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Arzneimittel und Therapie
Meilenstein in der Alzheimer-Therapie?
Umstrittener Antikörper Aducanumab von FDA zugelassen
Ob der 7. Juni 2021 als Meilenstein in die Geschichte der Alzheimer-Therapie eingehen wird, wird sich vermutlich erst in ein paar Jahren herausstellen. Sicher ist bis jetzt nur, dass an diesem Tag erstmals seit 2003 ein neues Alzheimer-Arzneimittel mit noch nie dagewesenem Wirkprinzip in den USA zugelassen wurde. Es handelt sich um den viel diskutierten monoklonalen Antikörper Aducanumab (Aduhelm™), der von der Firma Biogen zusammen mit der japanischen Firma Eisai entwickelt wurde. Er richtet sich gegen das Beta-Amyloid, das sich bei an Alzheimer erkrankten Personen im Gehirn ablagert und verklumpt. Viele werden sich jetzt wahrscheinlich verwundert die Augen reiben, hat doch noch im November 2020 ein unabhängiges Beratungskomitee der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA von einer möglichen Zulassung abgeraten. Anders als normalerweise üblich hat sich die FDA dieses Mal über die Empfehlung des Komitees hinweggesetzt und Aducanumab in einem beschleunigten Verfahren unter der Auflage, eine weitere nicht placebokontrollierte Studie durchzuführen, zugelassen.
Vorbehaltliche Zulassung
Dieses spezielle Verfahren, das den Namen „Accelerated approval pathways“ trägt, dient in Amerika dazu, schwer erkrankten Menschen möglichst frühzeitig Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, auch wenn ein klinischer Nutzen noch nicht eindeutig bewiesen ist. Eine Besonderheit dieses Zulassungsverfahrens ist, dass die Genehmigung anhand der Verbesserung eines Surrogatparameters erfolgt, und nicht wie sonst üblich anhand der klinischen Wirksamkeit. Diese muss jedoch, wie auch im Fall von Aducanumab, zwingend in einer nachfolgenden Phase-IV-Studie vom pharmazeutischen Unternehmer nachgewiesen werden. Falls das der Fall ist, wird die Zulassung in eine traditionelle Zulassung umgewandelt. Falls nicht, steht es der FDA frei, das Arzneimittel wieder vom Markt zu nehmen.
Ein Blick in die Vergangenheit
Die FDA begründet die Zulassung von Aducanumab durch die in Studien gezeigte signifikante Verbesserung im Surrogatparameter „Reduzierung des Amyloid-Beta-Plaques“. Diese war bereits in der Phase-I-Studie gesehen worden. Aufgrund dessen erlaubte die FDA dem Hersteller Biogen, die zweite klinische Prüfungsphase zu überspringen und direkt mit den beiden Phase-III-Studien ENGAGE (1638 Teilnehmer) und EMERGE (1647 Teilnehmer) zu beginnen. Bei beiden handelte es sich um multizentrische, doppelverblindete Studien, in denen die an milden Formen eines Alzheimers erkrankten Personen randomisiert entweder eine niedrige Dosis Aducanumab (3 oder 6 mg/kg Körpergewicht), eine hohe Dosis Aducanumab (10 mg/kg Körpergewicht) oder Placebo einmal monatlich als Infusion über einen Zeitraum von 18 Monaten verabreicht bekamen. Als primärer Endpunkt sollte die Verbesserung im „Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“ (CDR-SB: ein Score, der mit Werten von 0 bis 18 die Schwere einer Demenzerkrankung erfasst) nach 78 Wochen gemessen werden. Doch bevor es so weit war, wurden beide Studien im März 2019 durch ein unabhängiges Überprüfungskomitee vorzeitig abgebrochen. Grund dafür war, dass in einer Zwischenauswertung kein Hinweis auf klinische Wirksamkeit festgestellt werden konnte.
