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Pandemie Spezial

Schwangere durch Impfung schützen?

Neue Daten weisen auf höheres Gefährdungspotenzial durch neue Varianten hin

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO ist eine COVID-19-Erkrankung während der Schwangerschaft mit ernst zu nehmenden Gefahren für Mutter und Kind verbunden. Unklar ist bislang, welchen potenziellen Einfluss die zirkulierenden SARS-CoV-2-Varianten auf den Gesundheitszustand der Schwangeren und den ihres ungeborenen Kindes im Falle einer Infektion haben. Hierzu liefern britische Forschende nun neue Daten und nehmen die Ergebnisse ihrer Untersuchung zum Anlass, anzumahnen, eine Impfung von Schwangeren vorrangig zu empfehlen, dieses Angebot als Schwangere anzunehmen und Missinformationen über Impfungen zu bekämpfen. | Von Verena Stahl 

Frühe internationale Daten, die aber nur begrenzt auf das deutsche Gesundheitssystem übertragbar waren, malten ein düsteres Bild: Obwohl das von einer COVID-19-Erkrankung ausgehende Gesamtrisiko bei Schwangeren gering ist, lag die mütterliche Mortalität bei 1,6% und war damit im Vergleich zu nicht erkrankten Schwangeren 22-fach erhöht [1]. Einschränkend muss angeführt werden, dass sich die meisten Todesfälle in Ländern mit eingeschränkter Gesundheitsversorgung ereigneten. Jedoch konnten weitere Risiken, wie Schwangerschaftskomplikationen (zum Beispiel Präeklampsien, Thromboembolien) und intensivmedizinische Behandlungen auch in den industrialisierten Ländern ­gehäuft beobachtet werden, wenn Schwangere an COVID-19 erkrankt waren [1, 2, 3]. Besonders gefährdet waren schwangere Frauen, die an Vorerkrankungen litten (Adipositas, Diabetes mellitus, Hypertonie), und bei schweren COVID-19-Krankheitsverläufen. Verschiedene Studien zeigen zudem vielfältige Komplikationen für die Neugeborenen erkrankter Mütter auf. Neben einem deutlich erhöhten Frühgeburtsrisiko verzeichnete man bei maternaler COVID-19-Erkrankung auch eine erhöhte Totgeburtenrate, insbesondere bei schweren Verläufen [1, 2, 3]. Eine Verlegung auf eine neo­natologische Intensivstation erfolgte annähernd fünfmal häufiger als unter normalen Umständen [3].

Zurückhaltende Impfempfehlung

Diesen nicht zu unterschätzenden Risiken stehen vermehrt medizinische Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten gegenüber, allen voran Impfstoffe gegen COVID-19. Allerdings herrscht international kein Konsens bezüglich der Empfehlung einer COVID-19-Impfung in der Schwangerschaft. Deutschland, Frankreich und Kanada empfehlen eine Impfung von Schwangeren mit Vorerkrankungen nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung, während in anderen Ländern wie den USA, Belgien, Israel und Großbritannien Schwangere standardmäßig geimpft werden können. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) begründet ihre Entscheidung, bislang nur besonders gefährdeten Schwangeren ein Impfangebot zu unterbreiten, damit, dass die Datenlage aus kontrollierten Studien limitiert sei [4]. Neben Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem ­damit einhergehenden erhöhten Ri­siko für eine schwere COVID-19-Erkrankung sieht die STIKO auch bei Schwangeren mit erhöhtem Expositionsrisiko aufgrund der Lebensumstände einen gesteigerten Nutzen. Die Impfung kann dann ab dem zweiten Trimenon mit einem mRNA-Impfstoff nach vorausgehender Nutzen-­Risiko-Abwägung und ausführlicher ärztlicher Aufklärung erfolgen [4]. Kritiker bemängeln, dass weder die Art der Vorerkrankung noch konkrete Lebensumstände seitens der STIKO definiert wurden.

