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Pandemie Spezial

Keine generelle Impfempfehlung

STIKO schränkt Empfehlung für Kinder und Jugendliche ein

Auch wenn die europäische Arzneimittelbehörde EMA und die EU-Kommission den Biontech/Pfizer-Impfstoff ab 12 Jahren zugelassen haben und auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für eine Impfung von Jugendlichen ist – die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) hat sich gegen eine generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ausgesprochen.

Ein Grund für diese Entscheidung liegt in der allgemein leicht verlaufenden COVID-19-Erkrankung in der ­Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen. Nur bei Vorliegen bestimmter Vorerkrankungen, die mit einem schweren Krankheitsverlauf assoziiert sind, ­sollten Kinder ab 12 Jahren mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty® (Biontech/Pfizer) geimpft werden. Auch bei individuellem Wunsch und nach ärztlicher Aufklärung ist bei gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren eine Impfung ­gegen SARS-CoV-2 möglich.

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Indikationsimpfempfehlung Eine Impfung gegen COVID-19 mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty® empfiehlt die STIKO für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren, die aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung haben.

Die Entscheidung der STIKO, keine ­generelle Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren auszusprechen, ist in der 6. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung dargelegt. Sie ­beruht auf mehreren Fakten und Überlegungen:

  • Kinder und Jugendliche spielen lediglich eine untergeordnete Rolle bei der Weiterverbreitung von SARS-CoV-2.
  • Der Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 ist bei Kindern und Jugendlichen ohne Vorerkrankungen häufig asymptomatisch oder mild. Hospitalisierungen oder eine intensivmedizinische Betreuung sind sehr selten erforderlich.
  • Die Krankheitslast von COVID-19 bei Kindern und Jugendlichen im ­Alter von 12 bis 17 Jahren ist mit der Krankheitslast von Influenza in dieser Altersgruppe vergleichbar.
  • Der Nutzen der Impfung, schwere Erkrankungen und Todesfälle zu verhindern, ist in dieser Altersgruppe nicht gegeben. So müssten etwa 100.000 12- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche geimpft werden, um einen einzigen COVID-19-bedingten Todesfall in dieser Altersgruppe zu verhindern.
  • Da derzeit das Impfstoffangebot limitiert ist, sollten vorrangig diejenigen Personenkreise geimpft werden, bei denen eine SARS-CoV-2-Infektion mit höheren Gesundheitsrisiken verbunden ist; dazu gehören beispielsweise Eltern, Lehrer, Erzieher, Betreuer.
  • Im Hinblick auf die Sicherheit des Impfstoffs – zugelassen ist Comirnaty® ab dem Alter von 12 Jahren – bestehen noch Wissenslücken, da die Probandenzahl in der Zulassungsstudie gering und die Nachbeobachtungszeit kurz waren. Das heißt, selten auftretende unerwünschte Wirkungen wurden möglicherweise noch nicht erfasst.

Empfehlung für Risikogruppen und Impfung auf Wunsch

Für Kinder und Jugendliche, bei denen bestimmte Vorerkrankungen (s. Kasten) vorliegen, und die daher ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung aufweisen, spricht sich die STIKO für eine Impfung aus. Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zufolge fallen rund 11% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland darunter, das sind etwa 452.000 Betroffene.

Empfehlung bei ­Vorerkrankungen

Für Kinder und Jugendliche mit folgenden Vorerkrankungen wird eine Impfung gegen SARS-CoV-2 empfohlen:

  • Adipositas
  • angeborene zyanotische Herzfehler
  • angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression
  • schwere Herzinsuffizienz
  • schwere pulmonale Hypertonie
  • chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion
  • chronische Nieren­insuffizienz
  • chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
  • maligne Tumor­erkrankungen
  • Trisomie 21
  • syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträch­tigung
  • schlecht eingestellter Diabetes mellitus (HbA1c-Werte > 9,0%).

Bei ihren Impfempfehlungen berücksichtigt die STIKO auch das soziale Umfeld der Kinder und Jugendlichen. Diese sollten geimpft werden, wenn sie engen Kontakt zu Personen haben, die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung aufweisen. Darunter fallen etwa Personen, die nicht geimpft werden konnten oder deren Impfschutz beeinträchtigt sein kann (z. B. Menschen unter einer immunsuppressiven Therapie). Ohne Vorerkrankungen ist eine Impfung von Kindern und Jugendlichen bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Jugendlichen bzw. der Sorgeberechtigten möglich.

Welcher Impfstoff kommt infrage?

