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Aus den Ländern
Pharmazeutische Kompetenz stärken und rechtfertigen
Baden-Württembergs Kammerpräsident Hanke resümiert und blickt in die Zukunft
Seit 1994 ist Dr. Günther Hanke Mitglied in der Vertreterversammlung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, vier Jahre später wählten ihn die Kolleginnen und Kollegen in den Vorstand und 2002 wurde er schließlich Präsident. Aktuell stehen wieder Kammerwahlen an in Baden-Württemberg und der heute 73-Jährige möchte sich auch weiterhin aktiv einbringen, „da ich zeigen möchte, wie sehr ich mich mit der Kammer verbunden fühle“.
Mit Industrieapotheker Dr. Martin Braun, Vorstandsmitglied der Landesapothekerkammer, hat sich nun bereits ein möglicher Nachfolger gemeldet und seinen Hut in den Ring geworfen. Auf die Kandidatur Martin Brauns angesprochen, zeigt sich Hanke sehr erfreut. Es sei wichtig, dass mögliche Kandidaten frühzeitig ihre Ambitionen signalisieren und sich aufstellen. So könnten sich alle Beteiligten ein besseres Bild machen und dann sei die individuelle Entscheidung bei den Wahlen auch besser zu treffen. Hanke sieht in Braun einen würdigen Nachfolger und will ihn auf dessen Weg unterstützen.
DAZ: Herr Dr. Hanke, rund 13.000 Apothekerinnen und Apotheker in Baden-Württemberg haben vom 21. Juni bis zum 2. Juli die Möglichkeit die Mitglieder der Vertreterversammlung zu wählen. Darüber hinaus ist es aber auch möglich, sich über eine Kandidatur selbst in die standespolitische Arbeit einbringen zu können. Welche Voraussetzungen sollten Ihrer Meinung nach vorliegen, um diese ehrenamtliche Tätigkeit aufnehmen zu können?
Hanke: Der große Vorteil unseres aktuellen Kammervorstandes ist die Ausgewogenheit zwischen Offizin- und Krankenhausapothekern, Industrievertretern, Mitarbeiterinnen der Überwachungsbehörden und in der Lehre. Somit sind die Interessen praktisch aller Bereiche abgedeckt, in denen Apothekerinnen und Apotheker tätig sein können. Idealerweise sind in der Kammerversammlung Kolleginnen und Kollegen, die über den Tellerrand hinausschauen können und ein breites Interessengebiet abdecken. Man sollte die Pharmazie insgesamt im Auge haben.
DAZ: Wie sieht es mit dem zeitlichen Aufwand aus?
Hanke: Die Zeit ist ein ganz wesentliches Kriterium. Um diesem Aufwand gerecht zu werden, muss man ganz schön viel Zeit investieren und das muss man mit der eigenen Apotheke oder seinem Arbeitsplatz z. B. in der Industrie erst einmal vereinbaren können. Doch je nach tatsächlichem Engagement, ob in Ausschüssen, Arbeitskreisen oder im Vorstand, ist der Aufwand natürlich sehr unterschiedlich groß.
DAZ: Rechnen Sie diesmal mit einem Generationenwechsel?
Hanke: „Generationenwechsel“ finde ich etwas irreführend, denn das hieße ja, die Alten wären alle weg. Idealerweise sollte es nach jeder Wahl ausgewogen sein. Wir sind auch schon aktuell ein recht junger Vorstand. Nur ich bin zahlenmäßig ein bisschen „alt“. (lacht)
DAZ: Welche Wahlbeteiligung wünschen Sie sich für Baden-Württemberg?
Hanke: Vor fünf Jahren lagen wir bei fast 30 Prozent. Die Kollegenschaft hier ist glücklicherweise sehr aktiv. Dennoch: Für dieses Jahr wünsche ich mir mehr als 50 Prozent!
DAZ: Kommen wir zu einer politischen Lageeinschätzung: Wo stehen Ihrer Meinung nach die Apotheker gerade – in Baden-Württemberg, in Deutschland?
