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Zwei Zulassungen, (k)eine Empfehlung und eine Einladung

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Inzwischen haben wir mit Comirnaty® und Spikevax zwei mRNA-Impfstoffe, die zur Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren von der EMA zugelassen sind. Zugelassen heißt jedoch nicht empfohlen! Für die Impfempfehlungen ist die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut STIKO zuständig – und wie viele vielleicht mit Überraschung festgestellt haben – für das Bundesland Sachsen die SIKO, die Sächsische Impfkommission. Während die STIKO sich bislang nur durchringen konnte, eine Impfempfehlung ab 12 Jahren nur bei bestimmten Vorerkrankungen und nach individueller ärztlicher Aufklärung auszusprechen, ist die SIKO Ende letzter Woche mit einer generellen Impfempfehlung für die 12- bis 17-Jährigen vorgeprescht. Die Verwirrung ist groß.

Die Argumentationslinie der STIKO ist derzeit die, dass Kinder kaum erkranken und wenn, dann nur selten schwer. Dafür müsse nach Impfung gerade bei Kindern und Jugendlichen verstärkt mit einer Myokarditis gerechnet werden. Die SIKO rechnet dagegen vor, dass mit einer (Peri)myokarditis bei 70 von einer Million vollständig geimpften 12- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen zu rechnen ist, bei weiblichen Geimpften in dieser Altersgruppe sind es 10 pro einer Million vollständig Geimpfter. Dagegen würde die Impfung in der männlichen Gruppe zwei Todesfälle, 71 Intensivbehandlungen und 5700 Corona-Infektionen verhindern, in der weiblichen Gruppe einen Todesfall, 38 Intensivbehandlungen und 8500 Infektionen.

Das ist zweifelsohne ein Nutzen-Risiko-Verhältnis, das Spielraum für Interpretationen lässt. Die nackten Zahlen werfen Fragen auf, beispielsweise die, wie schwer eine Myokarditis nach Impfung verläuft, mit welchen Langzeitfolgen zu rechnen ist, aber auch die, wie die Langzeitfolgen einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung inklusive der auch hier auftretenden Myokarditiden sind. Auf Basis dieser Daten die einzig richtige Empfehlung zu geben, ist Stand heute nahezu unmöglich.

Und nun kommt noch die Politik ins Spiel (s. S. 10). Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder hat einstimmig beschlossen, allen Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren ein niederschwelliges Impfangebot zu machen, nach Aufklärung und ggf. mit Zustimmung der Eltern. Wahlkampfgetöse poltern Gegner dieser Empfehlung – so zum Beispiel der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Ulrich Weigeldt. Man wolle davon ablenken, dass die Hausaufgaben für einen sicheren Präsenzunterricht nicht gemacht worden sind. Dagegen befürwortet der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, die Impfung ab 12 Jahren. Er fordert von der STIKO eine zeitnahe Neubewertung. Noch deutlicher wird SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der der STIKO schlicht eine „Außenseiterposition“ bescheinigt.

Und so verwundert es nicht, wenn jetzt von einer Demontage der STIKO durch die Politik die Rede ist. Das will Spahn entkräften und betont, man bewege sich mit dem „Angebot“ im Rahmen der STIKO-Empfehlung, die ja auch eine Impfung auf Wunsch nach intensiver ärztlicher Aufklärung befürworte. Doch Spahn will das Angebot als „Einladung“ verstanden wissen, die STIKO hingegen als „Ausnahme“.

Hoffen wir, dass die Betroffenen trotz aller Irritationen die für sie richtige Entscheidung fällen. Immerhin sind schon 20% der 12- bis 17-Jährigen in Deutschland geimpft. Viele dieser Altersgruppe werden sich vor dem Hintergrund immer noch mangelnder Hygienemaßnahmen wie fehlender Luftfilter in Klassenzimmern mit einer Impfung einfach sicherer fühlen. Sie werden die „Einladung“ bestimmt dankend annehmen.

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