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Eine Modellregion wird zur Fokusregion

Finaler Testlauf für das E-Rezept in Berlin/Brandenburg – Interview mit Anke Rüdinger

eda/mp/cm | Zum 30. Juni 2021 endet das E-Rezept-Modellprojekt in der „Zukunftsregion Digitale Gesundheit“ in Berlin und Brandenburg. Unmittelbar danach beginnt in der Region aber ein weiterer Testlauf mit digitalen Verordnungen. Wie die gematik vor wenigen Wochen mitteilte, sollen in der Fokusregion alle Akteure die digitalen Verordnungen auf Herz und Nieren prüfen bevor es zum bundesweiten Roll-Out kommt. Wir haben uns mit der Vorsitzenden des Berliner Apotheker-Vereins (BAV) Anke Rüdinger unterhalten: Welche Erkenntnisse konnten durch das zu Ende gehende Modellprojekt gewonnen werden? Was darf man sich nun vom anstehenden Testlauf in der Fokusregion versprechen?
Foto: Matthias / AdobeStock

DAZ: Frau Rüdinger, geben Sie uns doch bitte einen aktuellen Überblick über das laufende E-Rezept-Modellprojekt in Berlin/Brandenburg: Wie viele Apotheken sind involviert und welche?

Rüdinger: Das Bundesgesundheitsministerium fördert das E-Rezept-Modellprojekt im Rahmen der Initiative „Zukunftsregion Digitale Gesundheit“ in Berlin und Brandenburg seit Herbst 2019. Momentan sind knapp 60 Apotheken und 25 Arztpraxen in das Projekt eingebunden, zum größten Teil aus Berlin, aber auch aus Brandenburg. Die beteiligten Apotheken befinden sich dabei überwiegend in der Nähe von teilnehmenden Arztpraxen.

Wir hatten uns zunächst zum Ziel gesetzt, dass bis Ende Februar 2020 im Rahmen unseres Projektes mindestens 100 elektronische Verordnungen ausgestellt und eingelöst werden. Dieses Ziel haben wir erreicht. In Kooperation mit dem Apothekerverband Brandenburg sollte anschließend die Akzeptanz elektronischer Verordnungen im ländlichen Bereich und in der Heimversorgung untersucht werden. Darüber hinaus wurde vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die E-Rezept-Lösung so weiterentwickelt, dass eine kontaktlose Arzneimittelversorgung von Patientinnen und Patienten möglich wurde.

DAZ: Sind also die meisten Apotheken im Modellprojekt aus Berlin, oder können tatsächlich auch die Bedingungen auf dem Land abgebildet werden?

Rüdinger: Wie bereits erwähnt, sind auch Brandenburger Apotheken an unserem Projekt beteiligt. Die größere Zahl der Apotheken ist aber in Berlin lokalisiert.

DAZ: Welche Erkenntnisse haben Sie bisher gewinnen können?

Rüdinger: Die Herausforderung bestand vor allem darin, Ärztinnen und Ärzte für die Teilnahme an unserem Modellprojekt zu gewinnen. Dagegen hatten wir deutlich weniger Mühe, Apotheken und Patientinnen und Patienten in das Modellprojekt einzubinden.

„Das E-Rezept wird nur dann ein Erfolg, wenn alle Beteiligten davon überzeugt sind.“

DAZ: Wie wird das Modell von allen Beteiligten angenommen?

Rüdinger: Wir haben von allen Teilnehmern ein positives Feedback zum E-Rezept bekommen. Sowohl die teilnehmenden Patientinnen und Patienten als auch die Apothekerinnen und Apotheker betonten, dass die E-Rezept-Lösung Zeit spare. Für die teilnehmenden Apotheken war außerdem die Erhöhung der Arzneimittelsicherheit ein positiver Faktor. Die elektronische Datenübertragung führt zu einer deutlichen Vereinfachung der Prozesse in den Apotheken. Sie scannen den QR-Code und sofort ist die Verordnung in der Warenwirtschaft. Der Nutzen der E-Rezept-Lösung für die Ärztinnen und Ärzte besteht vor allem in einer erleichterten Kommunikation mit den Apotheken, der Verbesserung der Patientensicherheit und einem geringeren Dokumentationsaufwand. Dem gegenüber steht aber ein aufwendiges System der elektronischen Signatur für jede einzelne Verordnung. Zurzeit wird überprüft, ob und wie das Verfahren der elektronischen Signatur für die Ärztinnen und Ärzte erleichtert werden kann.