Nur in einer Studie klinischer Effekt ersichtlich
Trotz vorzeitigem Studienabbruch stellte Biogen es jedoch den Probanden frei, die Behandlung mit Aducanumab fortzusetzen. Dieses Angebot nahmen 2066 Studienteilnehmer an. Im Oktober 2020 verkündete Biogen, dass bei diesen zusätzlich erhobenen Daten eine klinische Wirksamkeit von Aducanumab messbar war. So hatte sich der CDR-SB-Wert bei der Gruppe der EMERGE-Studie, die die hohe Dosis des Antikörpers erhalten hatte, mit -1,35 Punkten weniger verschlechtert als in der Placebo-Gruppe (-1,74 Punkte). Die Differenz um 0,39 Punkte (22%) war signifikant (p = 0,012). Dagegen konnte weder in der EMERGE-Gruppe, die die niedrige Dosierung Aducanumab erhalten hatte, noch in beiden Studiengruppen der ENGAGE-Studie eine solche klinische Verbesserung ausgemacht werden. In beiden Studien konnte jedoch laut Fachinformation eine deutliche Reduktion der Beta-Amyloid-Plaques bei der regelmäßig erfolgten Positronen-Emissions-Tomografie (PET) gesehen werden. In einer dritten Studie (PRIME), in der die Patienten verschiedene fixe Dosierungen des Antikörpers erhalten hatten und die nicht durch das unabhängige Komitee abgebrochen worden war, konnte dies ebenfalls gezeigt werden.
Und was meinen die Experten?
Nachdem die Zulassung in den USA bekannt wurde, haben sich etliche Fachgesellschaften geäußert. So auch die Hirnliga e. V., die in ihrer Stellungnahme kritisiert, dass die FDA durch die reine Betrachtung des Surrogatparameters indirekt die Amyloid-Hypothese bestärkt, ohne dass bisher ein klinischer Nutzen bewiesen ist. Sie verweist außerdem darauf, dass in der Studie nur Patienten eingeschlossen worden waren, die an einer milden Form bzw. einem Frühstadium einer Alzheimer-Demenz litten. Ihrer Meinung nach ist weitere Forschungsarbeit notwendig, die einen eindeutigen Zusammenhang des Surrogatparameters „Amyloidbelastung des Gehirns“ und dem klinischen Beschwerdebild beweist. Erst wenn das gelinge, könne „von einem Durchbruch in der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung gesprochen werden“.
Prof. Pierluigi Nicotera, wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, äußerte sich diesbezüglich optimistisch: „[…] Bisher waren die klinischen Daten zur Wirkung von Aducanumab auf den kognitiven Abbau aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung nicht eindeutig. Die Eröffnung der Möglichkeit, Patienten mit Aduhelm zu behandeln, wird jedoch wahrscheinlich solide Daten zur Wirksamkeit hervorbringen. Dies würde neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen. Es ist bemerkenswert, dass die FDA die dringende Notwendigkeit zur Behandlung von Demenz anerkennt, indem sie den Einsatz von Aduhelm aufgrund von Biomarker-basierten Daten genehmigt.“
Kein unbedenkliches Arzneimittel
Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative e. V. rät Betroffenen und ihren Angehörigen, sich durch die Zulassung keine falschen Hoffnungen zu machen. Auch Aducanumab könne die Alzheimer-Erkrankung nicht heilen, sondern den Gedächtnisverlust nur in geringem Maß verlangsamen: „Unstrittig ist zwar, dass Aducanumab wirksam die Alzheimer-spezifischen Eiweiß-Ablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn entfernt. Ob damit aber die kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten substanziell verbessert werden, konnten die widersprüchlichen Ergebnisse der beiden bisherigen Phase-III-Studien nicht zufriedenstellend belegen“. Zudem verweisen sie auch auf mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen von Aducanumab: In den Studien waren bei den mit dem Antikörper behandelten Patienten vorübergehende Hirnschwellungen aufgetreten, die unbehandelt zu Hirnblutungen führen können. Aufgrund dessen mussten sich alle Studienteilnehmer einer regelmäßigen Kontrolle mittels Magnetresonanztomografie (MRT) unterziehen. Dies wird laut der Alzheimer Forschung Initiative auch bei normalen Patienten der Fall sein.
In Europa wird Aducanumab aktuell von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA überprüft. Mit einer Zulassung ist frühestens Ende des Jahres zu rechnen. |
Literatur
FDA’s Decision to Approve New Treatment for Alzheimer’s Disease. Pressemitteilung der FDA, 7. Juni 2021
Fachinformation Aduhelm, Stand: Juni 2021
Neues Alzheimermedikament: Klinische Wirksamkeit nicht bewiesen. Pressemitteilung der Hirnliga e. V., 8. Juni 2021
Alzheimer: US-Behörde genehmigt Einsatz von „Aducanumab“ unter der Bedingung weiterer Studien. Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), 8. Juni 2021
Neues Alzheimer-Medikament in den USA mit Auflagen zugelassen. Stellungnahme der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative e. V. (AFI), 8. Juni 2021
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