DAZ aktuell

Corona-Impfverordnung im Visier

Eilanträge auf sofortige Impfung landen vor den Gerichten / Fehlt eine Härtefallregelung?

ks | Die Corona-Impfverordnung legt unter anderem fest, welche Personengruppen in Deutschland prioritär gegen COVID-19 zu impfen sind. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass zunächst nicht ausreichend Impfstoff für alle da ist. Doch genügt die Verordnung verfassungsrechtlichen Anforderungen? Daran gibt es Zweifel. Ein Fall aus Hamburg zeigt: Die Gerichte könnten sie durchaus zu Fall bringen.

Die in der Verordnung vorgenommene Priorisierung hat durchaus eine wissenschaftliche Grundlage; sie beruht auf einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO). Doch schon früh kritisierte unter anderem die Opposition im Bundestag, dass eine so wesent­liche Frage, wie die, wer zuerst den Impfstoff erhält, vom Parlament und nicht über eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums geregelt werden müsste. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Gesundheitspolitiker der Großen Koali­tion verteidigten das Vorgehen jedoch. Insbesondere wurde ­argumentiert, dass eine Verordnung flexibler angepasst werden könne.

Zudem sind die Grundzüge der Priorisierung in der Ermächtigungsgrund­lage für die Impfverordnung (§ 20i Abs. 3 SGB V) durchaus genannt: Demnach besteht der Anspruch auf eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 insbesondere für diejenigen, die „aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes ein sig­nifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben, wenn sie solche Personen behandeln, betreuen oder pflegen oder wenn sie in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge und für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung besitzen“. Aber reicht das?

Eine krebskranke Patientin aus Hamburg, die nach den Vorgaben der Impfverordnung nicht in die Gruppe der zuerst priorisierten Anspruchsberechtigten auf eine Impfung zählt, ist bereits vor Gericht gezogen – und hat ihre Impfung mittlerweile erhalten. Dafür musste das Gericht nicht einmal ein Urteil sprechen.

Krebspatientin kämpft um Impfung vor OP und Chemo

Was war geschehen? Der Patientin war kurz vor Start der Hamburger Impfzentren ein Tumor diagnostiziert worden – eine zeitnahe Operation und anschließende Chemotherapie waren bereits vereinbart. Doch mit dieser Erkrankung und aufgrund ihres Alters fällt sie nach den Vorgaben der Corona-Impfverordnung erst in die dritte Personengruppe mit erhöhter Priorität beim Anspruch auf Schutzimpfung. Das heißt: Sie hätte wohl noch Monate auf die Impfung warten müssen. Dabei empfahlen die Ärzte, die Impfung vor der Operation durchzuführen, wenn das Immunsystem noch nicht durch die Therapie geschwächt ist. Eine zusätzliche Infektion mit SARS-CoV-2 in den kommenden Monaten berge für die Patientin ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf. Mit einer Impfung könne dieses Risiko minimiert oder sogar ausgeschlossen werden.

Also zog die Patientin mit einem Eil­antrag gegen die Stadt Hamburg vor das Verwaltungsgericht – ein Hauptsachverfahren hätte viel zu lange gedauert. Sie wollte erreichen, schnellstmöglich eine Impfung zu erhalten. Dazu trug sie vor, dass das grundgesetzlich verankerte Recht auf Leben gebiete, ihr vor ihrer Operation einen Anspruch auf die erste Schutzimpfung einzuräumen. Insoweit verstoße die Impfverordnung gegen das Grundgesetz.

Die Stadt Hamburg trat dem Antrag zunächst entgegen. Sie verwies darauf, dass die STIKO Abstufungen erarbeitet, welche Personengruppen ein besonders hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben. Demnach rechtfertige weder eine von der STIKO und dem Verordnungstext ausdrücklich berücksichtigte Krebserkrankung noch eine bevorstehende Therapie mit gravierenden Auswirkungen auf das Immunsystem die Abweichung von den Vorgaben der Verordnung. Zudem sei aus individualmedizinischer Sicht wissenschaftlich nicht eindeutig belegt, ob eine Schutzimpfung vor einer Chemotherapie wirklich bessere Wirkung entfalte.

Nachdem das Gericht die Stadt Hamburg darauf hinwies, dass der Verordnung nach seiner Überzeugung eine adäquate Härtefallregelung fehlt, stimmte die Stadt schließlich doch noch einer vorgezogenen Schutzimpfung zu. Mittlerweile ist die Frau geimpft und beide Parteien gaben vor Gericht Erledigungserklärungen ab.

Rechtsanwalt Jascha Arif, der die Patientin vor Gericht vertreten hat, ist überzeugt, dass die Verordnung nicht nur daran krankt, dass sie nicht aus dem Parlament stammt. Auch die Priorisierungsvorgaben seien unausgewogen, da sie Einzel- und Härtefälle nicht berücksichtigen. „Es bedarf einer Härtefallregelung, welche die Berücksich­tigung exponierter Vulnerabilität ermöglicht“, so Arif gegenüber der DAZ. Die Lage von Krebspatienten lasse sich auch auf andere sekundäre Immunschwächestörungen übertragen. Arif meint: „Gegenwärtig werden die Impfziele – die Mortalität und Morbidität mit dem bestmöglichen Nutzen zu beeinflussen – nicht erreicht“. Der Anwalt sieht daher den Gesetzgeber gefordert. Er sollte umgehend nachbessern und Betroffene nicht dahin treiben, vor den Verwaltungsgerichten – potenziell lebensrettende – einstweilige Anordnungen beantragen zu müssen. |

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