Zur Person

Foto: ABDA

Anke Rüdinger wurde 1965 in Berlin-Mitte geboren und war vor ihrem Pharmaziestudium an der Humboldt-Universität als medizinische Hilfskraft am pharmazeutischen Zentrum Berlin-Lichtenberg tätig. 1991 erlangte sie ihre Approbation und 1999 die Qualifikation im Weiterbildungsbereich Offizinpharmazie. Im Jahr 2000 eröffnete sie ihre Castello-Apotheke in Berlin-Lichtenberge und startete fünf Jahre später ihre standespolitische Laufbahn: Seit 2005 ist sie Mitglied der Delegiertenversammlung der Apothekerkammer Berlin, seit 2010 ist sie im Vorstand des Berliner Apotheker-Vereins (BAV) aktiv, aktuell als Vorsitzende. Seit 2021 ist sie Teil des Geschäftsführenden Vorstands des Deutschen Apothekerverbandes (DAV).

DAZ: Technisch wird das Modellprojekt mit der DAV-WebApp umgesetzt, nicht wahr?

Rüdinger: Ganz genau. Wir nutzen in unserem Projekt den E-Rezept-Fachdienst der NGDA und zur Übertragung des Tokens den vom DAV ent­wickelten „Rezept-Manager“. Papierausdrucke gibt es keine.

DAZ: Wann endet das Modellprojekt?

Rüdinger: Unser E-Rezept-Modellprojekt endet zum 30. Juni 2021. Bis zum 15. Mai 2021 konnten Rezepte aus­gestellt werden, die bis zum 15. Juni 2021 in den Apotheken eingelöst werden können.

DAZ: Hat es Sie überrascht, dass die gematik nun für eine finale Testphase des E-Rezepts die Fokusregion Berlin-Brandenburg ausgewählt hat?

Rüdinger: Nein, das hat mich nicht so sehr überrascht. Ich begrüße die Entscheidung der gematik sehr, vor einem bundesweiten Roll-Out des E-Rezeptes den gesamten Prozess zunächst in einer Fokusregion zu testen. Es ist wichtig, dass vor einem so großen Schritt wie der Einführung des E-Rezepts der gesamte Prozess von der Verordnung bis zur Abrechnung bei der Krankenkasse zunächst erst mal auf Herz und Nieren geprüft wird. Die bisherigen Modellprojekte wurden ja ohne die Komponenten der Telematikinfrastruktur (TI) durchgeführt, die die gematik ab dem 1. Juli 2021 bereitstellt. Außerdem war immer nur ein Teil der an dem Prozess Beteiligten in die Modellprojekte eingebunden. Jetzt wird vor dem bundesweiten Roll-Out im vierten Quartal überprüft, ob wirklich sämtliche Prozesse funktionieren. Das E-Rezept wird nur dann ein Erfolg, wenn alle Beteiligten davon überzeugt sind.

DAZ: Wie wird diese Testphase denn genau organisiert?

Rüdinger: Das wird momentan noch zwischen dem Projektmanagement und der gematik abgestimmt. Zunächst wird mit einigen wenigen Apotheken gestartet. Die Anzahl der Beteiligten soll dann nach und nach erweitert werden: Arztpraxen mit unterschiedlichen Praxisverwaltungssystemen, Apotheken mit verschiedenen Warenwirtschaftssystemen, Apothekenrechenzentren und Krankenkassen.

DAZ: Die gematik hat als Zielgröße 50 Ärzte und 120 Apotheken genannt. Wie werden Apotheken für das neue Modell ausgewählt? Kann mitmachen, wer möchte?

