Arzneimittel und Therapie

Alleskönner Taxifolin?

Was das Flavonoid in Nahrungsergänzungsmitteln leisten kann

Seit etlichen Jahren drängen immer neue Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt. Eine große Gruppe bilden die sogenannten Antioxidanzien, die in Form von Extrakten oder Reinsubstanzen angeboten werden. Neben den Vitaminen C und E spielen in diesem Bereich pflanzliche Sekundärstoffe eine große Rolle. Üblicherweise handelt es sich um polyphenolische Verbindungen, die aufgrund ihrer Struktur freie Radikale neutralisieren können und denen daher eine Vielzahl positiver Eigenschaften unter anderem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und im Rahmen der Krebsprävention nachgesagt werden.

Eine bedeutsame Untergruppe aus dem Bereich der Antioxidanzien stellen die Flavonoide dar. Es handelt sich um meist gelb gefärbte (flavus = gelb) pflanzliche Sekundärstoffe, die praktisch ubiquitär verbreitet sind. In Europa nimmt jeder Einwohner, selbstverständlich abhängig von individuellen Ernährungsgewohnheiten, etwa 200 bis 600 mg Flavonoide am Tag mit der Nahrung zu sich [1]. Zusätzlich werden Flavonoide – wie z. B. das Quercetin oder auch das verwandte Epigallocatechin – als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.

Foto: Lena_viridis/AdobeStock

Abb. 1: Strukturen von Taxifolin, einem Flavanonol, und dem Flavonol Quercetin.

Bekannt aus der Mariendistel

Aktuell wird mit dem Taxifolin eine weitere Substanz aus dieser Gruppe verstärkt beworben. Taxifolin – oder auch Dihydroquercetin – ist ein Flavanonol (s. Abb. 1), das heißt, ihm fehlt die charakteristische C2,C3-Doppelbindung im C-Ring und somit auch die typische gelbe Färbung. Es ist sowohl als Aglykon als auch in Form von Glykosiden in verschiedenen Pflanzen enthalten, allerdings sind Flavanonole prinzipiell wesentlich seltener als die entsprechenden Flavonol-Derivate. Eine bekannte Arzneipflanze, die Taxifolin enthält, ist die Mariendistel. Hier ist es Baustein der charakteristischen hepatoprotektiven Flavonolignane, die als Silymarin bezeichnet werden, es kommt aber auch in freier Form vor. Daneben wurde Taxifolin unter anderem in Zwiebeln, Apfelschalen, Zitrusfrüchten und in bestimmten Nadelbäumen wie der französischen Seekiefer (Pinus pinaster), der dahurischen Lärche (Larix gmelinii) oder der sibirischen Lärche (Larix sibirica,

s. Abb. 2) nachgewiesen [2]. Letztere dient auch der industriellen Gewinnung, bei der das Flavonoid aus Stamm­enden, die bei der Holzgewinnung als Abfallprodukte anfallen, extrahiert wird. Ein Extrakt aus der dahurischen Lärche, der 90% Taxifolin enthält, wird unter dem Namen Lavitol® zur Produktion von Nahrungsergänzungsmitteln vermarktet und ist in der Europäischen Union als neuartiges Lebensmittel anerkannt [3].

Abb. 2: Taxifolin wird industriell aus der sibirischen Lärche (Larix sibirica) gewonnen.

Zahlreiche In-vitro-Studien ...

Wie für viele weitere Flavonoide, so existieren auch zur Aktivität des Taxifolins zahlreiche In-vitro-Studien, die unter anderem antioxidative, antientzündliche, neuroprotektive, blutdrucksenkende, krebshemmende und chemopräventive Eigenschaften nahelegen [4]. Eng mit der antioxidativen Wirkung verknüpft sind positive Effekte auf verschiedene Parameter, die mit einem gesunden Herz-Kreislauf-System und einer Blutdrucksenkung assoziiert sind. So führt die Applikation von Taxifolin zu einer Relaxation von isolierten Aorten-Ringen, außerdem zu einer Erhöhung der endothelialen Stickstoffmonoxid(NO)-Produktion und zur Hemmung des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE). Darüber hinaus werden die Fließeigen­schaften des Blutes verbessert und die Oxidation von Lipiden reduziert. Auch in bestimmten Tiermodellen konnten ein blutdrucksenkender Effekt von Taxifolin und eine Reduktion der Viskosität des Blutes gezeigt werden, allerdings war dieses Ergebnis nicht in allen Studien reproduzierbar [2].

... weisen auf verschiedenepharmakologische und ...

Taxifolin zeigt in vitro außerdem entzündungshemmende Effekte, vermittelt insbesondere über eine Hemmung des Transkriptionsfaktors NF-κB. Dieser Aspekt – in Kombination mit der antioxidativen Wirkung – führte in den letzten Jahren zu einer verstärkten Untersuchung der Substanz im Hinblick auf eine neuroprotektive Wirkung. In einem Mausmodell konnte demonstriert werden, dass Taxifolin im Zentralnervensystem die Ablagerung von β-Amyloid-Peptiden, die mit der Entstehung von Demenz-Erkrankungen assoziiert sind, reduzieren kann. Die orale Gabe des Flavanonols bewirkte dabei pleiotrope neuroprotektive Effekte, womit gleichzeitig gezeigt werden konnte, dass Taxifolin oder dessen aktive Metabolite in der Lage sind, zumindest bei Mäusen in ausreichender Konzentration die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, um dort die entsprechenden pharmakologischen Targets zu erreichen [5].

