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Arzneimittel und Therapie

Raus aus dem Teufelskreis Migräne

Was CGRP-Antikörper leisten können

mab | Das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) spielt in der Pathophysiologie der Migräne eine zentrale Rolle, da es die nozizeptive Signalübertragung reguliert und als Vasodilatator wirkt. In Deutschland sind mit Erenumab, Galcanezumab und Fremanezumab drei monoklonale Antikörper zur Prophylaxe von ­Migräne verfügbar, die therapieresistenten Patienten helfen sollen.

Etwa jeder Zehnte erlebt einmal in seinem Leben eine Migräneattacke, der Großteil davon sind Frauen. Typischerweise treten die pulsierenden Kopfschmerzen in regelmäßigen Abständen halbseitig auf, oft auch in Begleitung von Seh­störungen, Paresen, Übelkeit und Erbrechen. Ziel der Migränetherapie ist es, die Anzahl der Schmerztage deutlich zu reduzieren. Das kommt nicht nur der Lebensqualität zugute, sondern soll auch den Gebrauch an Schmerzmitteln reduzieren. Aus Studien weiß man, dass sich bei einigen Patienten die Migräne chronifizieren kann: Kaum ist eine Kopfschmerzepisode beendet, startet auch schon die nächste. Schnell wird dann auch zur Schmerztablette gegriffen, um den Kopfschmerzen zügig Herr zu werden. Gerade bei chronisch kranken Patienten besteht dabei die Gefahr, dass an mehr als zehn Tagen pro Monat ein Triptan eingenommen wird und damit das Risiko für einen Schmerzmittel-induzierten Kopfschmerz steigt. Ein Teufelskreis entsteht: Nimmt der Patient keine Schmerzmittel mehr ein, so erleidet er ständig starke Migräneattacken, versucht er diese mit Triptanen oder anderen Arzneimitteln zu behandeln, droht der Schmerzmittel-induzierte Kopfschmerz.

Leitliniengerechte Hilfe bei chronischen Kopfschmerzen

Die Migräneleitlinie der internationalen Kopfschmerzgesellschaft von 2019 hat daher versucht, Empfehlungen auszusprechen, um den übermäßigen Schmerzmittelgebrauch bei chronisch an Migräne erkrankten Patienten zu reduzieren. So sollen Betroffene über zwei bis vier Wochen komplett auf Schmerzmittel verzichten oder die Einnahme auf maximal zwei Mal pro Woche beschränken. Diese Empfehlungen sind für Betroffene jedoch oft nur schwer umzusetzen, da sie unter unerträglichen Kopfschmerzen leiden, die auf nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oft nur unzureichend ansprechen. Eine Option, diesem Teufelskreis zu entkommen, könnten laut neusten Studiendaten monoklonale Antikörper darstellen, die sich gegen CGRP (Calcitonin Gene related Peptide) oder dessen Rezeptor richten (s. Kasten „CGRP als neues Target“ und Abb.). Das berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie in einer aktuellen Pressemitteilung. Die Antikörper können bei Betroffenen ohne Therapiepause oder Schmerzmittelentwöhnung eingesetzt werden.

CGRP als neues Target

Dem Migräneschmerz liegt eine neurogene Entzündung an den Gefäßen der Hirnhäute zugrunde, bei der Entzündungsmediatoren wie Prostaglandine, Stickstoffmonoxid, Substanz P und Calcitonin Gene related Peptide (CGRP) freigesetzt werden. Diese aktivieren zum einen nozizeptive Neuronen und erzeugen so den typischen Schmerz, zum anderen bewirken sie die Schwellung und Erweiterung der Gefäßwände. Vor allem das bei einer Migräneattacke vermehrt freigesetzte CGRP vermittelt G-Protein-gekoppelt eine Dilatation der Gefäße. In den letzten Jahren widmete die Wissenschaft daher vermehrt diesem Entzündungsmediator die Aufmerksamkeit bei der Erforschung der Migränetherapie. Zum einen werden monoklonale Antikörper eingesetzt, die an CGRP selbst binden (Galcanezumab [Emgality®], Fremanezumab [Ajovy®]) und so dessen Wirkung vermindern, andere Antikörper blockieren direkt den CGRP-Rezeptor (Erenumab [Aimovig®]), (s. Abb.). Zugelassen sind alle Antikörper in Deutschland für Patienten, die vier oder mehr Migränetage pro Monat erleiden. Erstattungsfähig sind sie jedoch erst, wenn Versuche mit anderen Wirkstoffen wie Metoprolol oder Propranolol, Amitriptylin, Flunarizin und Botulinumtoxin A keinen Erfolg gezeigt haben, sie nicht vertragen wurden oder bei dem betroffenen Patienten kontraindiziert sind.

Das Neuropeptid Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) wird im peripheren und zentralen Nervensystem exprimiert und ist maßgeblich an der Pathophysiologie der Migräne und anderer neurogener Schmerzen beteiligt. Der zugehörige G-Protein-gekoppelte CGRP-Rezeptor findet sich gehäuft in Regionen, die für die Pathophysiologie der Migräne relevant sind, wie dem Ganglion trigeminale. Antikörper wie Fremanezumab und Galcanezumab sind spezifisch gegen CGRP gerichtet und unterbinden seine biologische Aktivität, sodass keine Interaktion mit dem zugehörigen Rezeptor stattfindet. Erenumab dagegen ist spezifisch gegen den CGRP-Rezeptor gerichtet und konkurriert mit dem körpereigenen Agonisten CGRP um die Bindungsstelle.

Deutliche Reduzierung der Schmerztage

In einer Nachbewertung von zwei großen randomisierten Studien wurde speziell untersucht, wie sich die Antikörper auf den Schmerzmittelübergebrauch von chronischen Migränepatienten bemerkbar machen. Alle Probanden nahmen vor Studienbeginn an mehr als zehn Tagen pro Monat ein Triptan oder Ergotamin-Derivat ein, oder andere Schmerzmittel an mehr als 15 Tagen pro Monat. Mehr als die Hälfte aller Probanden (55,2%) konnte unter einer vierteljährlichen Anwendung von Fremanezumab (Ajovy®) ihren Schmerzmittelgebrauch deutlich reduzieren. Bei einer monatlichen Anwendung benötigten sogar 60,6% weniger regelmäßig eine Schmerztherapie. In einer zweiten Auswertung zu Eptinezumab, einem bisher nicht in der EU zugelassenen Antikörper gegen CGRP, wurden ähnlich gute Ergebnisse erzielt. So konnte hier die durchschnittliche Zahl von 16,7 Schmerztagen nach 24 Behandlungswochen auf acht Tage reduziert werden. Die deutsche Gesellschaft für Neurologie sieht daher in der CGRP-Antikörper-Therapie eine sinnvolle Alternative, wenn andere Arzneimittel wie Botulinumtoxin Typ A nicht ausreichend ansprechen, um betroffene Patienten aus der Schmerzmittelabhängigkeit befreien zu können. |

 

Literatur

CGRP-Antikörper können bei Migräne einen Weg aus dem Schmerzmittelübergebrauch darstellen. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 6. November 2020

Diagnostik, Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne. Informationen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V., www.dmkg.de/patienten/medikamente/medikamente-gegen-migraene, Abruf am 24. November 2020

Geisslinger G, Menzel M, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler – Arzneimittelwirkungen. 11. Auflage 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

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