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Arzneimittel und Therapie
Volles Haar, doch die Seele weint
Finasterid bei Alopezie kann vor allem für Jüngere psychische Folgen haben
Bei androgenetischem Haarausfall hat sich der oral eingenommene 5α-Reduktasehemmer Finasterid (1 mg/Tag) als wirksame Therapie etabliert. Jedoch nährten Berichte über persistierende Nebenwirkungen im Laufe der Jahre Zweifel an der Sicherheit des Wirkstoffes (s. auch Jungmayr P. „Haarwuchs mit Folgen – Erfolgreiche Finasterid-Behandlung kann zu dauerhaften Problemen führen“, DAZ 2018, Nr. 16, S. 26 – 28). Ein Rote-Hand-Brief wies im Juli 2018 darauf hin, dass sexuelle Nebenwirkungen nach dem Absetzen bestehen bleiben können, und informierte zusätzlich über psychische Nebenwirkungen wie Depressionen, Angst und Suizidgedanken [1].
In einer kürzlich erschienenen Studie untersuchten die Autoren das Suizidrisiko und die genannten psychischen Symptome nun im Detail [2]. Sie konsultierten hierfür die WHO-Datenbank VigiBase für Einzelfallberichte über unerwünschte arzneimittelbezogene Ereignisse. Die Forscher verglichen die Finasterid-Daten mit den vorhandenen Daten aller anderen Arzneimittel, um festzustellen, ob bestimmte Sicherheitssignale überproportional oft auftraten. Insgesamt identifizierten sie 356 suizidbezogene Fälle und 2926 psychische Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Finasterid. Tatsächlich korrelierte die Chance für solche Effekte mit der Einnahme des 5α-Reduktasehemmers (Suizidalität: um 63% erhöhte Chance; psychische Symptome: viermal so große Chance). Das identifizierte Suizidrisiko war vor allem getrieben durch vermehrte Suizidgedanken. Die Forscher identifizierten hingegen keine Signale für versuchte oder ausgeführte Selbstmorde.
Besonders aufschlussreich sind die durchgeführten Sekundäranalysen, die den Effekt genauer evaluieren. Suizidale Fälle waren nur in der jüngeren Alterskohorte (18 bis 44 Jahre) und bei der Indikation Alopezie mit der Anwendung von Finasterid assoziiert, aber nicht bei Älteren, die den Wirkstoff in der höheren Dosis von 5 mg zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie einnahmen. Möglicherweise sind die Ergebnisse durch die Indikation verzerrt, oder aber junge Männer mit Haarausfall sind besonders vulnerabel. Minoxidil, ein anderer bei Alopezie indizierter Wirkstoff, korrelierte hingegen nicht mit Suiziden oder psychischen Symptomen, was eine besondere Rolle von Finasterid nahelegt.
Wichtige Hinweise
Patienten, die Finasterid-haltige Arzneimittel in den Indikationen „androgenetische Alopezie“ und „benigne Prostatahyperplasie“ einnehmen, sollten darüber informiert werden,
- dass das Risiko einer sexuellen Dysfunktion, Ejakulationsstörung und verminderter Libido besteht und dass die Symptome auch nach Absetzen der Therapie länger als zehn Jahre fortbestehen können,
- dass Stimmungsänderungen (einschließlich depressiver Verstimmung, Depression und Suizidgedanken) auftreten können.
Ein Warnhinweis in der Fach- und Gebrauchsinformation weist darauf hin, dass Patienten, die mit Finasterid behandelt werden, hinsichtlich psychiatrischer Symptome überwacht werden sollten.
Sind die Medienberichte schuld?
Unauffällig waren ebenso der Adrenozeptorantagonist Tamsulosin, aber auch Dutasterid (Avodart®), das die 5α-Reduktasen Typ I und II hemmt [3]. Letzteres überrascht, da es ähnlich wirkt wie Finasterid, welches nur die 5α-Reduktase Typ II inhibiert [3]. Da Dutasterid im Gegensatz zu Finasterid in den Medien kaum eine Rolle spielte, stratifizierten die Autoren die Ergebnisse zusätzlich nach dem Berichtszeitraum. Hierbei identifizierten sie keine Signale für Finasterid vor 2012, dem Jahr, ab dem die Berichterstattung merklich anstieg. Erst danach findet sich eine signifikante Korrelation, was den Verfassern zufolge auf einen Melde-Bias, aber auch einen möglichen Nocebo-Effekt hinweist.
Die vorliegende Studie ist eine explorative Analyse, die gezeigten Korrelationen können nicht als kausal betrachtet werden, wie auch das begleitende Editorial der Studie betont [4]. Es gibt jedoch Theorien, in deren Licht ein direkter Zusammenhang möglich scheint. Beispielsweise verringert eine Inhibition der 5α-Reduktase die Spiegel des antidepressiv wirksamen Neurosteroids Allopregnanolon [5]. Möglicherweise ist der Hirnstoffwechsel junger Männer anfälliger für solche Eingriffe [6]. Denkbar ist auch, dass junge Männer stärker unter möglichen, bleibenden sexuellen Nebenwirkungen leiden als ältere und somit anfälliger sind für psychische Störungen und suizidale Tendenzen [4]. Um die gefundene Korrelation zu bestätigen, bedarf es prospektiver Studien. Bis solche vorliegen, ist es unerlässlich, Patienten über diese Zusammenhänge aufzuklären. |
Literatur
[1] Mögliche Risiken bei der Anwendung finasteridhaltiger Arzneimittel (1 mg und 5 mg Dosierung) sowie Empfehlungen zur Aufklärung Ihrer Patienten. Rote-Hand-Brief des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, 5. Juli 2018, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2018/rhb-finasterid.pdf;jsessionid=CB9249BDDC993F53D1B4D268753BF3F6.2_cid354?__blob=publicationFile&v=4
[2] Nguyen DD et al. Investigation of Suicidality and Psychological Adverse Events in Patients Treated With Finasteride. JAMA Dermatol, epub ahead of print 11. November 2020, doi: 10.1001/jamadermatol.2020.3385
[3] Hirshburg JM et al. Adverse Effects and Safety of 5-alpha Reductase Inhibitors (Finasteride, Dutasteride): A Systematic Review. J Clin Aesthet Dermatol 2016;9:56-62
[4] Ho RS. Ongoing Concerns Regarding Finasteride for the Treatment of Male-Pattern Androgenetic Alopecia. JAMA Dermatol, epub ahead of print 11. November 2020,doi: 10.1001/jamadermatol.2020.3384
[5] Dubrobsky B. Neurosteroids, neuroactive steroids, and symptoms of affective disorders. Pharmacol Biochem Behav 2006;84:644-55
[6] Uhl D. Neuroaktive Steroide im Visier. Interview mit Prof. Dr. Michael Zitzmann. DAZ 2018;16:29
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