... antikanzerogene Effekte hin

In einer Vielzahl von Studien wurde zudem die antikanzerogene und auch chemopräventive Wirkung des Taxifolins analysiert. Die Wachstumshemmung verschiedener Krebszelllinien beruht unter anderem auf einer Beeinflussung des Zellzyklus, pro-apoptotischen Effekten, Hemmung des EGF (epidermaler Wachstumsfaktor)-Rezeptors und der Hemmung verschiedener Kinasen [4]. Aber auch bei der ­Prävention von Krebserkrankungen könnte das Taxifolin eine Rolle spielen. So wurde in einem Mausmodell nach topischer Applikation die Entstehung von UV-Licht-induzierten Hautkrebsläsionen reduziert [6], während in einer anderen Arbeit die Modulation verschiedener, mit Krebserkrankungen assoziierter Gene durch Taxifolin demonstriert wurde [7].

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass Taxifolin mittels eines In-silico-Screenings als ein potenzieller Hemmstoff der Protease des SARS-Cov-2-Virus identifiziert wurde [8]. Von diesem computerbasierten Docking-Ergebnis bis hin zu einem Nachweis einer tatsächlichen antiviralen Aktivität am Patienten bleibt allerdings noch viel Forschungsarbeit zu erledigen.

Aber auch in vivo wirksam?

Tatsächlich zeigt das Flavanonol Taxifolin – ähnlich wie viele weitere Flavonoide oder verwandte Substanzen wie z. B. das Epigallocatechin – also eine Vielzahl interessanter Aktivitäten sowohl in In-vitro-Untersuchungen als auch in einzelnen Tiermodellen. Ob diese Befunde sich aber auch auf die Anwendung am Menschen übertragen lassen, ist bisher nicht untersucht. In diesem Zusammenhang ergeben sich hinsichtlich der klinischen Anwendung von Flavonoiden verschiedene Fragestellungen. Zum einen ist zu klären, ob überhaupt ausreichende Mengen aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, dies scheint bei Taxifolin nach bisherigem Kenntnisstand der Fall zu sein [2, 5]. Flavonoide werden allerdings im menschlichen Organismus auch umfangreich metabolisiert, so dass In-­vitro-Ergebnisse mit Reinsubstanzen auf jeden Fall einer Bestätigung durch klinische Untersuchungen bedürfen. Vor dem Hintergrund der Verwendung von Taxifolin als Nahrungsergänzungsmittel stellt sich zudem die Frage nach Dosierung und Sicherheit. Der für diesen Zweck vorgesehene Extrakt der dahurischen Lärche soll in Nahrungsergänzungsmitteln in einer Konzentration von 100 mg eingesetzt werden, eine Dosierung, die von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als unbedenklich eingestuft wird [3]. Diese Menge ist sicherlich auch vor dem Hintergrund der bereits oben diskutierten ernährungsbedingten Zufuhr von 200 bis 600 mg Flavonoiden/Tag als durchaus relevant anzusehen. Ob man seiner Gesundheit damit allerdings tatsächlich in gleichem Umfang nützt, wie mit der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen ausreichenden Versorgung mit Vitaminen und pflanzlichen Sekundärstoffen in Form von frischem Obst und Gemüse – diese Frage ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht zu beantworten. |

Literatur

[1] Zamora-Ros R et al. Dietary polyphenol intake in Europe: The European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) study. European Journal of Nutrition 2016;55:1359-1375

[2] Bernatova I, Liskova S. Mechanisms Modified by (−)-Epicatechin and Taxifolin Relevant for the Treatment of Hypertension and Viral Infection: Knowledge from Preclinical Studies. Antioxidants 2021;10:467-493

[3] Turck D et al. Scientific Opinion on taxifolin-rich extract from Dahurian Larch (Larix gmelinii). European Food Safety Authority (EFSA) Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA) 2017;15:e04682. doi: 10.2903/j.efsa.2017.4682

[4] Sunil, C, Xu B. An insight into the health-promoting effects of taxifolin (dihydroquercetin). Phytochemistry 2019;166:112066. doi: 10.1016/j.phytochem.2019.112066

[5] Inoue, T et al. Pleiotropic neuroprotective effects of taxifolin in cerebral amyloid angiopathy. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 2019;116:10031-10038

[6] Oi, N et al. Taxifolin suppresses UV-induced skin carcinogenesis by targeting EGFR and PI3K. Cancer Prevention Research 2012;5:1103-1114

[7] Lee S et al. The chemopreventive effect of taxifolin is exerted through ARE-dependent gene regulation. Biological & Pharmaceutical Bulletin 2007;30:1074–1079

[8] Fischer A et al. Potential Inhibitors for Novel Coronavirus Protease Identified by Virtual Screening of 606 Million Compounds. International Journal of Molecular Sciences 2020;21:3626-3642

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems

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