Arzneimittel und Therapie

Mit Pflanzen den Schlaf fördern

Welche Phytopharmaka besser als Placebo wirken

mp | Der Markt pflanzlicher Präparate zur Schlafförderung ist groß. Aber es bleiben nur wenige effektive Extrakte übrig, wenn man einen Blick auf die wissenschaftlich belegte Wirksamkeit wirft. Welche das sind, und wie Apotheker die richtigen Präparate erkennen können, erläuterte Prof. Dr. Robert Fürst auf einer Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Hessen.

Will ein Hersteller Phytopharmaka auf den Markt bringen, ist der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für die Zulassung zuständig. Einerseits können pflanzliche Arzneimittel die Well-established-use-Zulassung erhalten. Dafür müssen sie bereits zehn Jahre in einem Land der Europäischen Union (EU) angewendet worden sein. Zudem fordert der HMPC eine wissenschaftliche Begründung. Dafür soll mindestens eine ausreichend große, methodisch hochwertige randomisierte kontrollierte Studie vorliegen, bestenfalls sogar ein systematischer Review auf Basis hochwertiger randomisierter kontrollierter Studien. Viele der zur Verfügung stehenden pflanzlichen Präparate basieren auf einer anderen Art der Zulassung: die Traditional-use-Registrierung. Dafür müssen Phytopharmaka mindestens 30 Jahre angewendet worden sein, 15 Jahre davon in der EU. Die Traditional-use-Registrierung beruht auf einer Plausibilitätsvermutung für den Gebrauch des Präparates – von nachgewiesenen Wirkungen kann hier nicht ausgegangen werden.

Fortbildung: Besser schlafen

Was ist für eine gesunde und erholsame Nachtruhe hilfreich? Um diese Frage drehte sich die 104. Zentrale Fortbildung der Akademie für Pharmazeutische Fortbildung der Landesapothekerkammer Hessen. In sechs Online-Vorträgen erläuterten hochkarätige Redner den aktuellen Stand der Schlafmedizin – und was pharmazeutisch dabei zu beachten ist. Prof. Dr. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-­Universität in Frankfurt am Main gab einen Überblick zur Evidenzlage bei Phytopharmaka, die den Schlaf fördern sollen.

Alles nur Placebo?

Im Bereich Schlafförderung ist es besonders schwer, den Nutzen von Phytopharmaka zu belegen, um die Well-established-use-Zulassung zu erhalten. In klinischen Studien müssen sich die Präparate an der Placebo-Wirkung messen. Dabei machten die Autoren um Huedo-Medina TB et al. in einer im „BMJ“ veröffentlichten Analyse von verschiedenen klinischen Studien zu Z-Substanzen einen bemerkenswerten Fund: Selbst bei synthetischen Arzneimitteln, die bei schwersten Schlafstörungen indiziert sind, macht der Placebo­effekt 40 bis 60% der Arzneistoffwirkung aus. Interessant ist auch, dass nicht nur Phytopharmaka zur Schlafförderung, sondern auch Benzodiazepine oder Z-Substanzen mit zunehmender Einnahmedauer stärker wirken. In Studien verbesserte sich die Schlafqualität bei Patienten, die die Arzneimittel über Wochen hinweg kontinuierlich eingenommen hatten. Die Ursache könnte in der hohen Placebo-Wirkung begründet liegen.

Wie Fürst in seinem Vortrag erklärte, gibt es im OTC-Bereich zur Schlafförderung nur einen Extrakt (Baldrian-Trocken­extrakt) und eine Extrakt-Kombination (Baldrian-Trockenextrakt ­zusammen mit Hopfenzapfen-Trockenextrakt), denen der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel die Well-established-use-Zulassung erteilt hat. Phytopharmaka, deren Hersteller in klinischen Studien zeigen konnten, dass die Schlafqualität sofort gebessert wird, gibt es nicht.

Foto: LianeM – stock.adobe.com

Abb. 1: Trockenextrakt aus Wurzeln von Valeriana officinalis ist der einzige pflanzliche Extrakt, für den allein in klinischen Studien belegt werden konnte, dass er über den Placeboeffekt hinaus den Schlaf fördert.

Baldrian: bewährt und belegt

In einer großen randomisierten klinischen Studie konnten die Hersteller ­belegen, dass ihr Baldrianwurzel-Trockenextrakt über den Placebo-Effekt ­hinaus schlaffördernd wirkt. Extrakte der Wurzel von Valeriana officinalis (Abb. 1) wirken sedativ und anxiolytisch. Welche Inhaltsstoffe (Abb. 2, Abb. 3) für die Wirkung verantwortlich sind und welcher Mechanismus sich dahinter verbirgt, konnte die Wissenschaft nicht abschließend klären. Die Gesamtheit der Inhaltsstoffe wird als Wirkkomplex angesehen. Der belegte Nutzen der Baldrianwurzel gilt nur für Präparate, die die Art von standardisierten Extrakten enthalten, mit denen die Studien durchgeführt wurden. Im Fall der Baldrianwurzel gilt dies für Präparate mit einem Drogen-Extrakt-Verhältnis (DEV) 3 bis 7,4 : 1 und bei denen Ethanol in Konzentrationen zwischen 40 und 70% als Auszugsmittel verwendet wurde. Beispiele für Präparate, die diese Kriterien erfüllen, sind Baldriparan® stark für die Nacht, Baldurat®, Abtei Baldrian Forte® oder Sedonium®. Baldrian-Extrakte sind ab zwölf Jahren zugelassen, dabei wird für alle Altersgruppen eine Dosierung von 400 bis 600 mg Trockenextrakt pro Tag empfohlen. Bei Schlafstörungen soll 30 bis 60 Minuten vor dem Zubettgehen eine Dosis eingenommen werden. Der Extrakt verfügt nur über eine schwache Sofortwirkung. Der Effekt steigert sich langsam, wenn Patienten die Phytopharmaka zwei bis vier Wochen kontinuierlich einnehmen. Die Baldrianwurzel-Trockenextrakte sollen wirken, indem sie die Schlafstruktur im Laufe der Zeit verbessern.