Zulassungsstudie und Haftung

Ein Zusammenschluss elf deutscher medizinischer Fachverbände möchte nach Auswertung der wissenschaftlichen Datenlage jedoch noch weiter gehen. In einem Positionspapier machen sie sich für eine uneingeschränkte Impfempfehlung Schwangerer und Stillender stark und ordnen die Impfung als sicher, wirksam und vorteilhaft ein [2]. Zudem führen sie in ihrer Stellungnahme auch den zusätzlichen Nutzen an, den eine Leih- beziehungsweise Nestimmunität für das Neugeborene nach der Geburt bewirken würde [2]. Auf Zulassungsstudien mit Schwangeren muss man derweil wohl noch lange warten. Eine Phase-II/III-Studie von Biontech/Pfizer befindet sich noch in der Rekrutierungsphase und wird schätzungsweise im Sommer 2022 abgeschlossen sein (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT04754594). Immerhin: Die haftungsrechtlichen Fragen rund um die COVID-19-Schutzimpfung für Schwangere sind eindeutig durch § 60 IfSG (Infektionsschutzgesetz) geklärt, wie das Bundesministerium für Gesundheit verlautbaren ließ [5]. Hiernach wird für gesundheitliche Schäden im Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung auch dann eine staatliche Entschädigung geleistet, wenn diese nicht öffentlich von einer Landesbehörde empfohlen worden ist. Dies könnte Schwangeren, denen trotz eindeutiger Risikosituation aus Unsicherheit bislang ein Zugang zur Impfung verwehrt wurde, und ihren Ärzten Sicherheit geben.

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Erhöhte Risiken durch Varianten?

In der hierzulande etwas eingeschlafenen Diskussion zur Impfempfehlung Schwangerer und Stillender lässt nun eine als Preprint veröffentlichte prospektive Beobachtungsstudie aus Großbritannien aufhorchen. Wie verhält es sich bezüglich der genannten Risiken für diese vulnerable Patientengruppe in Zeiten der Virusvarianten? Mit deren zunehmenden Verbreitung könnte sich das Gefährdungspotenzial von SARS-CoV-2 für Schwangere und ihre ungeborenen Kinder noch einmal verändern. Um dieser Frage nachzugehen, wurden umfangreiche Daten des britischen Geburtshilfe-Surveillancesystems UKOSS analysiert, an das sämtliche 194 UK-Krankenhäuser mit Entbindungsstation melden [6]. Eingeschlossen wurden alle ab März 2020 hospitalisierten Schwangeren mit symptomatischer SARS-CoV-2-Infektion (n = 3371), deren Erkrankungsschwere innerhalb dreier Zeiträume miteinander verglichen wurde, in denen jeweils die Wildtyp-, Alpha- und Delta-Varianten in Großbritannien vorherrschten. Ein weiteres Hauptziel dieser Studie war, die Auswirkungen der Infektion auf die Perinatalperiode in den jeweiligen Zeiträumen aufzuzeigen.

Die Frage nach der vorherrschenden Variante

Als große Stärke dieser Studie kann die lückenlose und flächendeckende Erfassung aller Schwangeren mit COVID-19-Erkrankung, die seit dem Beginn der Pandemie in ein Krankenhaus aufgenommen wurden, angesehen werden. Doch Vorsicht, COVID-19 war nicht immer der primäre Aufnahmegrund, und „nur“ bei drei Viertel der Patientinnen war dieser bekannt: 45 Prozent wurden wegen COVID-19 aufgenommen, 30 Prozent wegen der Entbindung und 25 Prozent aus anderen geburtshilflichen Gründen. Als deutliche Limitation dieser Netzwerkanalyse entpuppt sich die Tatsache, dass Sequenzierungsergebnisse in den ausgewerteten Krankenhausunterlagen nicht vorlagen, weshalb die zur Infektion führende Virusvariante auf individueller Ebene nicht ausgemacht werden konnte. Daher behalf man sich damit, Zeiträume zu analysieren, in denen die jeweilige SARS-CoV-2-Variante im Vereinigten Königreich vorherrschend (d. h. zu mehr als 50 Prozent) zirkulierte. Die Perioden erstreckten sich auf Krankenhausaufnahmen vom 1. März bis 30. November 2020 für den Wildtyp, 1. Dezember 2020 bis 15. Mai 2021 für die Alpha-Variante und 16. Mai bis 11. Juli 2021 (dem vorläufigen Ende des Beobachtungszeitraums) für die Delta-Variante. In den unterschiedlich langen Zeiträumen wurden 1435 Schwangere (Wildtyp-Periode), 1765 Schwangere (Alpha-Periode) und 171 Schwangere (Delta-Periode) mit einer COVID-19-Erkrankung in Großbritannien ­hospitalisiert, einfach geimpft waren nur vier Frauen, einen vollständigen Impfschutz hatte niemand [6].

