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Toxikologie
ASS in der Schwangerschaft
Eine Frage der Dosierung und des Stadiums
Teratogene Wirkung von Salicylaten im Tierexperiment
Teratogene Wirkungen von Acetylsalicylsäure sind in einer Vielzahl tierexperimenteller Studien beschrieben worden. Bereits vor sechs Jahrzehnten berichteten amerikanische Wissenschaftler über Fehlbildungen als Folge einer „Salicylatvergiftung“ von trächtigen Ratten [Warkany J, Takacs E, 1959]. Die verabreichten hohen Dosierungen führten bei dem trächtigen Tier zu deutlichen maternal-toxischen Symptomen. Fehlbildungen traten häufig auf, einige Feten hatten schwerwiegende Veränderungen, die als Craniorachischisis bezeichnet werden. Dieser ausgeprägte Neuralrohrdefekt ist nicht mit dem Leben vereinbar: Gehirn und Rückenmark, also das gesamte Zentralnervensystem, sind betroffen. In diesen Untersuchungen wurden Methylsalicylat und Natriumsalicylat eingesetzt. Einige Jahre später wurde jedoch gezeigt, dass auch das am häufigsten verwendete Salicylat – die Acetylsalicylsäure – diese Fehlbildung bei Ratten hervorrufen kann. Die Dosierungen, die dafür notwendig sind, liegen allerdings über den therapeutisch üblichen, etwa im Bereich von 500 mg pro Kilogramm Körpergewicht oder höher.
Rattenembryonen lassen sich für eine begrenzte Zeitdauer von etwa 48 Stunden in vitro untersuchen. Unabhängig vom mütterlichen Organismus entwickelt sich der Embryo, und wesentliche Vorgänge der Organogenese können in dieser sogenannten whole embryo culture zwischen dem Tag 9 und 11 der pränatalen Entwicklung untersucht werden. Gibt man Salicylat in das Kulturmedium, lässt sich ebenfalls der Verschluss des Neuralrohrs blockieren, die Embryonen weisen charakteristische Veränderungen auf. Diese Experimente aus dem Anfang der 1980er-Jahre unterstützen die Ansicht, dass die Salicylsäure selbst – und nicht etwa ein Ester oder Metabolit – der Verursacher der Fehlbildungen ist.
Retrospektive Studien – Arzneistoff oder Erkrankung als Verursacher?
Die mögliche Humanrelevanz der tierexperimentell ermittelten Gefahren wurde in etlichen epidemiologischen Studien untersucht. Besteht ein Risiko für kindliche Fehlbildungen, wenn eine Schwangere im ersten Drittel der Schwangerschaft – also während der Organogenesephase der pränatalen Entwicklung – mit Acetylsalicylsäure oder anderen nichtsteroidalen entzündungshemmenden Wirkstoffen behandelt wird?
In retrospektiv durchgeführten Studien, die Anfang der 1970er-Jahre publiziert wurden, taucht der Verdacht auf, dass die Einnahme mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko belastet sein könnte. Die Art der Fehlbildungen war allerdings nicht uniform [Neubert D, Stahlmann R, 1988]. Autoren aus Finnland untersuchten Schwangere, die mit Acetylsalicylsäure wegen einer Influenza behandelt wurden und fanden eine Zunahme von Gaumenspalten bei den Neugeborenen. Diese Fehlbildung war in anderen Studien nicht auffällig. Es muss berücksichtigt werden, dass auch die Virusinfektion und insbesondere das Fieber zu dieser Erhöhung beigetragen haben könnte. Auch in neueren Studien wurden Assoziationen zwischen einer Hyperthermie oder Influenza-Erkrankung in der Schwangerschaft und kindlichen Fehlbildungen beschrieben [Moretti ME et al., 2005; Luteijn JM et al., 2014].
Es gibt auch Berichte über Frauen, die regelmäßig während der Schwangerschaft Acetylsalicylsäure in relativ hoher Dosis eingenommen haben. Dabei zeigte sich eine erhöhte Inzidenz von schwerwiegenden Schäden bei den Ungeborenen. Aus Australien kam in den 1970er-Jahren die Mitteilung über 144 Schwangere, die täglich – oder zumindest einmal pro Woche – Acetylsalicylsäure während der gesamten Schwangerschaft genommen hatten. Die Kinder kamen mit einem verminderten mittleren Geburtsgewicht zur Welt. Auch die Zahl der Totgeburten war bei diesen Müttern höher, als bei der Vergleichsgruppe mit gelegentlicher oder keiner Einnahme von Acetylsalicylsäure. Einen Hinweis auf eine erhöhte Fehlbildungsrate gibt diese Studie jedoch nicht: dieses Ergebnis war angesichts der eindeutigen teratogenen Effekte, die aus den Tierexperimenten bekannt waren, von den Autoren nicht erwartet worden. Angesichts der geringen Zahl der ausgewerteten Schwangerschaften können diese Daten ein mögliches Fehlbildungsrisiko bei der Therapie mit höheren Dosierungen von Acetylsalicylsäure allerdings nicht ausschließen [Collins E, Turner G, 1975; Turner G, Collins E, 1975].
