Arzneimittel und Therapie

(Un)gefährliches E171

Europäische Behörde stuft oral aufgenommenes Titandioxid als nicht sicher ein

dm/mab | Aufgrund zahlreicher Unklarheiten kommt das Bewertungsgremium der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu dem Schluss, dass Titandioxid als Zusatzstoff in Lebensmitteln nicht mehr als sicher eingestuft werden kann. Hintergrund war die Bewertung von 200 Publikationen, die den Verdacht auf Genotoxizität bei oraler Aufnahme nicht entkräften konnte.

Bereits im September 2019 stand Titandioxid in der Kritik. Damals ging es vor allem um dessen vermutlich krebserzeugende Wirkung bei der inhalativen Aufnahme – und eher um den Bereich der Chemie- als den der Lebensmittel- und Pharmaindustrie. Zum Einsatz kommt Titandioxid aber nicht nur in Farben, Lacken, Putz und Mörtel, sondern ist auch ein weit verbreiteter Hilfsstoff in Tabletten und Sonnencremes. Schon damals wurde auf EU-Ebene über Titandioxid in Lebensmitteln diskutiert. Dabei ging es nicht um die Gefahren durch Einatmen, sondern die mögliche Aufnahme von Titandioxid-Nanopartikeln im Körper.

Auch oral gefährlich?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schätzten damals eine orale Aufnahme von Titandioxid als risikoarm ein. Aufgrund einer kleinen Zahl von Studien, die mögliche negative Auswirkungen auf das Fortpflanzungssystem nahegelegt hatten, sahen sie aber dennoch Forschungsbedarf. Langfristig sollte eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge des Lebensmittelzusatzes E171 (Titandioxid) bestimmt werden. Letzteres ist bisher zwar (noch) nicht geschehen, aber es gibt neue Daten. Die Bewertung von mehr als 200 Publikationen, in denen mögliche erbgutschädigende Effekte durch Titandioxid untersucht worden waren, konnte den Verdacht auf Genotoxizität nicht entkräften. So besitzt Titandioxid laut dem Bewertungsgremium zwar das Potenzial, DNA-Strangbrüche und Chromosomenschäden zu induzieren, jedoch keine Genmutationen. Allerdings basieren die Daten auf Tierexperimenten und mechanistischen Studien. Humanstudien und epidemiologische Untersuchungen liegen derzeit nicht vor. Das Bundesinstitut für Risikobewertung gibt zu bedenken, dass in vielen Lebensmitteln Inhaltsstoffe mit genotoxischem Potenzial identifizieren – sehr häufig natürlichen Ursprungs und unvermeidbar in der täglichen Ernährung. Durch die Kennzeichnungspflicht von Zusatzstoffen können diese jedoch auch von Verbrauchern bewusst gemieden werden.

Foto: New Africa/AdobeStock

Neben Lacken dient Titandioxid auch in Tabletten als Weißpigment.

Zahlreiche Unsicherheiten

Aufgrund „zahlreicher wissenschaftlicher Unsicherheiten“ kamen die Experten der EFSA nun zu dem Schluss, dass die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr länger als sicher angesehen werden kann und daher auch keine akzeptable tägliche Aufnahmemenge abgeleitet werden kann. Laut EFSA bestehen insbesondere Unsicherheiten beim molekularen Mechanismus und welchen Einfluss Größe und Beschaffenheit der (Nano-)Partikel haben. Zudem hat die niederländische Behörde für Lebensmittel- und Konsumgütersicherheit 2019 die Untersuchung immuntoxikologischer Wirkungen von Titandioxid angeregt.

Nanopartikel in Lebensmitteln

In den „Fragen und Antworten zur Nanotechnologie“ des Bundesinstituts für Risikobewertung vom August 2012 heißt es, dass Nanomaterialien auch gezielt als Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden. Berichtet würde vom Einsatz von anorganischen Materialien wie Siliciumdioxid, kolloidalem Silber, Calcium und Magnesium in Nanopartikel-Form. Ob diese Stoffe allerdings im Lebensmittel als Nanopartikel oder in einer zusammengeballten Form vorliegen, sei unklar. Risiken, die Nanomaterialien laut Bundesinstitut für Risikobewertung bergen können, sind besondere (physikalisch-­chemische) Eigenschaften eines Nanomaterials, wie große reaktionsfreudige Oberflächen und das Verhalten im Körper, z. B. eine lange Verweildauer und die Überwindung natürlicher biologischer Barrieren.

Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), forderte am 6. Mai die Rücknahme der EU-Zulassung für Titandioxid. Sie habe sich „bereits an die EU-Kommission gewandt und sie aufgefordert, hier tätig zu werden“, hieß es. Wie die dpa am selben Tag berichtete, hatte die EFSA ihre Sicherheitsbewertung auf ­Ersuchen der EU-Kommission neu geprüft. Nun soll „der weit verbreitete Farbstoff Titandioxid […] nach dem Willen der EU-Kommission wegen möglicher Krebsrisiken aus dem Essen verbannt werden“. Die Brüsseler Behörde habe aber darauf hingewiesen, dass keine akute Gesundheitsgefahr bestehe. Man werde den EU-Staaten einen Zu­lassungsstopp vorschlagen, aber nach einer geeigneten Übergangsfrist. |

Literatur

Safety assessment of titanium dioxide (E171) as a food additive. EFSA, 6. Mai 2021

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