Arzneimittel und Therapie

Therapie für Kälteagglutinin-Krankheit in Sicht

Orphan-Drug Sutimlimab ist vielversprechend

Die Kälteagglutinin-Krankheit ist eine seltene, chronische, hämolytische Autoimmunerkrankung. Betroffene leiden vor allem an schwerer Anämie und Fatigue. Eine speziell dafür zugelassene Therapie gibt es bisher nicht, Studienergebnisse mit dem rekombinanten Antikörper Sutimlimab sind aber vielversprechend.

Die Kälteagglutinin-Krankheit (Cold Agglutinin Disease, CAD) ist für ca. 20% der autoimmunhämolytischen Anämien verantwortlich. Der Erkrankung, die überwiegend Ältere oder Personen mittleren Alters betrifft, liegt eine klonale B-Zell-lymphoproliferative Störung des Knochenmarks zugrunde. Sie wird auch als primäre oder idiopathische Kälteagglutinin-Krankheit bezeichnet. Davon abzugrenzen ist das im Zusammenhang mit einigen Krankheiten (z. B. durch Mycoplasma pneumoniae ausgelöste Pneumonien, Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus und aggressive Lymphome) sekundär auftretende Cold Agglutinin Syndrom mit ähnlicher Symptomatik.

Angriff der Kälteantikörper

Schätzungsweise 12.000 Menschen sind in den USA, Europa und Japan von der primären Kälteagglutininkrankheit betroffen. Die involvierten IgM-Autoimmunantikörper werden auch als Kälteantikörper (Kälteagglutinine) bezeichnet, da sie besonders gut bei niedrigen Temperaturen (Optimum 3 bis 4°C) arbeiten. In vivo binden die Kälteantikörper in kühleren peripheren Regionen an rote Blutzellen und verursachen eine Agglutination, was zu Symptomen wie Akrozyanose und dem Raynaud-Syndrom führen kann. Durch Aktivierung des klassischen Komplementwegs des angeborenen Immunsystems werden körpereigene gesunde rote Blutzellen attackiert und zerstört. Schwerwiegende Auswirkungen der Komplement-vermittelten chronischen Hämolyse sind unter anderem chronische An­ämie und lähmende Fatigue bis hin zur akuten hämolytischen Krise. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse und frühzeitigen Tod. Bakterielle und fieberhafte Infektionen können bei den Patienten eine intravaskuläre Hämolyse auslösen und sollten sofort behandelt werden. Insgesamt ist die Prognose jedoch gut. In einer bevölkerungsbasierten norwegischen Studie betrug das mediane Überleben 12,5 Jahre vom Zeitpunkt der Diagnose und unterschied sich damit nicht signifikant von einer nach Alter gematchten Vergleichsgruppe [1, 2].

Foto: zavgsg/AdobeStock

Warme Kleidung kann bei milden Fällen der Kälteagglutinin-Krankheit die Aktivität der Kälteantikörper herunterfahren.

Therapieoptionen – momentan nur off label

Auch wenn die Krankheit bei einigen Menschen mild verläuft, ist etwa die Hälfte aller Patienten für kürzere oder längere Zeit abhängig von Bluttrans­fusionen. Eine speziell für die Kälte­agglutinin-Krankheit zugelassene Therapie gibt es noch nicht. Therapiemöglichkeiten haben sich aber im Laufe der letzten zwei Dekaden erheblich verbessert. So können in milden Fällen die Vermeidung von Kälte und adäquate Vorsichtsmaßnahmen in speziellen Situationen (z. B. warme Kleidung, keine Infusion kalter Flüssigkeiten) hilfreich sein, und der Einsatz von Arzneimitteln ist nicht unbedingt notwendig. Nicht empfohlen ist eine Behandlung der Erkrankung mit Corticosteroiden. Für Patienten, die eine pharmakologische Behandlung benötigen, stehen off label vor allem der anti-CD20-Antikörper Rituximab als Monotherapie oder in Kombination mit dem Alkylans Bendamustin zur Verfügung, die beide auf die pathogenen B-Zellen ausgerichtet sind. Zweitlinienoptionen sind bei fitten Patienten die Kombination aus Rituximab und dem Purinanalogon Fludarabin. Kommt diese nicht infrage, kann auch eine Behandlung mit dem Proteasom-Inhibitor Bortezomib versucht werden, die allerdings weniger gut dokumentiert ist. Die Kombinationstherapie verspricht ein besseres Ansprechen auf die Therapie, ist aber auch mit einem höheren Risiko für toxische Nebenwirkungen verbunden. Patienten mit akuter schwerer Hämolyse sprechen möglicherweise auch auf den C5-Komplementinhibitor Eculizumab an, der den terminalen Komplementweg blockiert. Vielversprechend sind jüngste Studiendaten zu Sutimlimab, mit dem die Therapie speziell auf den aktivierten klassischen Komplementweg ausgerichtet ist [1, 2, 3].

Kann ein Antikörper Linderung verschaffen?

Sutimlimab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der selektiv an die C1s-Untereinheit des Komplementfaktors C1 bindet. C1s ist als Serinprotease für die Aktivierung des klassischen Komplementwegs verantwortlich und wird dadurch blockiert. So kann die für die Kälteagglutinin-Krankheit charakteristische C1-aktivierte Hämolyse rasch gestoppt und die Zerstörung gesunder roter Blutzellen verhindert werden. Sutimlimab wäre daher insbesondere auch für die Notfallbehandlung geeignet, denn auf eine Rituximab-Therapie sprechen Patienten meist erst nach einigen Monaten an, die bei schweren und intravaskulären Hämolysen durch Bluttransfusionen und Plasmaaustausch überbrückt werden müssen. Keine Wirkung hingegen zeigt Sutimlimab auf Symptome, die aus der kältebedingten Verklumpung roter Blutzellen oberhalb der Komplement-Aktivierung resultieren [2, 4].

