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Interpharm online 2021
Gibt es Gründe, „Nein“ zu sagen?
Kontrahierungszwang bei der Arzneimittelabgabe
Nach dem Apothekengesetz haben die Apotheken einen Sicherstellungsauftrag für die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Mit ihrer Monopolstellung sind sie nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, Arzneimittel an Endverbraucher abzugeben. Das heißt, es besteht ein grundsätzlicher Kontrahierungszwang. Für verschreibungspflichtige Arzneimittel (verschriebene Arzneimittel) ergibt sich dieser aus der Apothekenbetriebsordnung (§ 17 Abs. 4 ApBetrO). Hiernach müssen Verschreibungen von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten in einer angemessenen Zeit, das heißt in der Regel unverzüglich ausgeführt werden. Der Apotheker prüft das Rezept nur noch begrenzt, und zwar auf Einhaltung der Formalien, nicht jedoch die medizinische Indikation und Notwendigkeit der Sachleistung.
Wann darf oder muss die Abgabe verweigert werden?
Allerdings: Enthält ein Rezept einen erkennbaren Irrtum, ist es nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf die Verschreibung erst beliefert werden, wenn die Unklarheit beseitigt ist (§ 17 Abs. 5 ApBetrO). Liegt ein begründeter Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch vor, so muss die Abgabe verweigert werden (§ 17 Abs. 8 ApBetrO). Ein solcher Verdacht kann zum Beispiel aufkommen, wenn ein Kunde mehrere gleichlautende Rezepte vorlegt oder in kürzeren Abständen Arzneimittel in größeren Mengen kauft. Auch untypische Verhaltensweisen oder die körperliche Verfassung können Hinweise auf einen Arzneimittelmissbrauch geben. Grau geht davon aus, dass solche Fälle aktuell eher die Ausnahme sind, was sich aber mit der Einführung des E-Rezepts ändern könnte, denn damit werden die Verordnungen eines einzelnen Patienten transparenter.
Zytostatika-Zubereitungen und Substitutionsarzneimittel
Als weitere Ausnahmen für den Kontrahierungszwang bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln führte Grau einige Sonderfälle in der Spezialversorgung an, wie etwa anwendungsfertige Zytostatika. Da für deren Herstellung besondere räumliche und fachliche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, können entsprechende Rezepte nur von bestimmten Apotheken beliefert werden.
Verordnungen von Arzneimitteln zur Substitutionstherapie müssen grundsätzlich beliefert werden, wenn der Empfänger diese eigenverantwortlich einnehmen soll. Anders sieht es beim sogenannten „Sichtbezug“ aus (§ 5 Abs. 7 Satz 1 BtMVV), das heißt, wenn das Betäubungsmittel dem Bezieher auf Weisung des Arztes direkt in der Apotheke verabreicht werden soll. Da nicht alle Apotheken den „Sichtbezug“ anbieten müssen, konzentriert sich die Abgabe von Substitutionsarzneimitteln de facto meist auf entsprechende Apotheken. Weiterhin besteht für Hämophilie-Präparate kein Kontrahierungszwang.
Begrenzter Kontrahierungszwang bei OTC-Arzneimitteln
Beim Verkauf nicht-rezeptpflichtiger Arzneimittel gilt der Kontrahierungszwang nur begrenzt. So könnte er bei freiverkäuflichen OTC-Präparaten fraglich sein. Bei apothekenpflichtigen ist schon eher davon auszugehen, denn diese kann ein Kunde schließlich nur in der Apotheke erwerben. Trotzdem hat der Apotheker in der Selbstmedikation einen fachlichen Ermessensspielraum, das heißt, er muss entscheiden, ob das gewünschte Arzneimittel bei der konkreten Person geeignet ist und kann gegebenenfalls auch dazu raten, einen Arzt aufzusuchen.
Umfassender Kontrahierungszwang beim Versandhandel
Beim Versandhandel muss der Apothekenleiter sicherstellen, dass alle bestellten Arzneimittel geliefert werden, soweit sie im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in den Verkehr gebracht werden dürfen und verfügbar sind (§ 17 Abs. 2 a Ziff. 4 ApBetrO). Hier ist der Kontrahierungszwang also sehr umfassend. Ein Versandapotheker darf sein Sortiment danach nicht auf lukrative Arzneimittel beschränken. Ausgenommen davon sind allerdings freiverkäufliche Arzneimittel, sowie Medizinprodukte oder Waren des Apothekenrandsortiments.