Für die Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen kann derzeit nur Comirnaty® eingesetzt werden. Es sollen zwei Impfstoffdosen im Abstand von drei bis sechs Wochen gegeben werden. ­Comirnaty® wurde von der EMA Ende Dezember 2020 für über 16-Jährige, und dann Ende Mai 2021 auch für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren zugelassen. Die er­forderlichen Daten wurden in der Zulassungsstudie (NCT04368728) gewonnen. In dieser klinischen Phase-II/III-Studie wurden Immunogenität, Sicherheit und Wirksamkeit von Comirnaty® versus Placebo bei 2260 Teilnehmern im Alter von 12 bis 15 Jahren in einem fünfmonatigen Zeitraum (15. Oktober 2020 bis 13. März 2021) untersucht. Es handelt sich um die Fortführung einer Multicenter­studie, die im April 2020 begonnen wurde und die die Daten für die Zulassung für die über 16-Jährigen lieferte. Der Wirksamkeitsnachweis des Impfstoffs bei den 12- bis 15-Jährigen wurde unter anderem durch Immuno­bridging bestimmt. Die Auswertung der Daten zeigte eine sehr hohe Wirksamkeit gegen COVID-19. Andere klinische Endpunkte wie Hospitalisierung und Tod konnten aufgrund der Seltenheit dieser Ereignisse nicht bestimmt werden. Der Impfstoff zeigte sich bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren etwas reaktogener als in der älteren Vergleichsgruppe und unerwünschte akute lokale und systemische Wirkungen unmittelbar nach der Impfung traten häufiger auf. Diese waren jedoch ­passager und nur von kurzer Dauer. Aufgrund der geringen Nachbeobachtungszeit kann über mittel- und langfristige unerwünschte Ereignisse noch keine Aussage gemacht werden. Dasselbe gilt für selten auftretende unerwünschte Ereignisse. Das aktuelle epidemiologische Bulletin des RKI führt einige Meldungen zum Auf­treten von Myokarditiden nach einer Impfung mit Comirnaty® auf und weist darauf hin, dass diesbezügliche Untersuchungen mehrerer Arzneimittelbehörden noch nicht abgeschlossen sind.

Der kritische Blick der STIKO wird ­unterstützt durch 30 Fachgesell­schaften wie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) sowie die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Me­dizinischen Fachgesellschaften (AWMF). In einer Stellungnahme betonen sie die Wichtigkeit der evidenzbasierten und transparenten Empfehlungen der ­STIKO für den öffentlichen Gesundheitsschutz.

Warnung vor Ausgrenzung

Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ) begrüßt eine sorgfältige Prüfung der Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche. ­Diese Altersgruppe habe dasselbe Recht wie alle anderen Bevölkerungsgruppen, vor Erkrankungen durch COVID-19 und abwendbaren Komplikationen geschützt zu werden. Wenn eine Impfung erfolge, so der BVKJ ­weiter, dann nur mit einem durch die EMA und das PEI für diese Altersgruppe zugelassenen Impfstoff und nur, wenn durch die STIKO empfohlen und im Rahmen dieser Empfehlung. Der BVKJ warnt aber davor, die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen vom Impfstatus abhängig zu machen. Für die emotionale, soziale und intellektuelle Entwicklung der Kinder sei es ­unabdingbar, in ein lebendiges, öffent­liches Leben integriert zu sein. Es sei Aufgabe der Politik und der Gesellschaft, alle medizinischen, organisatorischen und baulichen Maßnahmen zu treffen, um den Kindern und Jugendlichen eine altersgerechte Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen.

Diese Forderung greift auch die STIKO auf und spricht sich explizit dagegen aus, dass die Partizipation an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht wird. |

Literatur

First COVID-19 vaccine approved for children aged 12 to 15 in EU. European Medicines Agency, 28. Mai 2021, www.ema.europa.eu/en/news/first-covid-19-vaccine-approved-children-aged-12-15-eu. (Aufruf am 12.06.2021).

Frenck RW et al. Safety, Immunogenicity, and Efficacy of the BNT162b2 Covid-19 Vaccine in Adolescents. N Engl J Med. 2021 May 27:NEJMoa2107456. doi: 10.1056/NEJMoa2107456, Epub ahead of print, PMID: 34043894; PMCID: PMC8174030

Informationen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi), www.zi.de, Abruf am 12. Juni 2021

Stellungnahme Präsidium und Bundesvorstand zur Covid-19 Impfung für Kinder und Jugendliche. Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte vom 14. Mai 2021, www.bvkj.de/politik-und-presse/nachrichten/152-2021-05-14-stellungnahme-des-praesidiums-bundesvorstands-zur-covid-19-impfung-fuer-kinder-und-jugendliche

STIKO: 6. Aktualisierung der COVID-19- Impfempfehlung | Empfehlung bei Lieferengpässen von Impfstoffen. Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 2021;23:3-32, DOI 10.25646/85961, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/23_21.pdf?__blob=publicationFile

Zur zentralen Bedeutung der STIKO für wissenschaftlich fundierte und Evidenz-verpflichtete Impfempfehlungen. Stellungnahme vom 1. Juni 2021, www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Stellungnahmen/Medizinische_Versorgung/20210602_Stellungnahme_Bedeutung_STIKO_final.pdf

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

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