Sutimlimab ist momentan von noch keiner Zulassungsbehörde zugelassen. Es hat jedoch von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) die „Breakthrough Therapy Designation“ erhalten, und FDA wie auch europäische (EMA) und japanische (PMDA) Zulassungsbehörden haben ihm den „Orphan Drug“-Status verliehen. Damit sollen klinische Entwicklung und Zulassung erheblich beschleunigt werden. Kürzlich veröffentlichte Daten zweier zulassungsrelevanter Studien unterstreichen das Potenzial von Sutimlimab, die Lebensqualität von Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit zu verbessern [5].

Deutlich reduzierte Fatigue

In der zulassungsrelevanten 26-wöchigen, multizentrischen, offenen Einzelgruppenstudie CARDINAL wurden an 24 erwachsenen Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit, die kürzlich eine Bluttransfusion erhalten hatten, die Wirksamkeit und Sicherheit von Sutimlimab nach intravenöser Gabe untersucht. Primärer Endpunkt war die Normalisierung der Hämoglobinspiegel (≥ 12 g/dl) oder ein Anstieg der Hämoglobinspiegel um ≥ 2 g/dl ausgehend vom Basiswert, ohne Transfusion roter Blutzellen oder durch das Protokoll ausgeschlossene Medikationen. Dieser wurde von 13 Patienten (54%) erreicht. Bereits ab der ersten Woche wurde bei den Studienteilnehmern eine klinisch bedeutsame Reduktion der Fatigue beobachtet, die bis zum Studienende anhielt. Funktionelle Assays zeigten eine rasche Hemmung der Aktivität des klassischen Komplementwegs. Damit einher gingen erhöhte Hämoglobinspiegel, reduzierte Bilirubinspiegel und reduzierte Fatigue [4, 5].

73% der Patienten sprechen auf Therapie an

Erste Ergebnisse der zweiten zulassungsrelevanten Phase-III-Studie zu Sutimlimab für die Behandlung der Kälteagglutinin-Krankheit wurden im Juni auf dem Kongress der European Hematology Association 2021 vorgestellt. Im Rahmen der doppelblinden, placebokontrollierten CADENZA-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Sutimlimab an Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit ohne vorhergehende Bluttransfusion analysiert. 42 Patienten (Durchschnittsalter 66,7 Jahre) wurden in eine Sutimlimab-Gruppe (n = 22) oder eine Placebogruppe (n = 20) randomisiert und erhielten die Studienmedikation als gewichtsbasierte Fixdosis an Tag 0, 7 und dann 14-tägig bis Woche 26 in Form einer intravenösen Infusion. Drei Patienten (14%) in der Sutimlimab-Gruppe brachen die Studie vorzeitig aufgrund unerwünschter Ereignisse ab. 73% der mit Sutimlimab behandelten Patienten erreichten den primären zusammengesetzten Endpunkt (verbesserte Hb-Spiegel ≥ 1,5 g/dl, keine Bluttransfusionen und keine anderen CAD-Therapien). Auch hier zeigten die Daten, dass die Therapie mit Sutimlimab bei Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit eine schnelle und nachhaltige Hemmung der C1-aktivierten Hämolyse bewirkt. Patienten in der Sutimlimab-Gruppe wiesen darüber hinaus im Vergleich zur Placebogruppe eine statistisch signifikante Verbesserung hinsichtlich der Fatigue auf, was anhand des FACIT-Fatigue-Scores ermittelt wurde (10,8 vs. 1,9 Punkte). Eine Erhöhung des Scores um ≥ 5 Punkte war als klinisch bedeutsam definiert [5].

Und wie sicher ist Sutimlimab?

In der CARDINAL-Studie trat bei 22 Patienten (92%) mindestens ein unerwünschtes Ereignis auf, sieben hatten mindestens ein schwerwiegendes Ereignis. Keines davon wurde jedoch vom jeweiligen Prüfarzt mit dem Antikörper in Verbindung gebracht. In CADENZA trat bei 21 Patienten (95,5%) in der Sutimlimab-Gruppe und bei allen Patienten der Placebogruppe mindestens ein unerwünschtes Ereignis auf. Drei Patienten (13,6%) unter Sutimlimab hatten mindestens ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis, wovon eines laut Prüfarzt auf den Antikörper zurückzuführen war (Hirnvenenthrombose bei einem Diabetespatienten). Zu den unter Sutimlimab häufiger auftretenden unerwünschten Ereignisse gehörten vor allem Kopfschmerzen, Hypertonie, Rhinitis, Raynaud-Phänomen und Akrozyanose. Todesfälle wurden nicht gemeldet. Die langfristige Sicherheit von Sutimlimab wird derzeit im noch laufenden unverblindeten Teil B der CADENZA-Studie untersucht [4, 5]. |

Literatur

[1] Berentsen S. How I manage patients with cold agglutinin disease. Br J Haematology 2018;181:320-330

[2] Hill A and Hill QA. Autoimmune hemolytic anemia. Hematology 2018;1:382-389

[3] Berentsen S et al. Cold agglutinin disease: current challenges and future prospects. Journal of Blood Medicine 2019;10:93-103

[4] Röth A et al. Sutimlimab in cold agglutinin disease. N Engl J Med 2021; 384:1323-1334

[5] Pressemitteilung Sanofi, EHA 2021: Phase-III-Daten zu Sutimlimab gegen Kälteagglutininerkrankung vorgestellt. 11. Juni 2021

Apothekerin Dr. Daniela Leopoldt

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