Arzneimittel und Therapie

Erfahrungen mit CGRP-Antikörpern

Migräneprophylaxe kann auch einen Schmerzmittelübergebrauch reduzieren

Endlich ohne Schmerzmittel auskommen zu können, davon träumen viele chronische Migränepatienten. Eine Möglichkeit, einen übermäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln zu verhindern, stellt die Injektion von Antikörpern gegen den Entzündungsmediator CGRP (Calcitonin Gene-related Peptide) oder dessen Rezeptor dar. Welche Erfahrungen man mit dieser Therapieform in der Praxis bereits gemacht und was bei der Verordnung beachtet werden muss, darüber sprachen wir mit Priv.-Doz. Dr. Charly Gaul, Chefarzt der Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein.
Foto: Mugur Varzariu
Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul: 
„Oft gelingt es erst unter einer wirksamen Migräneprophylaxe, nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Ausdauersport und Entspannungsverfahren oder Verhaltensänderung konsequent umzu­setzen.“

DAZ: Haben Sie bereits CGRP-Antikörper bei Patienten mit einem Schmerzmittelübergebrauch angewendet?
Gaul: Da im klinischen Alltag etwa die Hälfte der Patienten mit einer chronischen Migräne auch einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch als zusätzliche Diagnose aufweist, wird diese Erkrankung dann quasi mitbehandelt, wenn man eine Therapie mit einem monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor beginnt. Migräne-Patienten, die auf die Antikörpertherapie ansprechen, berichten auch einen Rückgang des Verbrauchs an Akutmedikation. Patienten, die zusätzlich an einem Medikamentenübergebrauch leiden, scheinen nicht schlechter auf die Therapie anzusprechen als solche ohne.

DAZ: Wie schnell bemerken Patienten eine Wirkung der Antikörpertherapie?
Gaul: Häufig wird im Alltag ein sehr rasches Ansprechen auf die Therapie beobachtet, dies deckt sich mit den Erfahrungen aus den Studien, in denen statistisch zum Teil schon nach einer Woche ein Unterschied zur mit Placebo behandelten Gruppen erkennbar ist. Die Behandlung mit einem der monoklonalen Antikörper wird, um die Wirksamkeit zu prüfen, über drei Monate durchgeführt. Zeigt sich in dieser Zeit keine ausreichende Verbesserung, wird die Therapie beendet. Die Mehrzahl der Patienten berichtet ein sehr rasches Ansprechen bereits in den ersten Wochen.

DAZ: Handelt es sich um eine lebenslange Therapie?
Gaul: Zur Therapiedauer haben wir noch wenig Erfahrung: Bei den bisherigen Migräneprophylaktika empfehlen wir – in Übereinstimmung mit den Leitlinien – eine Therapie von mindestens sechs bis zwölf Monaten Dauer. Hat sich die Migräne dann deutlich verbessert, kann versucht werden, die Dosis zu reduzieren und bei weiter günstigem Verlauf die Migräneprophylaxe abzusetzen. Häufig gelingt es Patienten, die eine wirksame Migräneprophylaxe erhalten, die ohnehin empfohlenen nicht-medikamentösen Maßnahmen wie Ausdauersport und Entspannungsverfahren sowie Verhaltensänderung erstmals konsequent umzusetzen, sodass sie dann soweit profitieren, dass auf eine medikamentöse Prophylaxe auch verzichtet werden kann. Patienten mit einer langjährigen chronischen Migräne und einem vorausgegangenen Medikamentenübergebrauch benötigen eher längerfristig eine Prophylaxe.
Zu den monoklonalen Antikörpern fehlen uns diese Erfahrungen noch weitgehend. Die Leitlinienergänzung empfiehlt einen Auslassversuch nach einem Jahr für die Dauer von drei Monaten. Letztlich muss hier jedoch eine individuelle Abwägung mit dem Patienten getroffen werden. Ganz entscheidend hängt dies davon ab, ob die Therapieziele (z. B. gemessen am Rückgang der Kopfschmerztage oder der Verbesserung der Lebensqualität) auch erreicht wurden. Erste Daten liegen aus den als offene Studien fortgeführten Zulassungsstudien vor, die über Verträglichkeit, Sicherheit und Wirksamkeit auch über einen mehrjährigen Behandlungsverlauf berichten. Zur Frage, ob man im Verlauf einer Therapie mit einem CGRP-Antikörper beim Absetzen zum Beispiel eine langsame Reduktion mittels Strecken des Therapieintervalls erreichen kann und ob das sinnvoll ist, fehlen uns sowohl Daten als auch die klinische Erfahrungen.