Rüdinger: Interessierte Apotheken können sich an den Berliner Apotheker-Verein oder den Apothekerverband Brandenburg wenden. Da am 1. Juli 2021 voraussichtlich nur wenige Praxisverwaltungssystem-Anbieter startklar sein werden, erfolgt die Auswahl der teilnehmenden Apotheken aufgrund ihrer räumlichen Nähe zu den teilnehmenden Arztpraxen. Bei der Ansprache der Arztpraxen wird auf die Erfahrungen des Projektmanagements unseres Modellprojekts zurückgegriffen.

DAZ: Was sind die Vorbehalte der Ärzte an der Basis?

Rüdinger: Die qualifizierte elektronische Signatur ist eine große Hürde für die Ärztinnen und Ärzte, da jedes Arzneimittel einzeln signiert werden muss. Das ist ein Mehraufwand für die Ärztinnen und Ärzte und kostet enorm viel Zeit. Zudem äußern einige Ärztinnen und Ärzte Bedenken bezüglich der Datensicherheit.

DAZ: Was halten Sie davon, dass auch Versandapotheken bzw. Arzneimittelversender beteiligt sein werden?

Rüdinger: Die gematik geht davon aus, dass für eine Beteiligung an der Testphase entweder die Apotheke oder die Arztpraxis oder die Patientinnen und Patienten aus Berlin oder Brandenburg kommen müssen. Wenn die Patientinnen und Patienten eine elektronische Verordnung an eine Versandapotheke schicken möchten, dann soll dies nach Ansicht der gematik möglich sein. Aber warum sollten sie das tatsächlich tun? Ich bin überzeugt, dass in der Testphase die Patientinnen und Patienten ihre E-Rezepte hauptsächlich in den teilnehmenden Apotheken vor Ort einlösen werden. Noch mal: Es ist im Sinne aller Beteiligter, dass das E-Rezept zunächst in einer Fokusregion startet. Zu viele Fragen sind noch nicht oder nicht abschließend geklärt. Der Prozess der Arzneimittelversorgung endet ja nicht bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Auch die Abrechnungsprozesse müssen funktionieren.

„Es ist im Sinne aller Beteiligter, dass das E-Rezept zunächst in einer Fokusregion startet. Zu viele Fragen sind noch nicht oder nicht ­abschließend geklärt.“

DAZ: Was ist in Ihren Augen denn noch nicht ausreichend geregelt?

Rüdinger: Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden immer nur Teilprozesse des E-Rezeptes innerhalb der TI getestet. Die Testphase ab 1. Juli 2021 soll sicherstellen, dass der komplette Versorgungsprozess von der Verordnung über die Versorgung bis hin zur Abrechnung reibungslos funktioniert. In unserem bisherigen E-Rezept-Modellprojekt wurden bereits viele E-Rezepte eingelöst, jedoch unter Nutzung des Fachdienstes der (Netzgesellschaft Deutscher Apotheker) NGDA. Was dort funktioniert hat, muss in der gematik-Umgebung nicht automatisch auch sofort funktionieren.

DAZ: Was wird aus der ehemaligen DAV-WebApp?

Rüdinger: Die DAV-WebApp wird ­momentan im Auftrag der Landesapothekerverbände zum Verbändeportal www.mein-apothekenportal.de weiterentwickelt, welches der Kommunika­tion zwischen Apotheken und Ver­bänden und zwischen den Apotheken untereinander sowie der Information dienen soll. Hier werden die Apothekerinnen und Apotheker zukünftig viele Informationen gebündelt in einem Portal finden, welche sie für ihre tägliche Arbeit benötigen, so zum Beispiel AMK-Meldungen und Fachnachrichten. Darüber hinaus haben die Apo­theken die Möglichkeit, sogenannte Mehrwertinformationen wie Botendienst, Fremdsprachen, Parkplätze und ähnliches zu ihren Betriebsstätten einzupflegen, die an den Verzeichnisdienst der E-Rezept-App der gematik übergeben werden. Damit können die Apotheken ihre Sichtbarkeit in der gematik-App erhöhen. Zudem bauen wir das Patientenportal www.mein-apothekenmanager.de auf, welches der Kommunikation zwischen den Apotheken und ihren Patientinnen und Patienten dienen soll. Es soll zukünftig Arzneimittelvorbestellungen, Telepharmazie, Terminvereinbarungen, Verbraucherinformationen und vieles mehr ermöglichen.

