Aus der Hochschule

Über Bildung neu nachdenken

Podiumsdiskussion des BPhD zur digitalen Lehre

mp | Der Bundesverband der Pharmaziestudierenden (BPhD) hat seine Podiumsdiskussion im Rahmen der 130. Verbandstagung dem drängenden Problem der digitalen Lehre gewidmet. Denn die Qualität schwankt von Fakultät zu Fakultät stark, viele Studierende sind frustriert. Die Gäste zeigten, dass es schon Ansätze und Ideen gibt, wie es besser gehen könnte. Doch mangelt es am Austausch zwischen den Studienstandorten, auch scheinen wir als Gesellschaft eine veraltete Vorstellung von Bildung zu haben.

Wenige Minuten vor der digitalen Veranstaltung herrscht im Zoom-Raum betretenes Schweigen. Videokonferenzen eignen sich nicht gut für lockeren Smalltalk, das können Milliarden von Menschen ‒ quasi empirisch ‒ belegen. Nur noch ein Stoßgebet an die Götter des Breitband-Anschlusses senden, dass die Internetverbindung für die nächsten zwei Stunden hält. Alle sind darauf eingestellt, in den nächsten 120 Minuten regungslos auf ihren Bildschirm zu starren und via Kopfhörer monotonen Stimmen in mangelhafter Tonqualität zu lauschen. Pharmaziestudierende erleben seit einem Jahr ihre Ausbildung genau so wie diese Podiumsdiskussion des BPhD. Sie fand am 15. Mai 2021 statt, und ich als Volontär der Deutschen Apotheker Zeitung hatte die Ehre, das Gespräch zu moderieren. Viele Studierende demotiviert die Situation, sie sehnen sich nach dem Hörsaal und Kommilitonen. Die digitale Lehre birgt sowohl Chancen als auch Risiken. Eben diesen wollten wir zur 130. Verbandstagung des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland auf den Grund gehen. Unter den Gästen war Bianca Partheymüller, Beauftragte für Lehre und Studium beim BPhD. Sie studiert im sechsten Semester Pharmazie in Erlangen. Sie berichtete, dass die Situation einerseits belastend und verunsichernd war. Doch andererseits befürwortet ein großer Teil der Studierenden, wenn ein Teil der Lehrveranstaltungen dauerhaft online angeboten wird. Verbesserungspotenzial sehen Studierende nicht nur hinsichtlich technischer Fragen, sondern auch bei der Organisation und Kommunikation.

Foto: BPhD

Während der Podiumsdiskussion beantworteten Zuschauer Fragen zu digitaler Lehre. Rechts im Bild von oben nach unten: Prof. Dr. Christoph Ritter (Greifswald), Dr. Bernd Romeike (Rostock), Marius Penzel (Moderation), Bianca Partheymüller (BPhD).

„Blended Learning“ nutzen

Aus Rostock erläuterte Dr. Bernd Romeike, Medizindidaktiker und Neuropathologe vom Ausschuss „Digitalisierung“ der Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA), wie Dozierende das Potenzial der digitalen Lehre voll ausschöpfen können. Er strebt das sogenannte Blended-Learning-Konzept an: Hierbei könnten Studierende mit digitalen Übungsaufgaben im Vorfeld auf den gleichen Wissensstand gebracht werden. Ein anschließender ­interaktiver Präsenzunterricht wäre um ein Vielfaches fruchtbarer als ohne Vorbereitung. Werden im Anschluss zudem ­digitale Nachbereitungsaufgaben bearbeitet, hätte sich eine Thematik anhand dreier unterschiedlicher Wege ins Gehirn der Studierenden eingebrannt.

Aktuell ist Präsenzunterricht jedoch nicht möglich. Eine Zuschauer-Umfrage während der Diskussion offenbarte: Der direkte Austausch mit Kommilitonen fehlt den Studierenden am meisten. Romeike räumt ein, dass die digitalen Angebote dies nicht vollständig kompensieren können. Jedoch können Dozierende den Austausch mit digitalen Werkzeugen fördern. Sie können die Arbeit in Kleingruppen – mit bestenfalls acht Studierenden – ermög­lichen, beispielsweise über Breakout-Räume der Software Zoom. Außerdem können Dozierende während Online-Vorlesungen den Chat aktivieren oder anregen, dass das Auditorium in Gruppen simultan Dokumente erarbeitet, beispielsweise über Google Docs. Ein weiteres Konzept wäre, dass Studie­rende selbst die Lernmethode wählen, die für sie am vielversprechendsten klingt. Kleingruppen könnten z. B. Podcasts, Poster oder Videos erstellen.

Vom Fern- zum digitalen Studium

Der Medizindidaktiker hofft, dass nach der Pandemie ein Übergang von der provisorischen Fernlehre zur echten digitalen Lehre gelingt. Die Digitalisierung müsse genutzt werden, um Studierende mit verschiedenen Lerngeschwindigkeiten auf denselben Stand zu bringen. Im Anschluss könnte dies mithilfe von Analyseprogrammen digital überprüft werden. Dies hebt nicht nur das Niveau der Präsenz-Lehrveranstaltungen. Lehrende wüssten, welchen High-Performern sie Promotionsstellen anbieten können und welche Studierende eine intensivere Unterstützung benötigen. Digitale Echtzeit-Lernerfolgskontrollen werden eines Tages große Abschlussklausuren überflüssig machen, versichert Romeike. Er selbst forscht daran, evidenz­basierte Daten zu diesen Analyseprogrammen zu liefern. „Jeder Pharmazeut oder Mediziner hat durch sein Abitur bewiesen, dass er schlau genug für sein Studium ist. Gleichzeitig sind die Studiengänge sehr teuer. Wir müssen alle Studierenden, die ein hohes Risiko für einen Studienabbruch tragen, einfangen und fördern.“

Alles nur Zukunftsmusik?