Hanke: Die nächsten fünf Jahre werden geprägt sein von allen Fragen rund um die pharmazeutischen Dienstleistungen. Es geht darum, die pharmazeutische Kompetenz zu stärken und sie gegenüber der Politik, den Krankenkassen sowie der Gesellschaft zu rechtfertigen. Hierbei muss die Apothekerkammer entscheidende Weichen stellen, und gleichzeitig für ein breites Fortbildungsangebot sorgen. Untrennbar damit verbunden ist die Maxime, dass sich all dieses Engagement stets rechnen muss. Das heißt, es muss aus Apothekensicht immer eine gesunde Relation zwischen Aufwand und Ertrag sein. Ich kenne viele Kollegen mit innovativen Ideen, die das Engagement ganz schnell wieder bleiben lassen, wenn sich das nicht rechnet. Eine Apotheke muss sich rechnen.
„Wir müssen die Kollegen qualifizieren – und zwar vor allem dann, wenn es um neuartige Dienstleistungen wie Impfen oder Medikationsanalysen geht.“
DAZ: Aber ist das nicht eher eine Betrachtung des Themas aus Blick der Verbände und weniger der Kammern?
Hanke: Ich sehe das nicht als strikte Trennung an. Es gab von Fritz Becker einmal die scherzhafte Erklärung, dass der Verband für die Monetik und die Kammer für die Ethik zuständig sei. Aber es gilt auch der Spruch „Ohne Moos nichts los“. Das heißt, bei diesen neuen Tätigkeitsfeldern sind die wirtschaftlichen Fragen sehr bedeutend. Wenn wir als Kammer etwas anbieten, bei dem die Kollegen letztendlich mit den Füßen in der Luft hängen, dann ist das nicht machbar. Deshalb ist das immer ein Zusammenspiel mit dem Apothekerverband. Und ja: Das betrifft natürlich vor allen Dingen die Kollegen in der Offizin, aber von diesem Bereich hängen auch rund 80 Prozent des Kammerhaushaltes ab.
DAZ: Die Bundesapothekerkammer hat dem Deutschen Apothekerverband (DAV) den Katalog mit möglichen Dienstleistungen übergeben. Der DAV verhandelt aktuell mit den Krankenkassen. Welche Aufgaben kommen denn nun auf die Landesapothekerkammern zu?
Hanke: Ganz klar: Wir müssen die Kollegen qualifizieren – und zwar vor allem dann, wenn es um neuartige Dienstleistungen wie Impfen oder Medikationsanalysen geht aber auch bei Blutzucker- und Blutdruckmessungen. Jede dieser Tätigkeit muss qualitätsgesichert auf allerhöchstem fachlichem Niveau erfolgen. Das ist Aufgabe der Kammern.
DAZ: Müsste dafür das Fort- und Weiterbildungsangebot erweitert werden, oder ist das bereits gut aufgestellt für diese Aufgabe?
Hanke: Da muss man zwischen Inhalten und Volumen trennen. Beides ist in Baden-Württemberg heute schon sehr gut. Die Inhalte müssen sich aber je nach Anforderung immer weiter entwickeln. Das Impfen ist hierbei ein gutes Beispiel. Vor wenigen Jahren hätte da niemand dran gedacht. Aktuell müssen wir ein entsprechendes Qualifizierungsangebot anbieten, weil in der nächsten Saison auch Modellvorhaben hierzulande starten werden.
DAZ: Laut ABDA sollen ja von zahlreichen Apothekerinnen und Apothekern sowie Kammern konkrete Vorschläge zu Dienstleistungen gekommen sein. Welchen Beitrag hat die LAK Baden-Württemberg dazu geleistet?
Hanke: Bereits 2010 haben wir den sogenannten LeiKa erstellt, den Leistungskatalog der Beratungs- und Serviceangebote in Apotheken. Entstanden ist dieses Werk im damaligen Vorstand, auch auf Grundlage einer Arbeitsgruppe aus Baden-Württemberg. Ursprünglich bekam ich nämlich Anfragen aus der Kollegenschaft, ob bestimmte Tätigkeiten in der Apotheke durchgeführt werden dürfen. Es ging also zunächst einmal um die rechtliche Absicherung und nachfolgend um die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Leistung.
DAZ: Wenn wir auf konkrete Dienstleistungen blicken, wie die Blutzucker- und Blutdruckmessungen, Impfungen und aktuell die Corona-Testungen, fällt auf, dass es dabei häufig um bis dato originär ärztliche Tätigkeiten geht bzw. ging. Kann es sein, dass zukünftig die Grenzen immer mehr verschwimmen zwischen pharmazeutischen und ärztlichen Tätigkeiten?