Zunahme der schweren Erkrankungen

Von einer moderaten bis schweren COVID-19-Erkrankung waren 25,0% der hospitalisierten Schwangeren während der Wildtyp-Periode, 35,8% während der Alpha-Periode (adjustierte odds ratio (aOR) 1,75; 95% Konfidenzintervall (KI) 1,48 – 2,06) und 45,0% während der Delta-Periode (aOR 1,53; 95% KI 1,07 – 2,17) betroffen. Die jeweiligen Steigerungen waren dabei gegenüber dem vorherigen Zeitraum klinisch signifikant. In gleicher Abfolge stieg die Wahrscheinlichkeit an, intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen: 7,7% zu 11,3% und zu 15,2%. Im Vergleich zur Wildtyp-Periode benötigten symptomatisch erkrankte Frauen, die in der Alpha-Periode hospitalisiert wurden, öfter eine respiratorische Unterstützung (27,2% versus 20,3%, aOR 1,39; 95% KI 1,13 – 1,78) und zeigten wesentlich häufiger eine Lungenentzündung (27,5% vs. 19,1%, aOR 1,65; 95% KI 1,38 – 1,98). Frauen, die während der Delta-Periode aufgenommen wurden, hatten sogar ein weiter erhöhtes Risiko für eine Lungenentzündung (36,8% vs. 27,5%, aOR 1,64; 95% KI 1,14 – 2,35), und ein Drittel der hospitalisierten Schwangeren benötigte in dieser Zeit nicht näher ­definierte Formen der Atemunter­stützung. Während der Wildtyp-­Periode wurden zehn Todesfälle registriert (0,7% der hospitalisierten Schwangeren mit COVID-19) und fünf während der Alpha-Periode (0,3% der hospitalisierten Schwangeren mit COVID-19). Innerhalb des kurzen letzten Beobachtungszeitraums (Delta-Periode) wurden bis dato noch keine Todesfälle unter hospitalisierten Schwangeren verzeichnet [6].

Corona-Impfung in der Stillzeit

Auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums findet man unter „Zusammen gegen Corona“ folgende Information zur Corona-Impfung in der Stillzeit:

„Auch für die Impfung in der Stillzeit gilt, dass derzeit aufgrund limitierter Datenbasis noch keine generelle Empfehlung der STIKO vorliegt. Allerdings hält es die STIKO für äußerst unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für das gestillte Kind darstellt. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. hatte sich bereits im Mai 2021 gemeinsam mit anderen deutschen Fachgesellschaften für eine priorisierte Impfung auch von Stillenden ausgesprochen. Durch die Impfung gebildete Antikörper würden über die Muttermilch transportiert, gestillte Neugeborene seien somit durch eine Nestimmunität geschützt. Es gibt auch bereits eine Studie, in der nachgewiesen werden konnte, dass sich keine mRNA des Impfstoffs in die Muttermilch der stillenden Frau überträgt.“

Mehr Frühgeburten

Die Beobachtungen, dass hospitalisierte Schwangere mit COVID-19 unter dem Einfluss der Virusvarianten schwerer erkrankt waren als zu Zeiten der Wildtyp-Periode, treffen auch auf die Auswirkungen für die Neugeborenen zu. Der Anteil der Frühgeburten (Entbindung zwischen der 22. und < 28. Schwangerschaftswoche) war im Alpha-Zeitraum mit 1,4 Prozent im Vergleich zum Wildtyp-Zeitraum (0,7%) deutlich erhöht (aOR 2,15; 95% KI 0,97 – 4,76). Die Mehrheit der Neugeborenen wurde lebend geboren, wobei sich der Anteil der Totgeburten in den Zeiträumen nicht unterschied. Annähernd jedes fünfte Baby wurde zur Neugeborenenversorgung zwecks weiterer Beobachtung beziehungsweise Behandlung eingewiesen, wobei das Risiko bei denjenigen Müttern, die in der Alpha-Periode aufgenommen wurden, im Vergleich zur Wildtyp-Periode leicht erhöht war (22,0% vs. 18,7%; aOR 1,23; 95% KI 1,01 – 1,48). Da die meisten Schwangerschaften im aktuellen Delta-Zeitraum noch nicht abgeschlossen waren, wurden zu den Punkten Früh- und Totgeburten sowie Hospitalisierung des Neugeborenen keine Analysen durchgeführt [6].

