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Wirtschaft

13 Milliarden Euro Einsparpotenzial?

TK und Uni Bremen errechnen Kosten patentgeschützter Arzneimittel nach dem AIM-Modell

cha | Für die seit Jahren steigenden Arzneimittelausgaben sorgen insbesondere die patentgeschützten Medikamente. Nun hat die Techniker Krankenkasse (TK) in einem gemeinsamen Papier mit der Uni Bremen ein Einsparpotenzial von 13 Mrd. Euro errechnet für den Fall, dass bei den patentgeschützten Arzneimitteln das Preismodell der International Association of Mutual Benefit Societies (AIM) zugrundegelegt wird.

Die TK weist in ihrer Pressemeldung darauf hin, dass die Menge der definierten Tagesdosen der Originalpräparate im Jahr 2019 zwar nur 6,4 Prozent des Gesamtverbrauchs entsprach, aber ihr Umsatz mit 46,3 Prozent fast die Hälfte der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) insgesamt ausmachte. Dieser lag bei 21,6 Milliarden Euro. Davon ließen sich etwa 13 Mrd. Euro pro Jahr einsparen, heißt es weiter, wenn bei der Festlegung der Arzneimittelpreise der Fair Pricing Calculator der AIM angewendet würde.

Bei der International Association of Mutual Benefit Societies (AIM) – auf deutsch: Internationaler Verband der Krankenkassenverbände und Krankenversicherungen auf Gegenseitigkeit – handelt es sich um einen internationalen Dachverband, dem laut Website 57 Mitglieder aus 30 Ländern angehören. In Deutschland ist das u. a. der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek).

Da liegt es nahe, dass die TK sich näher mit dem von der AIM ent­wickelten Fair Pricing Calculator befasst. Gemeinsam mit dem Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen wurde nun ein Papier vorgestellt, zu dessen Autoren auch Prof. Dr. Gerd Glaeske gehört. Im Mittelpunkt stehen die Preisberech­nungen anhand des AIM-Modells, das, so heißt es in der Zusammenfassung, auf den Kosten der Hersteller sowie marktüblichen Renditeaufschlägen basiert.

Preisberechnung basiert auf fünf Elementen

Doch wie funktioniert das Modell konkret? Der Algorithmus beruht auf Kosten- sowie Ertragselementen und bezieht die Anzahl der zu erwartenden Patienten mit ein, wird in dem Papier erklärt. Sofern der pharmazeutische Unternehmer die exakten Kosten nicht plausibel offenbart, werden Pauschalbeträge berücksichtigt. „So kann das Ziel eines EU-weiten Preises für jedes neue, von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassene Arzneimittel realisiert werden“, heißt es weiter. Gegebenenfalls könne unter Beachtung der jeweiligen Bruttoinlandsprodukte der Mitgliedstaaten „eine faire Anpassung an die jeweilige Kaufkraft erfolgen, bspw. für Deutschland plus 20%“.

Dem Rechner liegen vier Arche­typen zugrunde:

  • chronische Erkrankungen,
  • onkologische Erkrankungen,
  • seltene Leiden (rare diseases) mit einer Inzidenz von < 5/10.000 in der EU sowie
  • sehr seltene Leiden (ultra-rare diseases) mit einer Inzidenz von < 2/100.000.

Im Einzelnen werden fünf Elemente zur Berechnung des Preises herangezogen: der Quotient aus Entwicklungskosten und der Anzahl der therapierbaren Patienten, die Produktionskosten, die Kosten für Vertrieb und medizinisch-wissenschaftliche Information, ein Basisertrag sowie gegebenenfalls ein Innovationsbonus.

Innovationsbonus soll therapeutischen Wert belohnen

Zudem gibt es genaue Regeln, in welcher Höhe Forschungs- und Entwicklungs- sowie Produktionskosten berücksichtigt werden. Falls der pharmazeutische Unternehmer hier keine Angaben macht, werden Pauschalen eingesetzt. Als Basisprofit erhält der pharmazeutische Unternehmer 8 Prozent der Gesamtkosten; der ggf. gewährte Bonus für Innovation variiert zwischen 5 und 40 Prozent der Gesamtkosten und soll den therapeutischen Wert der realen Innovation belohnen.

In dem Papier werden exemplarisch die Preise verschiedener patentgeschützter Arzneimittel anhand des AIM-Modells berechnet: Zolgensma®, Spinraza®, Entresto®, Jardiance®, Cosentyx®, Opdivo® und Lonsurf®. Das Ergebnis: „Mit Ausnahme von Empagliflozin (Anmerkung: Jardiance®) sind die derzeitigen Jahrestherapiekosten zwei- bis 13-mal so hoch, bezogen auf den Markteintritt zwei- bis 20-mal so hoch, wie sie gemessen an fairen Kriterien sein sollten.“

Auf das Einsparpotenzial von 13 Mrd. Euro kommt das Papier durch eine Hochrechnung: „Mithilfe der DDD-Absätze je PZN in 2019 kann man zum Vergleich die Kosten errechnen, die bei Verwendung der fairen AIM-Preise entstanden wären“, heißt es. „Diese betragen in der Stichprobe insgesamt etwa 444 Mio. Euro, woraus sich potenzielle Einsparungen in Höhe von 63,34% der Ausgaben des Jahres 2019 ergeben. Auf das Segment der Patent-AM der GKV bezogen wären dies Einsparungen von rund 13 Mrd. Euro.“

Zweifel an der Seriosität der Hochrechnung

Doch ist diese Rechnung tatsächlich seriös? Da bereits innerhalb der – ohnehin recht kleinen – Stichprobe deutliche Unterschiede beim Verhältnis von errechnetem und tatsächlichem Preis zwischen den einzelnen Arzneistoffen bestehen, kommen erhebliche Zweifel daran auf, ob die Hochrechnung auf ein Einsparpotenzial von 13 Mrd. Euro auf dieser Daten­basis tatsächlich tragfähig ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit das benutzte AIM-Modell überhaupt zu einer realistischen Preisbildung bei­tragen kann oder ob damit nicht am Ende der Innovationswille der pharmazeutischen Unternehmer völlig ausgebremst wird.

Auch TK und Uni Bremen halten das AIM-Modell offenbar nicht für allein selig machend. In der Pressemeldung bezeichnen sie es „als Bereicherung in der Diskussion um faire Arzneimittel­preise“. Daneben brauche es aber, so Glaeske, „weitere Reformen und mehr anwendungsbegleitende Datenerhebung, um den Patientennutzen einer Therapie besser bewerten zu können“. |

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