progressive Muskelentspannung können unterstützen. |

 

Literatur

Angst und depressive Symptome können anhaltende Rückenschmerzen verursachen. Pressemeldung der Neurologen und Psychiater im Netz, Stand: 20. April 2015, www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/ratgeber-archiv/meldungen/article/angst-und-depressive-symptome-koennen-anhaltende-rueckenschmerzen-verursachen/

Lingen J. Nackenschmerzen Ursachen – psychisch, www.youtube.com/watch?v=LB_52tBcWxo, Abruf am 3. August 2021

Migräne kann auch Nackenschmerzen verursachen. Pressemeldung der Neurologen und Psychiater im Netz, Stand: 11. Mai 2017, www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/ratgeber-archiv/meldungen/article/migraene-kann-auch-nackenschmerzen-verursachen

Nackenschmerzen. S1-Handlungsempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, DEGAM-Leitlinie Nr. 13, AWMF-Register-Nr. 053-007, gültig bis Juni 2021 (in Überarbeitung), www.degam-leitlinien.de

Neubeck M. Evidenzbasierte Selbstmedikation. 5. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag 2021

Scherer M, Plat E. Nackenschmerzen. Patienteninformation der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM), Stand 2009

Unipolare Depression. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie, Langfassung, 2. Auflage (Version 5) 2015, AWMF-Register-Nr.: nvl-005

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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