„Wir müssen den Menschen klar machen, dass auch die E-Rezepte in die Apotheke vor Ort gehören und dass wir das schneller und besser können als ausländische Versender.“

DAZ: Gibt es technische und regulatorische Dinge, die bis zum Ende des Jahres klargestellt werden müssten?

Rüdinger: Zum Glück hat der Bundestag Anfang Mai im Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) festgelegt, dass das Makelverbot nicht nur für die eigent­liche elektronische Verordnung, sondern auch für den E-Rezept-Token gilt. Das ist eine für die Apotheken vor Ort wichtige Klarstellung. Die vom Gesetzgeber bereits angekündigte Rechts­verordnung muss nun klären, inwieweit Drittanbieter-Apps in Zukunft E-Rezepte empfangen, verwalten und weiterleiten dürfen. Ich gehe davon aus, dass der Gesetzgeber das „Teilen“ von elektronischen Verordnungen ermög­lichen wird, damit den Patientinnen und Patienten in diesen Drittanbieter-Apps Mehrwerte über die eigentliche E-Rezept-Übermittlung hinaus angeboten werden können. Für die Versorgung einer elektronischen Verordnung durch die Apotheken ist diese „Teilen“-Funktion nicht notwendig, dafür reicht der Token in der gematik-App oder der E-Rezept-Ausdruck.

DAZ: Hat die Pandemie dem E-Rezept einen Schub gegeben?

Rüdinger: Die aufgrund der COVID-19-Pandemie entwickelte Lösung zur kontaktlosen Versorgung im Rahmen unseres Modellprojektes, bei der die Patientinnen und Patienten weder in die Arztpraxis noch in die Apotheke gehen mussten, wurde von allen Be­teiligten sehr begrüßt – auch von den Ärztinnen und Ärzten.

DAZ: Wie ist das abgelaufen?

Rüdinger: Der Patient hat seine Medikamente beim Arzt telefonisch angefordert. Der Arzt hat eine elektronische Verordnung ausgestellt und den Token über den Rezept-Manager an den Patienten übertragen. Dieser hat den Token zur Apotheke weiter­geleitet, welche die Medikamente per Botendienst geliefert hat.

DAZ: Erkennen Patienten die Vorteile des E-Rezepts?

Rüdinger: Das ist sehr verschieden. Manche, vor allem ältere Patienten befürchten, dass sie zukünftig keine Medikamente mehr bekommen können, wenn sie kein Smartphone haben, oder dass sie mit den E-Rezepten einfach nicht zurechtkommen. Darin sehe ich derzeit eine ganz wichtige Aufgabe für uns Apotheken vor Ort: Wir müssen den Menschen, unseren Kundinnen und Kunden klar machen, dass auch die E-Rezepte in die Apotheke vor Ort gehören und dass wir das schneller und besser können als ausländische Versender. Zum anderen müssen wir unseren älteren Kundinnen und Kunden, aber auch manchen Kolleginnen und Kollegen die Angst vor dem E-Rezept nehmen.

Und noch etwas ist wichtig: Spätestens jetzt sollten sich alle Apotheken zeitnah an die TI anbinden lassen. Eine Apotheke, die nicht an die TI angeschlossen ist, kann kein E-Rezept empfangen und versorgen.

DAZ: Was ist eigentlich, wenn die TI mal temporär ausfallen sollte?

Rüdinger: Dann gibt es immer noch Muster-16-Rezepte, die genutzt werden können.

DAZ: Und wenn der Patient schon mit dem Token in der Apotheke steht, und diese nicht mehr auf die TI zugreifen kann?

Rüdinger: Ich hoffe, dass das ein eher unwahrscheinliches Szenario ist. Die TI muss so sicher laufen, dass dieses Problem nicht im Vordergrund steht. Entscheidender ist, dass sich die Kolleginnen und Kollegen stabile Internetverbindungen zulegen – soweit dies möglich ist.

DAZ: Frau Rüdinger, vielen Dank für das Gespräch. |

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