Impfungen wahrnehmen

Die Autorinnen und Autoren sehen die zunehmenden Krankenhauseinweisungen und schweren Verläufe kritisch und diskutieren vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse, dass Schwangere eine Impfung gegen COVID-19 annehmen und nicht aus Angst oder aufgrund von Missinformationen abwartend reagieren sollten [6]. Die Skepsis ist in Großbritannien unter Schwangeren scheinbar hoch: Bei einer Umfrage der britischen Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im Mai 2021 lehnten von 844 Schwangeren, denen eine Impfung angeboten wurde, 58 Prozent ab, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsbedenken bezüglich der potenziellen Auswirkungen auf die Gesundheit des Ungeborenen [7]. In einer Pressemitteilung des britischen nationalen Gesundheitsdienstes NHS, der die aktuellen Studienergebnisse aufgreift, wird Schwangeren dringend angeraten, sich impfen zu lassen, um Krankenhausaufnahmen, schwere Verläufe und Frühgeburten zu ver­meiden [8]. |

 

Literatur

[1] Villar J et al. Maternal and Neonatal Morbidity and Mortality Among Pregnant Women With and Without COVID-19 Infection – The INTERCOVID Multinational Cohort Study. JAMA Pediatr. 2021. doi:10.1001/jamapediatrics.2021.1050

[2] Konsentiertes Positionspapier elf deutscher Fachverbände. Empfehlung der COVID-19-Impfung für schwangere und stillende Frauen. Stand 05/2021 https://www.dggg.de/fileadmin/data/Stellungnahmen/DGGG/2021/COVID-19_Impfung_bei_schwangeren_und_stillenden_Frauen.pdf (Zugriff am 30.07.2021)

[3] Allotey J et al. Clinical manifestations, risk factors, and maternal and perinatal outcomes of coronavirus disease 2019 in pregnancy: living systematic review and meta-analysis. Update 1. BMJ 2020;370:m3320. (Zugriff am 30.07.2021)

[4] Vygen-Bonnet S et al. Beschluss der STIKO zur 8. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung. Epid Bull 2021;27:14–31 | DOI 10.25646/8776

[5] Bundesministerium für Gesundheit. Corona-Schutzimpfung: Sollten sich Schwangere impfen lassen? 21.07.2021 https://www.zusammengegencorona.de/impfen/familien/corona-schutzimpfung-sollten-sich-schwangere-impfen-lassen/ (Zugriff am 02.08.2021)

[6] Vousden N et al. Impact of SARS-CoV-2 variant on the severity of maternal infection and perinatal outcomes: Data from the UK Obstetric Surveillance System national cohort. 25.07.2021. doi: https://doi.org/10.1101/2021.07.22.21261000 (Zugriff am 02.08.2021)

[7] Royal College of Obstetricians and Gynaecologists. Maternity Colleges express concern over vaccine hesitancy in pregnant women. 10.06.2021. https://www.rcog.org.uk/en/news/maternity-colleges-express-concern-over-vaccine-hesitancy-in-pregnant-women/ (Zugriff am 02.08.2021)

[8] NHS Pressemitteilung. Chief midwife urges pregnant women to get NHS COVID jab. 30.07.2021. https://www.england.nhs.uk/2021/07/chief-midwife-urges-pregnant-women-to-get-nhs-covid-jab/ (Zugriff am 02.08.2021)

 

Autorin

Dr. Verena Stahl ist Apothekerin und wurde an der University of Florida als Semi-Resident im landesweiten Drug Information and Pharmacy Resource Center ausgebildet. Ihre berufsbegleitende Dissertation fertigte sie zu einem Thema der Arzneimitteltherapiesicherheit an.

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