DAZ: Mit welchen Nebenwirkungen muss der Patient rechnen?
Gaul: Die monoklonalen Antikörper gegen CGRP und den CGRP-Rezeptor sind gut verträglich, Nebenwirkungen werden viel seltener berichtet als unter den etablierten Migräneprophylaktika. Betrachtet man die Ergebnisse der klinischen Studien gab es keine Nebenwirkungen, die unter dem Antikörper statistisch häufiger auftraten als unter Placebo. Berichtet werden Injektionsschmerzen, Hautausschlag im Bereich der Injektionsstelle und Obstipation. Die Obstipation kann so ausgeprägt sein, dass die Therapie deshalb sogar beendet werden muss. Selten kann es auch zu generalisierten allergischen Reaktionen kommen.
Im klinischen Alltag berichten Patienten unterschiedlich über die Wirksamkeit ihrer Akutmedikation während des Einsatzes der Antikörper: zum Teil wirken diese – insbesondere die Triptane – besser als sonst. Manchmal lässt die Wirksamkeit der Akutmedikation aber auch nach, wenn eine Behandlung mit einem monoklonalen Antikörper begonnen wird.
Schwerwiegende Nebenwirkungen treten im Allgemeinen nicht auf. Sicherlich muss berücksichtigt werden, dass in den klinischen Studien Patienten mit schwerwiegenden Begleiterkrankungen nicht eingeschlossen wurden. Vom Einsatz der monoklonalen Antikörper bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa wird bislang abgeraten, da es neben dem Alpha-CGRP, das im zentralen trigeminalen System exprimiert wird, auch eine Betavariante gibt, die im enterischen Nervensystem relevant ist und von der man klinisch aktuell noch nicht genau sagen kann, welche potenziellen Wirkungen und Nebenwirkungen möglich sind, wenn diese Form blockiert wird.

DAZ: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Erstattung der Kosten einer Antikörpertherapie durch die Krankenkassen gemacht?
Gaul: Unterschieden werden müssen die Zulassung, die den Einsatz bei vier oder mehr Migränetagen im Monat ermöglicht, von der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist nach den Vorgaben des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) daran gebunden, dass eine Standardprophylaxe mit einem Betablocker (anerkannt werden hier die zur Migräneprophylaxe explizit zugelassenen Betablocker Propranolol und Metoprolol) zuvor stattgefunden haben soll, die nicht wirksam war, zu Nebenwirkungen führte oder eine Kontraindikation gegen den Einsatz bestand. Außerdem sollen vorab Amitriptylin als trizyklisches Antidepressivum, der Calciumantagonist Flunarizin und das Antikonvulsivum Topiramat vor den monoklonalen Antikörpern zum Einsatz gekommen sein. Leidet der Patient unter einer chronischen Migräne, sollte auch Botulinumtoxin eingesetzt werden, bevor eine Behandlung mit einem monoklonalen Antikörper gestartet wird. Diese Vorgaben werfen dann Probleme auf, wenn ein Patient zwar mit einem Betablocker vorbehandelt wurde, jedoch z. B. mit Bisoprolol, welches zwar auch als Migräneprophylaxe wirksam ist, jedoch nicht zugelassen und somit nicht als Vorbehandlung nach den Vorgaben des G-BA anerkannt wird. Dieselbe Situation ergibt sich, wenn ein anderes trizyklisches Antidepressivum als Amitriptylin eingesetzt wurde. Sofern sich die verordnenden Ärzte an die geforderten Vorbehandlungen halten, dürften bei der Kostenübernahme keine Probleme bestehen. Prinzipiell trifft das Risiko auch nicht den Patienten, der lediglich sein Rezept einlöst, sondern den Arzt, bei dem grundsätzlich Regressforderungen möglich sind, wenn die Verordnungsvorgaben nicht berücksichtigt wurden. Die pharmazeutischen Unternehmen stellen umfangreiches Informationsmaterial für Ärzte und Patienten sowie Dokumentationsbögen bereit, mit denen die Vorbehandlung, deren Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie Kontraindikationen festgehalten werden können. Es empfiehlt sich außerdem, die Patienten ein Kopfschmerztagebuch führen zu lassen und bei den Folgeverordnungen regelmäßig zu evaluieren, ob das Behandlungsergebnis die weitere Verordnung tatsächlich rechtfertigt.

DAZ: Herr Dr. Gaul, wir danken Ihnen für das Gespräch! |

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