Abb. 2: Das Alkaloid Actinidin ist der Inhaltsstoff, der anziehend auf Katzen wirkt. Früher wurde vermutet, dass dafür Isovaleriansäure verantwortlich ist.

Mit Hopfenzapfen kombinieren

Die zweite Well-established-use-Zulassung enthält Baldrianwurzel-Trockenextrakt in Kombination mit Hopfenzapfen-Trockenextrakt. Letzterer besteht aus dem methanolischen Extrakt der weiblichen Blütenstände von Humulus lupulus. Bei der Lagerung der Hopfenzapfen zersetzt sich der Hopfenbitterstoff Humulon zu einem Iso­prenderivat (2-Methyl-3-buten-2-ol). Dieses soll mit der sedativ-hypnotischen Wirkung des Trockenextraktes verbunden sein. Damit der Nutzen der Extrakte als belegt gilt, gibt der HMPC eine Spanne für den Anteil an Hopfenzapfen-Trockenextrakt an, der enthalten sein kann. Somit kann eine Fülle von Präparaten empfohlen werden, was die Auswahl schwierig macht. Die Präparate sollten Hopfen­extrakt in Dosierungen zwischen 28 und 70 mg enthalten und nicht mehr als 500 mg Baldriantrockenextrakt. Dies gilt zum Beispiel für das Präparat Alluna®. Die Zulassung gilt für Kinder ab zwölf Jahren. Unabhängig vom Alter können ­Patienten für die schlaffördernde Wirkung ein bis zwei Einzeldosen 30 bis 60 Minuten vor dem Zubettgehen einnehmen. Auch bei dieser Extrakt-Kombination empfehlen die Hersteller eine kontinuierliche Anwendung über mindestens vier Wochen.

Abb. 3: Warum stinkt Baldrian? Die einschlaffördernde Wirkung des Baldrians wurde früher Valtrat zugeschrieben. Doch der Diester der Isovaleriansäure ist instabil und nach längerer Lagerung der Droge kaum nachweisbar. Durch die hydrolytische Spaltung der Ester-Bindungen wird Isovaleriansäure frei, die stark riecht.

Alternativen sind begrenzt

Präparate mit Lavendelöl (z. B. in Lasea® oder Silexan®) konnten in klinischen Studien Erfolge bei generalisierter Angststörung erzielen, nicht jedoch bei Schlafstörungen. Sekundär lässt sich durch die anxiolytische Wirkung bei manchen Patienten eine bessere Schlafqualität erzielen. Präparate mit Lavendelöl sind bei ängstlicher Verstimmung für Patienten ab 18 Jahren zugelassen, dabei sollen täglich Zubereitungen mit 80 mg Lavendelöl eingenommen werden.

Phytopharmaka mit Johanniskraut-­Extrakten können die Schlafqualität geringfügig verbessern, was auf seine milde antidepressive Wirkung zurückzuführen ist. Problematisch ist beim Johanniskraut jedoch das Interaktionspotenzial mit anderen Arzneimitteln. Das enthaltene Hyperforin bewirkt, dass die Aktivität des Leberenzyms CYP3A4 stark zunimmt, wodurch viele Arzneistoffe und auch endogene Hormone schneller abgebaut werden. Auch für cannabishaltige Produkte liegen derzeit keine qualitativ hochwertigen klinischen Studien vor, die einen Nutzen bei Schlafstörungen belegen würden.

Für alle weiteren pflanzlichen Präparate mit Inhaltsstoffen wie Passionsblume, Zitronenmelisse oder Goldmohnkraut lassen sich aus den vorliegenden klinischen Studien keine evidenzbasierten Empfehlungen ableiten. Viele Präparate sind als Produkte mit Traditional-use-Registrierung auf dem Markt. Einige Kombinationspräparate werden damit beworben, dass mehrere schlaffördernde pflanzliche Inhaltsstoffe additiv oder synergistisch wirken. Wissenschaftliche Belege gibt es dafür aber nicht. |
 

Literatur

Frohne D. Heilpflanzenlexikon – Ein Leitfaden auf wissenschaftlicher Grundlage. 9. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2021

Huedo-Medina TB. Effectiveness of non-benzodiazepine hypnotics in treatment of adult insomnia: meta-analysis of data submitted to the FDA. BMJ 2012, doi.org/10.1136/bmj.e8343

Fürst R. Phytopharmaka bei Schlafstörungen. 104. Zentrale Fortbildungsveranstaltung der Akademie für Pharmazeutische Fortbildung der Landesapothekerkammer Hessen, 13. März 2021

Teuscher E, Lindequist U, Melzig M. Biogene Arzneimittel. 8. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2021

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