Praxis

Vitamin D3 auf Rezept – alles klar?

Was es zu beachten gilt, wenn das „Sonnenvitamin“ verordnet ist

Das „Sonnenvitamin“ Colecalciferol (Vitamin D3) übernimmt im Körper vielfältige Aufgaben und kann teilweise mit der Nahrung aufgenommen werden, wird jedoch auch selbst gebildet, wenn der Körper UV-B-Licht ausgesetzt wird. Ein Mangel kann unterschiedliche Ursachen haben und zu unterschied­lichen Krankheitsbildern führen. Um den Colecalciferol-Spiegel im Sinne einer Prophylaxe oder Therapie anzuheben, stehen grundsätzlich hochdosierte Kapseln, Öle oder auch eher niedrig dosierte Tabletten zur Verfügung. Doch in welchen Fällen übernimmt die Kranken­kasse die Kosten der Behandlung?

Kommt es zu einem Vitamin-D-Mangel, äußert sich dieser nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) oftmals mit Symptomen wie z. B. verringerter Muskelkraft und vermindertem Muskeltonus, einer erhöhten Infekt­anfälligkeit und kann unbehandelt zur Entkalkung der Knochen führen.

Die Entkalkung der Knochen kann wiederum zu Knochenbrüchen, Osteoporose und Osteomalazie führen, die ihrerseits behandlungsbedürftige Erkrankungen darstellen. Um diesen ­Erkrankungen vorzubeugen oder sie zu behandeln, steht Vitamin D3 bzw. Colecalciferol grundsätzlich in Form von hochdosierten Kapseln, Ölen oder auch eher niedrig dosierten Tabletten zur Verfügung. Doch wie sieht es mit der Erstattungsfähigkeit aus?

Der Fall

In der Apotheke wird ein Privatrezept über Dekristol® 20.000 IE Kapseln für einen Erwachsenen vorgelegt. Sowohl die Apothekerin als auch der Kunde wundern sich: Noch vor einem Jahr erhielt derselbe Kunde das gleiche Präparat auf einem Kassenrezept, und er kann sich die 37 Euro für die Privatverordnung kaum leisten. Wollte der Verordner etwa sein Budget schonen oder besteht tatsächlich keine Leistungspflicht für die gesetzliche Krankenkasse?

Foto: picture alliance/Westend61

Nicht unmöglich – Vitamin-D-Präparate lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen zulasten der GKV abrechnen – ohne Retaxgefahr für die Apotheke.

Zehn Kapseln auf einmal

Zwar haben nach § 31 Abs. 1 SGB V Versicherte einen Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, doch nach dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V) müssen die verordneten Leistungen notwendig, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Zweckmäßig wird ein Arzneimittel üblicherweise dann verordnet, wenn die Anwendung durch die Zulassung abgedeckt wird. Als Indikation für das hier vorgestellte Arzneimittel findet sich in der aktuellen Fachinformation des Präparats folgender Wortlaut: „Zur einmaligen Anwendung bei der Anfangsbehandlung von Vitamin-D-Mangelzuständen.“ Besonderes Augenmerk sollte hier auf dem Wort „einmalig“ liegen – denn sofern es sich um eine Wiederholungsverordnung handelt, liegt hier nach Auffassung der Autoren ein sogenannter Off-Label-Use vor, für den im Einzelfall eine Kostenübernahme beim Versicherungsträger gestellt werden müsste. Dies gilt übrigens auch dann, wenn es sich zwar um die Erstverordnung handelt, aber von der Dosierung abgewichen wird. Diese kann gem. Fachinformation bei einmalig zehn (!) Kapseln liegen sowie individuell festzulegender Weiterbehandlung. Fälle in der Praxis weichen häufig hinsichtlich der in der Fachinformation genannten Dosierung ab. In diesem Einzelfall hat der Behandler, da es sich nicht um die Erstverordnung handelte, das Arzneimittel korrekt auf einem Privatrezept verordnet, hätte den Versicherten aber über den Off-Label-Use aufklären müssen.

Läuft’s flüssig besser?