Hanke: Absolut. Es ist dabei aber immer besser, es gemeinsam mit den Ärzten zu entwickeln – auch gegen Widerstände. Aber eben nicht dagegen.
„Mich ärgert, dass mit diesem Minister das Rx-Versandverbot nicht möglich war.“
DAZ: Wird es Ihrer Meinung nach denn auch echte, innovative pharmazeutische Dienstleistungen geben in nächster Zeit?
Hanke: Diese werden sich automatisch ergeben, wenn wir aufmerksam verfolgen, welche Bedarfe rund um die Arzneimitteltherapie existieren. Bei vielen dieser Tätigkeiten kann ich mir vorstellen, dass sie der Berufsstand schon heute erbringt, aber der Nutzen und der daraus resultierende Wert bisher unergründet blieben.
DAZ: Die gesetzliche Grundlage für die pharmazeutischen Dienstleistungen ist das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG), und dieses resultiert aus der politischen Reaktion auf den Versandhandelskonflikt. Statt des Rx-Versandverbots gibt das VOASG jetzt das sogenannte Rx-Boni-Verbot vor. Meinen Sie, damit ist der Konflikt für immer geklärt?
Hanke: Selbstverständlich nicht. Es wird auch in Zukunft gerichtliche Auseinandersetzungen mit den EU-Versendern geben und wir werden auch wieder EuGH-Verfahren und -Urteile erleben. Die Konstruktion des VOASG ist meines Erachtens juristisch angreifbar.
DAZ: Sie persönlich waren immer für das Rx-Versandverbot und es gab auch aus der Kammerversammlung mehrere Initiativen dazu.
Hanke: Ende 2018 bei der ABDA-Mitgliederversammlung in Berlin habe ich Minister Spahn direkt gefragt, warum er nicht für ein Rx-Versandverbot ist, so wie in den meisten EU-Staaten, und zwar zum Schutz der Bevölkerung, und nicht zum Schutz der Apotheken. Das Gleiche gilt doch auch für die Verschreibungspflicht: Diese dient dem Schutz der Patienten und nicht dem wirtschaftlichen Schutz der Apotheke, damit diese ein Rezept für die Abrechnung hat. Ich habe ihm klipp und klar gesagt, dass viele Kollegen sein Auftreten als Erpressung empfinden. Er hat uns ja von Anfang an vor die Wahl gestellt: „Entweder ihr kriegt das, oder ich habe für alles andere keine Zeit mehr bis zum Ende der Legislaturperiode.“ Mich ärgert, dass mit diesem Minister das Rx-Versandverbot politisch nicht möglich war. Im Koalitionsvertrag stand es drin. Man hätte es nur wollen müssen und damit viele Probleme auf einmal gelöst. So hätte es beispielsweise keine Sonderregelungen geben müssen für PKV-Versicherte. In meinen Augen ist die jetzige Lösung Augenwischerei.
DAZ: Einen weiteren Auswuchs des EU-Versandhandels musste man in den vergangenen Jahren hautnah in Baden-Württemberg erleben: den Arzneimittelautomat von Hüffenhardt. Inzwischen haben auch Gerichte bestätigt, dass dieses Geschäftsmodell rechtswidrig ist. Meinen Sie, dass solche „Innovationen“ auch zukünftig vorkommen werden?
Hanke: Es ist so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass die EU-Versender unsere Gesetze entweder gar nicht beachten oder so interpretieren, wie sie es gerne hätten. Solche Unternehmen wollen mit bewussten Grenzüberschreitungen einfach auffallen und für Furore sorgen. Das Modell „Hüffenhardt“ war damals schnell aufgefallen und konnte gerichtlich gestoppt werden. Aber das wird nicht das Ende der Bemühungen sein.
DAZ: Minister Spahn hat einen weiteren Anstoß gegeben: das E-Rezept kommt. Inwiefern spielt das Modellprojekt GERDA in Baden-Württemberg für diese Entwicklung eine Rolle? War die Initiative von Kammer und Verband prägend?
