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Das Honorar hängt vom Erfolg ab

Zur Bundestagswahl 2021: SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar im DAZ-Interview

eda/mp | Viele Wähler sind unsicher, wofür die SPD genau steht. Bei der Apotheken-Politik ist die Linie der Partei klarer. Im Gespräch mit der DAZ-Redaktion ist sich die sozialdemokratische Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar sicher: Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz habe Apotheker als Heilberufler unterstützt und Offizinen nachhaltig geholfen. Wie angemessen die Dienstleistungs-Honorare sind, müsse die Praxis zeigen. Doch als notleidend empfindet sie die Apotheken in Deutschland derzeit nicht.
Foto: Maximilian König

Sabine Dittmar ist Hausärztin und seit 40 Jahren Mitglied der SPD. Seit acht Jahren sitzt die Bundestags­abgeordnete für ihre Partei im Ausschuss für Gesundheit.

DAZ: Frau Dittmar, hat sich Ihre Meinung zu öffentlichen Apotheken während der Pandemie-Monate verändert?

Dittmar: Die Pandemie hat mein Bild von der Apotheke nicht verändert, sondern nur bestätigt. Ich habe während meiner Tätigkeit als Hausärztin eng mit Apotheken zusammengearbeitet und wusste vor der Pandemie, wie wichtig diese Arbeit ist.

DAZ: Sollen die Regelungen um die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung verstetigt werden?

Dittmar: Trotz der Corona-Sonderregelungen konnten die Krankenkassen so viele Einsparungen mit Rabattverträgen erzielen wie noch nie zuvor. Daher müsste man sich in der nächsten Legislaturperiode anschauen, ob es weiteren Regelungsbedarf gibt. Wenn Bürokratie abgebaut werden kann, ohne dass es Mehrkosten ver­ursacht oder zulasten der Solidar­gemeinschaft geht, bin ich immer dafür.

DAZ: Reicht das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) aus, um die Apothekenlandschaft zu erhalten?

Dittmar: Mit dem Gesetz wurden viele Maßnahmen getroffen, um die Apotheken vor Ort zu stärken. Ich bin dankbar, dass sich das Bundes­gesundheitsministerium unserem Vorschlag angeschlossen hat, das Rx-Boni-Verbot im Sozialrecht zu verankern. Besonders wichtig finde ich, dass das VOASG die Expertise der Apotheker in den Vordergrund rückt. Sie sind keine reinen Verkäufer, sondern Angehörige eines Heilberufes. Daher finde ich die Dienstleistungsverträge, die der DAV mit dem GKV-Spitzenverband verhandelt, gut. Auch die Grippeimpfung in Apotheken war mir ein wichtiges Anliegen, auch wenn sie nicht im VOASG, sondern schon im Masernschutzgesetz auf den Weg gebracht wurde.

DAZ: Sollten Apotheker bald auch andere Impfungen anbieten können?

Dittmar: Ich kann mir vorstellen, dass Impfungen mit regionalen Schwerpunkten – wie die FSME-Impfung – in Apotheken angeboten werden könnten. Die Evaluation der Modellprojekte zur Grippeimpfung wird hier sicher mehr Aufschluss bringen. Impfungen für Kinder sollten aber in den Händen von Kinder- und Jugendärzten bleiben.

DAZ: Käme für Sie eine regulierte Cannabisabgabe über Apotheken infrage?

Dittmar: Cannabis könnten Apotheken abgeben, sie müssten aber nicht. Unsere Fraktion hat vor zwei Jahren ein Konzept für eine neue Drogen­politik entwickelt. Wir wollen die regulierte Abgabe in Modellprojekten erproben. Mittlerweile sind alle – bis auf ein paar Unionsabgeordnete – der Meinung, dass die Verbotspolitik im Umgang mit Cannabis gescheitert ist. Wir wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Modelle wie ankommen.

DAZ: Welchen Einfluss wird das E-Rezept auf die Versorgung der Patienten haben?

Dittmar: Die Digitalisierung wird die Versorgung grundsätzlich verändern. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Menschen für digitale Formen offen sind – auch wenn der persönliche Kontakt nicht überall ersetzt werden kann. Doch nach meinem Empfinden geht der Prozess zu langsam voran. Bisher nutzt noch niemand der Ärztinnen und Ärzte in meinem Bekanntenkreis die elektronische Patientenakte. Ich hätte mir mehr erwartet.

DAZ: Denken Sie, wir müssen die Arzneimitteltherapiesicherheit für die Patienten verbessern?

Dittmar: Auf jeden Fall. Vor allen Dingen im Bereich der Polymedikation ist noch viel zu tun. Hier setze ich auf die Beratungskompetenz der Apotheker. Die Apotheker müssen gute Modelle in die Verhandlungen einbringen, die die Versorgung sicherer machen.

DAZ: Werden sich der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband einigen können?

Dittmar: Ich bin ein großer Fan der Selbstverwaltung, weil die Beteiligten am besten wissen, welche Fragen in der Praxis zu klären sind. Wenn keine Einigung zustande kommt, sind Konfliktlösungsverfahren wie Schieds­stellen wichtig.

DAZ: Reichen die 150 Millionen Euro aus, die der GKV-Spitzenverband jährlich für pharmazeutische Dienstleistungen investieren soll?

Dittmar: Es geht nicht darum, notleidende Apotheken zu unterstützen, sondern gute Lösungen für eine bes­sere Versorgung der Patientinnen und Patienten zu finden. Wenn das funktioniert, dann ist das gut angelegtes Geld. Wie angemessen das Honorar ist, wird sich am Erfolg feststellen lassen müssen.