Da die Apothekerin den Kunden nun über den Sachverhalt aufklärt, ist dieser nicht bereit, das Rezept einzulösen und geht stattdessen zurück zum Arzt. Dieser verschreibt seinem Patienten nun Vigantol® Öl, das pro Milliliter ebenfalls 20.000 IE Vitamin D3 enthält. Zurück in der Apotheke wundern sich die Apothekerin und der Kunde allerdings darüber, dass auch dieses Arzneimittel wieder auf Privatrezept verordnet wurde, denn laut Fachinformation ist das Arzneimittel zugelassen zur Vorbeugung und Behandlung mehrerer Erkrankungen (u. a. für Erwachsene bei Osteoporose, Hypoparathyreoidismus, Rachitis und Osteomalazie; zur Vorbeugung bei erkennbarem Risiko einer Vitamin-D-Mangel-Erkrankung bei ansonsten Gesunden ohne Resorptionsstörung bzw. bei Malabsorption). Der Versicherte möchte das Präparat unterstützend bei leichter Osteoporose anwenden. Auch die Dosierung erscheint auf den ersten Blick mit zwei Tropfen (1000 IE) fachgerecht. Ging es dem Behandler also doch um die Budgetierung?

Lohnt sich ein erneuter Besuch beim Arzt?

Werden hochdosierte, flüssige Präparate mit Vitamin D3 zur unterstützenden Behandlung bei Osteoporose verordnet, handelt es sich um eine zweckmäßige Anwendung, für die sich aus der Fachinformation eine Dosierung von 1000 IE pro Tag ergibt. Eine Dauerbehandlung stellt hier nicht zwangsläufig einen Off-Label-Use dar. Erneut ist jedoch die Dosierung das Problem, denn die Einnahme der 1000 IE pro Tag wäre auch mit einem apothekenpflichtigen, nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel möglich. Die Fachinformationen Vitamin-D-haltiger OTC-Arzneimittel stimmen hinsichtlich Indikation und Dosierung teilweise mit dem vorgestellten Öl überein. Dem Wirtschaftlichkeitsgebot in der GKV entsprechend, hätten nun eigentlich die Tabletten vor dem Öl Vorrang gehabt, und da diese ohne Rezept erhältlich sind, hätte der Kunde die Kosten hierfür tragen müssen – stattdessen das Öl zulasten der GKV zu rezeptieren, wäre unwirtschaftlich gewesen. Die Entscheidung für das Privatrezept ist aus diesen Gründen nachvollziehbar.

Ausnahmen der Ausnahmen

Gemäß der Anlage I der Arzneimittelrichtlinie wäre wiederum zu klären, ob zumindest Tabletten zu 1000 IE mit der Kasse abrechnungsfähig sind (dies lohnt sich wegen der Zuzahlung oftmals nur dann, wenn Kunden von der Zuzahlung befreit sind). Dort ist geregelt, dass die Kasse dann die Kosten trägt, wenn Vitamin D3 genutzt wird zur Behandlung der manifesten Osteoporose, begleitend zur Steroidtherapie bei Erkrankungen, die voraussichtlich einer mindestens sechsmonatigen Behandlung mit wenigstens 7,5 mg Prednisolonäquivalent bedürfen oder bei Bisphosphonat-Behandlung, wenn dies in der jeweiligen Fachinformation gefordert wird. Es kommt im diskutierten Fall daher darauf an, ob es sich um eine manifeste Osteoporose handelt oder nicht – dies ist durch den verschreibenden Arzt zu beurteilen.

Weitere Patientengruppen

Der Verweis auf die Tabletten im dargestellten Beispiel ist deshalb statthaft, da sowohl Indikation als auch Dosierung übereinstimmten. Es existieren jedoch auch Indikationen, die ausschließlich vom verschreibungspflichtigen Arzneimittel abgedeckt werden, z. B. die Behandlung von Hypoparathyreoidismus bei Erwachsenen, Dosierung laut Fachinformation: 10.000 – 200.000 IE pro Tag. Ein Verweis auf die Tabletten wäre (da Off-Label-Use und Einnahme von bis zu 200 Tabletten pro Tag kaum praktikabel) hier nicht korrekt. In dieser besonderen Konstellation wäre demnach die Verordnung eines hochdosierten Arzneimittels zulasten der GKV sachlich richtig und problemlos abzurechnen, und der Verweis auf zum Teil höher dosierte Nahrungsergänzungsmittel (die generell nicht erstattungsfähig sind) wenig zielführend. |

Autoren

Dr. PH André S. Morawetz, Apotheker, Promotion an der Universität Bremen, aktuell tätig für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Niedersachsen

 

Saskia Ritter, Apothekerin, wissenschaft­liche Mitarbeiterin an der Universität Bremen im SOCIUM

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