Hanke: Das lässt sich ganz einfach beantworten: Ja, absolut! Bis vor Kurzem war ich Mitglied im gematik-Beirat und zwar seitdem es die gematik gibt. Das, was jetzt bundesweit umgesetzt wird, basiert maßgeblich auf dem Konzept und der Technologie von GERDA. Aber auch die regulatorischen Anforderungen an das E-Rezept, die „Pflöcke“, haben wir mit definiert. Unser Modellprojekt ist also gewissermaßen zu einer Blaupause geworden. Es gab bereits 2005 die ARGE eGK zwischen den Leistungserbringerorganisationen und einzelnen Krankenkassen, zu deren Sitzungen auch das Sozialministerium eingeladen war. 2006 wurde das Modellprojekt Heilbronn zur Einführung der eGK gestartet. Auch an diesem Rahmenvertrag war die gematik und die ARGE eGK beteiligt.
„Es braucht eine Perspektive – sowohl wirtschaftlich als auch vom Berufsbild her.“
DAZ: Haben Sie den Eindruck, dass man vonseiten der gematik rund um das E-Rezept alle wichtigen Sicherheitsanforderungen im Blick hat?
Hanke: Glücklicherweise können wir Apotheker die Spielregeln mitbestimmen und das ist ein Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist. So arbeiten bei der ABDA ja auch Ex-gematik-Mitarbeiter, die Ahnung von der Materie haben und auf einer Wellenlänge mit den Experten sind. Ich bin sicher, dass ein sogenanntes Makelverbot auch wirksam umgesetzt wird, auch wenn entsprechende Rechtsverordnungen noch kommen müssen.
DAZ: Wie bewerten Sie die Bedeutung von Apothekenplattformen?
Hanke: Apotheken müssen gefunden werden und der Patient muss stets Herr seiner Daten bleiben. Wie diese Anforderungen jetzt erfüllt werden, ob das per App, Plattform etc. von welchem Betreiber auch immer geschieht, ist erst mal zweitrangig. Hauptsache das Angebot ist neutral. Eine bevorzugte Anzeige von Apotheken oder anderen Playern muss ausgeschlossen sein. Wir als Kammer müssen jede einzelne Apotheke dazu befähigen daran teilzunehmen. Das geschieht ja schon allein durch die Ausgabe der SMC-B- und HBA-Karten.
DAZ: Blicken wir abschließend auf die junge Generation an Apothekerinnen und Apothekern. Die Bereitschaft sich selbstständig zu machen, wird immer kleiner. Immer mehr Apotheken sind nicht rentabel bzw. finden keine Nachfolger. Was steuern Sie als Kammer bei, dass die inhabergeführte Apotheke weiterhin Bestand hat?
Hanke: Es braucht eine Perspektive – sowohl wirtschaftlich als auch vom Berufsbild her. Hier arbeiten Kammer und Verband eng zusammen, dass die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass Apotheken, z. B. auf dem dünn besiedelten Land, auch weiterhin eine Zukunft haben.
DAZ: Wie sieht es mit Bürokratieabbau aus?
Hanke: Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Wir haben eine Arbeitsgruppe zum Thema „Lessons learned“ eingesetzt, die evaluieren soll, welche Erleichterungen der letzten Monate für die Zukunft bewahrt werden können und müssen. Dazu gehören die Honorierung des Botendienstes sowie die verbesserten Austauschregeln. Doch solche Regeln sind ja nicht nur für Baden-Württemberg relevant, sondern für die ganze Bundesrepublik. Deshalb müssen solche Verordnungen erst in Berlin geboren werden.
DAZ: Mit Industrieapotheker Dr. Martin Braun gibt es ein aktuelles Vorstandsmitglied, das Ambitionen auf das Präsidentenamt in der nächsten Kammerversammlung hat. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund Ihre Zukunft?
Hanke: Es würde mich sehr freuen, wenn die Mehrheit der Vertreterversammlung diesen Industrieapotheker zum Präsidenten wählt. Daher hat Dr. Braun meine volle Unterstützung. Von seiner Persönlichkeit her halte ich ihn für sehr geeignet und befürworte es sehr, wenn er mein Nachfolger wird. Aber die Wahl hat natürlich die Vertreterversammlung. Ich habe das lange genug gemacht, jetzt sollte ein jüngeres Gesicht an meine Stelle treten.
DAZ: Herr Dr. Hanke, vielen Dank für das Gespräch. |
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