Noch sind diese Überlegungen Zukunftsmusik. Romeike kritisiert, dass wir in Deutschland vom Kindergarten bis zu den Universitäten eines der teuersten und zugleich ineffektivsten Bildungssysteme besitzen. „Schon heute könnten wir die Abbruchraten reduzieren und würden als ganze Gesellschaft profitieren.“

Christoph Ritter, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Greifswald, war ebenfalls zu Gast auf der Podiumsdiskussion. Er ist sicher: „Wir müssen unser Verständnis vom Lernen in der Pharmazie ändern.“ Pflanzennamen oder Strukturformeln auswendig zu lernen, sei ein unsinniges Konzept. Für eine bessere Lehre müsse die Politik zunächst den Curricularnormwert im Pharmaziestudium anheben. Dieser Wert legt fest, wie viele Lehrstunden jedem Studierenden beigemessen werden. Ohnehin ist ­dieser Wert knapp bemessen. Hinzu kommt, dass Aspekte wie die Digita­lisierung der Lehre in diesem Wert nicht berücksichtigt wird.

Der Apothekensimulator „My Dispense“

Obwohl der Curricularnormwert einen großen Hemmschuh bilde, konnte Professor Ritter mit der an seinem Institut erarbeiteten Software „My Dispense“ aufwarten. Mit diesem Simulationsprogramm können Studierende die Apothekenpraxis digital erlernen. Ritter bietet den Apothekensimulator auch seinen Studierenden an, damit diese sich vorab auf die Lehrapotheke – mit „realen“ simulierten Patienten – vorbereiten können, sobald diese nach der Pandemie wieder stattfinden kann. Nachdem das Projekt in Greifswald auf positive Resonanz stieß, arbeiten weitere Standorte für Pharmazie an der Umsetzung von My Dispense, unter anderem Saarbrücken, Würzburg, Bonn und Berlin.

Der Medizindidaktiker Romeike pflichtete bei, wie wichtig der deutschlandweite Austausch solcher innova­tiver Mikro-Lernmedien ist.

Praxis und Austausch fehlen

Für ein Gros der vielen Praktika, die das Pharmaziestudium fordert, gibt es während der Pandemie keinen Ersatz. Studentin und BPhD-Vorstandsmitglied Bianca Partheymüller begrüßte, dass einige Dozierende zumindest ­Videos bereitstellten. „Trotzdem brauchen wir das Praktische“, so Partheymüller, „erst dann können wir den Stoff besser verstehen.“

Ein weiteres Problem ist, dass die Hemmung der Studierenden, bei Fragen auf Dozierende zuzugehen, beim Fernstudium größer geworden ist. ­Romeike empfiehlt, die Studierenden aufzufordern, bei Vorlesungen und ­Seminaren die Kamera einzuschalten – solang die Verbindung dies zulässt. Auch sollten Lehrende während der Vorlesungen alle 20 bis 30 Minuten im Chat nachsehen, ob Fragen gestellt wurden. Der Klinische Pharmazeut Ritter ergänzte, dass Studierende ihren Dozenten signalisieren sollten, über welche Medien sie bevorzugt mit ihnen in Austausch treten würden.

Epilog

Eine gelungene Veranstaltung, denke ich, als ich auf den roten „Meeting verlassen“-Button klicke. Steif erhebe ich mich von meiner Sitzgelegenheit. Ein anregendes Gespräch, viele Ideen, ein Publikum, das interagiert und keine Hemmungen hegt, sich für Fragen live zuzuschalten ‒ all das verdeutlicht: Online-Veranstaltungen müssen nicht ermüden und frustrieren. Das Poten­zial, gute Lehre in die Praxis zu überführen, ist enorm. Auch wenn an den Fakultäten die Ressourcen für die Lehre begrenzt sind: Kleine Verbesserungen sind schnell vorgenommen und effektiv. Heute hatten viele junge Menschen Freude, Neues zu lernen. |

Die Diskussion im Netz

Die Podiumsdiskussion der 130. Bundesverbandstagung des Bundesverbandes der Pharmaziestudierenden (BPhD) können Sie auf dem Youtube-Kanal des BPhD erneut ansehen.

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1 Kommentar

"Unsinniges Konzept"?

von Claudia Bruhn am 28.05.2021 um 12:31 Uhr

Ich hatte sicher nicht immer Spass beim Lernen von Pflanzennamen und Strukturformeln. Aber von Professor Ritter zu hören, dass diese Basics ein "unsinniges Konzept" seien, lässt mich doch fassungslos zurück. Und als ehemalige Greifswalderin frage ich mich auch, was von mir hochgeschätzte Lehrende aus dieser Zeit, wie zum Beispiel die Professor*innen Teuscher, Lindequist, Melzig oder Jira, wohl von solch einer Äußerung halten.

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