Arzneimittel und Therapie

Wie sinnvoll ist Paracetamol plus Algin?

Was man von dem neuen Präparat von Ratiopharm erwarten kann

dm/mab | Schmerzmittelhersteller werben gerne mit einem schnellen Zerfall – und damit dem schnellen Wirkungseintritt ihrer Präparate. Während jedem Apotheker wahrscheinlich einige „schnellwirksame“ Varianten von Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure einfallen, war die Auswahl bei Paracetamol bislang begrenzt. Schließt Paracetalgin von Ratiopharm jetzt die Lücke?

Paracetalgin setzt sich zusammen aus Paracetamol und Natriumalginat. Alginsäure ist ein Hilfsstoff, der den Zerfall einer Tablette fördert. Aufgrund seiner Quelleigenschaften wirkt er ­zusammen mit Calciumcarbonat und Magensäure als Sprengmittel. In einer Pressemitteilung vom 28. April 2021 beschreibt Ratiopharm sein neues Paracetamol-Präparat mit „natürlichem Algin“ entsprechend als „einzigartig“. „In dieser Zusammensetzung wirkt Paracetamol deutlich schneller als in einer herkömmlichen Tablette“, heißt es. Doch das „Arznei-Telegramm“ und seine Tochter-Zeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ sind von dem „besonderen“ Paracetamol plus Algin nicht überzeugt.

Foto: ratiopharm

Wirklich schneller wirksam als andere Präparate?

Bei dem neuen Präparat Paracetalgin handelt es sich um ein Generikum von Panadol 500 mg, Hersteller ist Glaxo-SmithKline, Irland. Beworben wird Paracetalgin damit, dass es bei Kopfschmerzen schneller wirkt als andere Paracetamol-Tabletten – „schon nach 10 Minuten beginnt Paracetalgin zu wirken“, heißt es in der Werbung. Innerhalb der ersten Stunde soll der Körper ein Drittel mehr Wirkstoff aufnehmen als aus einer normalen Tablette. Doch mit welchem Präparat Paracetalgin hinsichtlich seiner Zerfallszeit verglichen wurde, konnte das „Arznei-­Telegramm“ nicht herausfinden. Ratiopharm habe nach eigener Aussage als Lizenznehmer selbst nicht die entsprechenden Daten vorliegen. Generell muss im Rahmen einer bezugnehmenden Zulassung wie im Fall von Paracet­algin nur die Bioäquivalenz zum Original nachgewiesen werden, weitergehende Studien sind nicht notwendig. Auf Nachfrage der DAZ verweist Ratiopharm darauf, dass die Bioverfügbarkeits-Daten von Paracetalgin aus einer kleinen Studie stammen, bei der anhand der AUC (Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve), der maximalen Plasmakonzentration (Cmax) und dem Zeitpunkt der maximalen Plasmakonzentration (tmax) die Bioäquivalenz zum Originator gezeigt wurde. Die übrigen Angaben zur Pharmakokinetik seien aus der Fachinfo des Original-Präparates entnommen. Ein wenig mehr Informationen liefert dagegen eine Studie aus 2011, bei der die Arbeitsgruppe um Wilson et al. ein Paracetamol-Alginat-Präparat mit einem Standard-Paracetamol-Präparat (beide von GSK) untersucht hat. Dabei konnte gezeigt werden, dass Paracetamol-Alginat-Präparat fünfmal schneller (12,9 vs. 69,6 Minuten) zerfällt als die Standard-Tabletten. Auch die maximale Plasmakonzentration war durch das Quellmittel um ca. zehn Minuten früher erreicht als unter der Kontrolle (30 vs. 40,2 Minuten).

Bereits in einer älteren Reihenuntersuchung des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL) zeigte sich, dass die Wirkstofffreisetzung je nach Hersteller sehr variabel ausfällt: Die 21 getesteten Präparate mit je 500 mg Paracetamol setzten dabei „innerhalb von 5 Minuten zwischen 11,1% und 97,9% des deklarierten Wirkstoffs frei“. Nach 15 Minuten hatten dort immerhin 18 Präparate bereits 85% der deklarierten Wirkstoffmenge freigesetzt. Fazit der „Arznei-Telegramm“-Autoren: „Der beworbene Vergleich mit einem Präparat, dessen Freisetzungseigenschaften sich nicht einordnen lassen, erscheint uns wertlos sowie potenziell irreführend und die Werbung somit unseriös.“

Ein Vergleich zu Brausetabletten

In der Fachinformation zu Paracetalgin heißt es, dass die frühe Resorption von Paracetamol (Dosisfraktion in den ersten 60 Minuten) um 32% höher ausfällt als bei normalen Paracetamol-Tabletten (p < 0,0001) und die Variabilität bei der frühen Resorption von Paracetamol sowohl zwischen Patienten als auch intraindividuell bei Paracetalgin niedriger ist als bei normalen Paracetamol-Tabletten (p < 0,0001). Die maximale Plasmakonzentration wird nach 25 Minuten erreicht.

Paracetamol gibt es (nicht nur von Ratiopharm) auch als Brausetabletten. Die Tabletten werden also bereits zerfallen eingenommen. Dort heißt es in der Fachinformation allerdings nur, dass Paracetamol nach oraler Gabe rasch und vollständig resorbiert wird. „Maximale Plasmakonzentrationen werden 30 bis 60 Minuten nach der Einnahme erreicht.“ |

Literatur

Fachinformation Paracetalgin, Stand: April 2021

Paracetalgin – ein „besonderes“ Parazetamol?, arznei-telegramm 2021;52:37-8;www.arznei-telegramm.de/html/2021_05/2105037_01.html; Abruf am 8. Juli 2021

Paracetalgin 500 mg Filmtabletten, Informationen der ratiopharm GmbH, www.ratiopharm.de/produkte/details/praeparate/praeparatedaten/detail/pzn-16730456.html?gclid=EAIaIQobChMIpLqgnYO_8AIVT9nVCh1SAQxsEAAYASAAEgL1g_D_BwE, Abruf am 8. Juli 2021

Wilson et al. Comparison of a novel fast-dissolving acetaminophen tablet formulation (FD-APAP) and standard acetaminophen tablets using gamma scintigraphy and pharmacokinetic studies. Drug Development and Industrial Pharmacy, 2011. doi: 10.3109/03639045.2010.538058

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