DAZ: Wie kann die Arzneimitteltherapie für Patienten im Krankenhaus sicherer werden?

Dittmar: Aktuell müssen nur in Niedersachsen Stationsapotheker beim Medikationsprozess eingebunden werden. Das sollte der Standard sein. Ein pharmazeutischer Blick auf die Medikation schadet nie.

DAZ: Wie soll die Arzneimittelversorgung in struktur- und einkommensschwachen Regionen gelingen?

Dittmar: Auch wenn die absolute Zahl der Apotheken zurückgeht, sehe ich hier keinen Handlungsbedarf. Denn es öffnen mehr Filialen und auch die Zahl der Angestellten wächst. Mithilfe der modernen Medien muss nicht mehr in jedem kleinen Ort eine Apotheke vorhanden sein. Die Versorgung mehrerer Dörfer im Umkreis wird mit Einführung des E-Rezeptes noch einfacher. Dass wir den Botendienst nun dauerhaft vergüten, war auch ein wichtiger Schritt.

DAZ: Ihre Partei will in unterver­sorgten Regionen Dienstleistungs­zentren aufbauen. Wie könnten Apotheken beteiligt werden?

Dittmar: Wir wollen regionale Gesundheitszentren etablieren, die mit einem staatlichen Budget autonomer planen können. Sie sollen einen fließenden Übergang zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ermöglichen. Wir planen, Standorte auszuwählen, in deren Nähe Apotheken sind. Neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung gehören auch Arzneimittel zur Daseinsvorsorge.

DAZ: Warum sind Dienstleistungs­zentren wichtig?

Dittmar: Viele Regionen sind unterversorgt. Dort gibt es kaum spezia­lisierte Praxen. Gleichzeitig sind andere Regionen überversorgt. Wir müssen daher beginnen, Struktur­politik zu betreiben. Wir brauchen überregionale Zentren und eine gute regionale Versorgung. Diese Teilbereiche müssen wir miteinander vernetzen. Auch ist es an der Zeit, unsere Krankenhäuser digital auf­zurüsten. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland zurück.

Grafik: Margarita/AdobeStock

DAZ: Wie können Sie sich erklären, dass in den letzten acht Jahren, in denen Ihre Partei an der Regierung beteiligt war, nicht viel bei den angesprochenen Baustellen passiert ist?

Dittmar: Ich kann mich an keine Wahlperiode erinnern, in der so viel – auch strukturell – auf den Weg gebracht worden ist, wie in der vergangenen – trotz Corona. Allerdings sind wir in der Tat nicht zufrieden bei den notwendigen Reformen der Krankenhausversorgung und bei der sektorenübergreifenden Versorgung.

DAZ: Welche Maßnahmen könnten die Versorgung verbessern?

Dittmar: Nach dem Grundgesetz bleiben Krankenhausinvestitionen Sache der Länder, doch diese sind ihren Aufgaben nicht nachgekommen. Gleichzeitig ist ein massiver Investitionsstau entstanden – bei der Bildung, beim ­Digitalen, beim Bau und im Gesundheitswesen. Wir brauchen einen neuen Plan, bei dem auch Teilbezuschussungen durch den Bund eine Rolle spielen. Klar ist: So kann es nicht weitergehen. Bei der sektorenübergreifenden Versorgung hätten wir mehr erreichen können, wenn uns Corona nicht dazwischen gekommen wäre.

DAZ: Deutschland ist im Durchschnitt das zweitälteste Land der Welt, allem Anschein nach werden die GKV-Kosten im nächsten Jahrzehnt stark steigen. Reicht zur Finanzierung die Idee einer Bürgerversicherung aus, für die sich Ihre Partei einsetzt?

Dittmar: Die Bürgerversicherung wäre ein erster, wichtiger Schritt. Es wird darauf ankommen, die Finanzierungsbasis der GKV zu verbreitern, d. h. es sollen mehr Personen in die GKV und weitere Einkommensteile sollen verbeitragt werden. Der Erfolg hängt davon ab, wie die Bürgerver­sicherung ausgestaltet wird. Echte Wahlmöglichkeiten für Beamte halte ich für eine kluge und gerechte Idee. Wir werden aber auch über die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze nachdenken müssen. Werden die Beiträge der Bürger nur vom Arbeitseinkommen abhängig sein oder traut sich der Gesetzgeber, auch Mieteinnahmen und Vermögenswerte heranzuziehen? Dennoch werden wir in den nächsten Jahren nicht ohne einen höheren Bundeszuschuss auskommen. Es wäre fatal, den wirtschaftlichen Aufschwung – nachdem wir die Pandemie überwunden haben – durch steigende Sozialversicherungsbeiträge zu be­lasten. Deshalb ist die Sozialgarantie der Bundesregierung für Arbeit­nehmer und -geber so wichtig. Ich bin Olaf Scholz dankbar, dass er die nötigen Haushaltsmittel zugesagt hat, damit die Beitragssätze auch im nächsten Jahr stabil bleiben. Ein wichtiger Faktor der steigenden GKV-Ausgaben ist auch, dass immer mehr hochpreisige Arzneimittel auf den Markt kommen. Wir müssen überlegen, ob wir das AMNOG-Modell weiterentwickeln müssen, sodass die Krankenkassen nicht zu hohe Ausgaben für Arzneimittel stemmen, die die Erwartungen nicht erfüllen können.

DAZ: Sehr geehrte Frau Dittmar, vielen Dank für das Gespräch. |

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