Was geschieht bei Verletzung des Kontrahierungszwangs?
Wird die Abgabe eines Arzneimittels zu Unrecht verweigert, so drohen disziplinar-, straf- und zivilrechtliche Konsequenzen. Das Spektrum der Sanktionen umfasst Rügen oder Bußgelder. Im schlimmsten, wenn auch aus Graus Sicht eher unwahrscheinlichen Fall, kann nach Berufsrecht sogar die Approbation widerrufen werden. Patienten könnten Schadensersatzansprüche geltend machen. Je nach Fall kann ein Apotheker wegen unterlassener Hilfeleistung bzw. fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung auch strafrechtlich belangt werden.
Exklusivvertrag versus Kontrahierungszwang
Grau illustrierte seine Ausführungen mit einigen Beispielen aus der Rechtsprechung zum Kontrahierungszwang. Hier sind Entscheidungen allerdings nur dünn gesät. In einem Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2015 (BSG, Urteil vom 25.11.2015 – B 3 KR 16/15 R) ging es um Exklusivverträge über die Versorgung der Versicherten mit anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen, die die AOK Hessen Ende 2013 mit Apotheken abgeschlossen hatte. Mehrere Apotheken, die nicht zu den Ausschreibungsgewinnern gehörten, hatten für Patienten auf deren Wunsch solche Zytostatikazubereitungen hergestellt. Die AOK Hessen verweigerte diesen jedoch die Erstattung und verwies auf die Exklusivverträge. Die Apotheken argumentierten ihrerseits mit dem Recht auf freie Apothekenwahl des Versicherten und dem Kontrahierungszwang nach § 17 Abs. 4 ApBetrO. Sie kamen damit jedoch nicht durch. Die Arzneimittelversorgung werde durch die Exklusivertrage „sichergestellt“ und diese gingen dem Kontrahierungszwang vor, so das BSG. Grau hält die Entscheidung für „fragwürdig“, fügte jedoch an, dass der Gesetzgeber schnell reagiert und die Zytostatika-Ausschreibungen mit dem am 13. Mai 2017 in Kraft getretenen GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) abgeschafft habe.
Verweigerung der Abgabe aus Gewissensgründen
Im Jahr 2014 verweigerte ein Apotheker in mehreren Fällen aus Gewissensgründen die Abgabe der „Pille danach“, und zwar gegenüber Kundinnen mit und ohne Rezept. Die Apothekerkammer Berlin als Einleitungsbehörde eines berufsrechtlichen Verfahrens argumentierte, dass der Apotheker einen gesetzlichen Versorgungsauftrag habe, der ihn zu religiöser und weltanschaulicher Mäßigung verpflichte.
Der Apotheker machte seinerseits geltend, dass er das Arzneimittel nicht vorrätig gehabt habe und hielt seine Weigerung aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Gewissensfreiheit und der Berufsausübungsfreiheit für berechtigt. Nach Ansicht des Berufsgerichts beim Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin, Urteil vom 26.11.2019 – VG 90K13.18T) war für den Apotheker aus § 17 Abs. 4 ApBetrO keine Pflicht zur Vorratshaltung abzuleiten, erst recht nicht in Bezug auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Außerdem sah das Gericht in seinem sehr ausführlichen Urteil in der Verweigerung der Abgabe keine vorsätzliche Berufspflichtverletzung, da der Apotheker vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes zur Verweigerung der Abgabe der „Pille danach“ ausgehen durfte. Die Kundinnen hätten sich auch nicht in einer ausweglosen Lage befunden, da es mehrere Apotheken in der Nähe (insgesamt auch 30 Apotheken im Notdienst) gegeben habe. Im Ergebnis müsste also die Abgabe der „Pille danach“ in bestimmten Fällen aus Gewissensgründen verweigert werden können. Allerdings ist das Urteil des erstinstanzlichen Berufsgerichts noch nicht rechtskräftig, weil die Apothekerkammer Berlin gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat. Der betroffene Apotheker hat seine Apotheke mittlerweile geschlossen. |
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