Erinnerungsverzerrung – ein Problem bei retrospektiven Studien
In einer der neuesten und umfangreichsten retrospektiven Studie wurden in den Jahren vor und nach der Jahrtausendwende die Daten von fast 15.000 Kindern mit Fehlbildungen analysiert und mit über 5000 Kontrollen verglichen (s. Tab. 1). In einem längeren Telefoninterview wurde nach der Arzneimitteleinnahme vor und während der Schwangerschaft gefragt. Diese einstündige Befragung erfolgte frühestens sechs Wochen und spätestens 24 Monate nach dem errechneten Geburtstermin. Etwa jede zweite Frau berichtete bei dieser Gelegenheit auch über Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, jede vierte hatte geraucht. Die Daten von Diabetikerinnen wurden von der Auswertung ausgeschlossen [Hernandez RK et al., 2012].
Publikation | Hernandez RK et al., 2012 | Slone D et al., 1976 |
---|---|---|
Design | retrospektiv | prospektiv |
Zeit | 1997 bis 2004 | 1958 bis 1965 |
Anzahl der Schwangeren | 14.915 Fälle und 5546 Kontrollen 4625 Frauen mit einer Einnahme von nicht-steroidalen antiinflammatorischen Arzneimitteln (NSAID) im ersten Trimenon, davon: 703 Frauen (ASS mit Angabe der Dosierung) und 218 Frauen (ASS gelegentliche Einnahme) | 32.164 Frauen mit ASS-Einnahme während der Schwangerschaft, 14.864 im ersten Trimenon, davon: 9736 Frauen mit gelegentlicher Einnahme und 5128 Frauen unter höherer Dosierung |
Art der Datenerhebung | Telefoninterview zur Arzneimitteleinnahme vor und während der Schwangerschaft (bis zu 24 Monate nach dem Geburtstermin) bei Müttern von Kindern mit oder ohne Fehlbildungen | Arzneimitteleinnahme bereits während der Schwangerschaft dokumentiert und ärztlich bestätigt |
Befunde | mehrere signifikante Assoziationen zwischen der Einnahme von Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Naproxen und Fehlbildungen, wie zum Beispiel Gaumenspalten, Anenzephalie/Craniorachischisis, Anophthalmie/Mikrophthalmie etc. | kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen durch Einnahme von Acetylsalicylsäure im ersten Trimenon |
Mehr als 22% der Frauen hatten ein nichtsteroidales entzündungshemmendes Arzneimittel während des ersten Trimenons genommen. Am häufigsten handelte es sich um Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure: Insgesamt 703 Frauen konnten Angaben zur Dosierung der Acetylsalicylsäure machen, 218 Frauen hatten dagegen „gelegentlich“ Acetylsalicylsäure während der Frühschwangerschaft genommen. Mehrere signifikante Assoziationen zwischen der Einnahme von Ibuprofen, ASS oder Naproxen und Fehlbildungen, wie zum Beispiel Gaumenspalten, Anenzephalie/Craniorachischisis, Anophthalmie/Mikrophthalmie und weitere wurden festgestellt. Obwohl sie statistisch signifikant waren, muss man davon ausgehen, dass es sich in der Regel um Zufallsassoziationen handelt.
Aufgrund des langen Zeitraums, der zwischen der Arzneimittelexposition und der Datenerfassung lag, muss mit einer erheblichen Erinnerungsverzerrung (Reporting Bias und Recall Bias) gerechnet werden. Es ist nachvollziehbar, dass sich betroffene Frauen an mögliche Risikofaktoren eher oder übermäßig stark erinnern. Eine Möglichkeit, derartige Störfaktoren bei epidemiologischen Untersuchungen zu vermeiden, sind prospektive Studien.
