Beratung

„Wer sucht, der findet eine kausale Therapie gegen FSME“

Interview mit Prof. Dr. Reinhard Kaiser

Infektionen mit dem Hepatitis-C-­Virus kann man dank Virustatika heutzutage heilen, HIV-Erkrankungen zumindest unter Kontrolle bringen. Und selbst gegen die äußerst veränderlichen Influenza-Viren gibt es medikamentöse Waffen. Woran hapert es beim FSME-Virus? Die DAZ hakte bei Prof. Dr. med. Reinhard Kaiser nach, Chefarzt der Neurologie am Helios Klinikum Pforzheim und federführender Autor der S1-Leitlinie „Frühsommer-Meningoenzephalitis“.
Foto: privat

Prof. Dr. Reinhard Kaiser

DAZ: Herr Professor Kaiser, Sie arbeiten in einem Hochrisikogebiet und behandeln überdurchschnittlich viele Fälle von FSME. Wie sehr wünschen Sie sich manchmal eine gezielte Arzneimitteltherapie?
Reinhard Kaiser: Ich wäre sehr froh, wenn wir einen gegen das FSME-­Virus wirksamen Arzneistoff zur Hand hätten. Im Verdachtsfall könnte man damit früh „ins Blaue schießen“. Handelt es sich nämlich um einen schweren Verlauf, können wir derzeit im Großen und Ganzen nur ziemlich hilflos zusehen und darauf hoffen, dass das Immunsystem des Patienten den Kampf gegen das Virus gewinnt.

DAZ: Steht eine kausale Therapie gegen FSME derzeit auf der Agenda der Forschung?
Kaiser: Meines Wissens nicht, zumindest nicht in Deutschland.

DAZ: Woran liegt das? Fehlt es dem Virus an spezifischen Zielstrukturen?
Kaiser: Nein, das FSME-Virus ist gut untersucht und hält mehrere potenzielle Targets für die Arzneistoffentwicklung bereit. Ich vermute, es sprechen eher wirtschaftliche Gründe gegen ein engagiertes Forschungsbemühen. Die Erkrankung ist einfach zu selten, um die Entwicklungskosten zu decken oder gar Gewinne zu erzielen. Ich bin sicher, wenn man nach einer kausalen Therapie sucht, würde man eine finden.

DAZ: Wurden bestehende Virustatika auf Wirksamkeit gegen das FSME-­Virus getestet?
Kaiser: Soweit ich die Literatur kenne, gab es bislang keine entsprechenden Studien.

DAZ: Die aktive Immunisierung ist somit derzeit unsere einzige Chance im Kampf gegen FSME. Können sich Geimpfte sorgenfrei in der Natur bewegen?
Kaiser: Leider nein, ein Restrisiko bleibt immer. Der Erfolg einer Impfung ist generell nicht messbar, sondern nur epidemiologisch schätzbar. Wir haben in unserer Klinik einen Patienten behandelt, der in den vergangenen Jahren achtmal geimpft wurde, einen hohen Antikörpertiter aufwies und dessen Gesundheitszustand sich nach der Infektion trotzdem dramatisch verschlechterte, bis eine künstliche Beatmung nötig war. Er hat es überlebt, aber es blieben körperliche Lähmungserscheinungen zurück.

DAZ: Wie erklären Sie sich diesen Fall?
Kaiser: Der Patient hatte schlicht Pech. Eine Infektion mit dem FSME-Virus ist wie Russisch-Roulette spielen: 70% der Infizierten zeigen gar keine Symptome, aber unter den Übrigen sind welche, die nie wieder arbeiten können oder sogar daran versterben. Eine Impfung bietet nie einen 100%igen Schutz: die FSME-Impfung nicht, die Grippeschutzimpfung nicht, und auch die COVID-19-­Impfung nicht. Dafür senken sie das Risiko, schwer zu erkranken bzw. daran zu sterben. Im Fall von FSME wissen wir, dass es genetisch vor­bestimmt ist, wer einen schweren Verlauf haben wird. Das FSME-Virus nutzt bestimmte Rezeptoren auf den Nervenzellen als Eintrittspforte. Personen, die diese nicht haben, haben Glück. Für alle anderen wird das individuelle Risiko durch zwei Faktoren bestimmt: den verwendeten Impfstoff und die Leistung des eigenen Immunsystems.

DAZ: Sollten also besser alle geimpft werden?
Kaiser: Die STIKO empfiehlt die Impfung nur in Risikogebieten. Das hat auch rechtliche Folgen. Bei öffentlich empfohlenen Impfungen übernimmt der Staat die Kosten im Fall von Impfkomplikationen. Tatsächlich ist man in Deutschland aber vielerorts nicht mehr sicher vor FSME-infizierten Zecken. Selbst auf der Ostsee-Insel Hiddensee wurde ein Fall registriert. Ich würde mittlerweile jedem zu einer Impfung raten, der einen eigenen Garten oder Haustiere hat und sich gern in der Natur aufhält – auch außerhalb von offiziellen Risikogebieten, sofern in seinem Landkreis einmal FSME-­Erkrankungen registriert wurden. Eine entsprechende „Endemie-Karte“ zur Verbreitung des FSME-Virus fehlt derzeit noch.

DAZ: Stichwort Komplikationen: Nicht wenige Menschen schrecken vor der FSME-Impfung zurück, weil sie Nebenwirkungen befürchten. Ist diese Sorge berechtigt?
Kaiser: Nein, die FSME-Impfung wird in aller Regel gut vertragen. Falls jedoch Fieber oder Schmerzen als Impfreaktionen auftreten, sollten diese möglichst nicht mit nicht-steroidalen Antirheumatika behandelt werden, sondern nur mit Paracetamol oder Metamizol. Ibuprofen und Co. hemmen die Aktivität der Makrophagen und stören auf diese Weise empfindlich den Prozess der Antigen-Präsentation. Das Impfergebnis wird dadurch geschmälert.

DAZ: Wie steht es um die Schnell­immunisierung: Können Kurzentschlossene mit dem gewünschten Impfergebnis rechnen?
Kaiser: Für mich ist die Schnellimmunisierung gegen FSME eine reine Marketing-Angelegenheit. Um diese Jahreszeit denkt noch keiner an Zecken, sondern erst im Sommer, wenn der Urlaub vor der Tür steht. Dann ist es zu spät für eine Impfung nach klassischem Schema. Für solche Fälle haben die Hersteller die Schnellimmunisierung erprobt und zur Zulassung gebracht. Durch eine Impfserie innerhalb weniger Wochen werden jedoch weniger schützende Antikörper gebildet. Je länger der Abstand zwischen den Impfdosen (innerhalb der empfohlenen Grenzen), desto größer der Booster­effekt. Impft man ein Jahr später noch einmal, ist der Schutz aber vergleichbar mit jenem nach klassischem Schema. Jeder, der es sich zeitlich leisten kann, sollte aber den klassischen Weg wählen.

DAZ: Professor Kaiser, vielen Dank für das Gespräch! |

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