Eine umfangreiche prospektive Studie
Bereits Anfang der 1960er-Jahre wurde in den USA im Rahmen des Collaborative Perinatal Projects (CPP) der Arzneimittelgebrauch von mehr als 50.000 Schwangeren dokumentiert. Acetylsalicylsäure war das am häufigsten eingenommene Arzneimittel: etwa 32.000 Frauen hatten das Analgetikum zu irgendeinem Zeitpunkt der Schwangerschaft eingenommen. Im ersten Trimenon gab es 5128 Frauen, bei denen eine „deutliche Exposition“ (heavy exposure) – das heißt an mindestens acht Tagen erfolgte eine Einnahme des Arzneimittels - ermittelt werden konnte. Bei 9736 Schwangeren war die Exposition geringer. Die Arzneimitteleinnahme wurde prospektiv, also vor der Geburt des Kindes, erfasst und ärztlich bestätigt oder durch die Klinikdokumentation verifiziert.
Während in den retrospektiven Studien immer wieder Hinweise auf mögliche Fehlbildungen durch mütterliche Salicylat-Einnahme ermittelt worden waren, konnte in dieser Studie keine entsprechende Assoziation gefunden werden [Slone D et al., 1976]. Hier wird sehr deutlich, wie wichtig eine prospektive Datenerfassung bei solchen Untersuchungen ist. Erfolgt die Befragung erst nach der Geburt eines Kindes, muss mit unterschiedlichem Erinnerungsvermögen bei Frauen mit einem fehlgebildeten Kind im Vergleich zu den Frauen der Kontrollgruppe gerechnet werden.
Risiken in späteren Phasen der Schwangerschaft
Trotz der ursprünglich geäußerten Befürchtungen über mögliche Fehlbildungen unter einer ASS-Therapie in der Frühschwangerschaft zeigt die umfangreiche prospektive Studie, dass offensichtlich kein Risiko für kindliche Fehlbildungen von diesem Arzneimittel in üblichen analgetisch-antipyretisch wirksamen Dosierungen ausgeht. Gewisse Risiken durch Acetylsalicylsäure und andere Hemmstoffe der Prostaglandin-Synthese bestehen jedoch in späteren Phasen der Schwangerschaft. Sie können die Dauer der Schwangerschaft und den Geburtsvorgang durch Herabsetzung der Wehentätigkeit verlängern. Unter der Geburt wurde außerdem ein erhöhter mütterlicher Blutverlust nach Salicylat-Einnahme beobachtet, und bei Frühgeborenen können bereits Dosen von 500 mg Acetylsalicylsäure das Risiko für intrakranielle Blutungen erhöhen. Schließlich kann die Hemmung der Prostaglandin-Synthese in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft zu einer Verengung bzw. einem verfrühten Verschluss des Ductus arteriosus Botalli führen. In niedrigen Dosierungen werden diese unerwünschten Wirkungen nicht beobachtet, im Gegenteil, die Einnahme von ASS in der Schwangerschaft kann nachweislich auch einen erheblichen Nutzen haben. Dies wird belegt durch eine Reihe von Studien, die mit Acetylsalicylsäure zur Präeklampsie-Prophylaxe durchgeführt wurden.
Seit 40 Jahren ein Thema: Acetylsalicylsäure und Präeklampsie
Als Präeklampsie bezeichnet man das Auftreten einer Hypertonie und Proteinurie oder – bei Fehlen einer Proteinurie – auch anderer neu aufgetretener Organeinschränkungen in der Schwangerschaft. Sie muss so früh wie möglich erkannt werden, um ein Fortschreiten zu einer Eklampsie zu verhindern. Mögliche Komplikationen der Präeklampsie umfassen Wachstumsstörungen des Feten, eine vorzeitige Plazentalösung und im schlimmsten Fall den Tod des Ungeborenen [Dutta S et al., 2019]. Deutsche und internationale Leitlinien empfehlen zur Präeklampsie-Prophylaxe bei Frauen mit erhöhtem Risiko (z. B. schwere Präeklampsie in der Anamnese) einmal täglich 100 mg ASS von der 16. bis 34. Schwangerschaftswoche [Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. Leitlinie der DGGG, 2019]. Eine generelle Prophylaxe mit Acetylsalicylsäure ist aber nicht indiziert. Was ist die Grundlage für solche Empfehlungen?
Bereits vor 40 Jahren wurde auf einen möglichen positiven Effekt der Acetylsalicylsäure bei Schwangeren hingewiesen [Crandon AJ und Isherwood DM, 1979]. Frauen, die regelmäßig Acetylsalicylsäure genommen hatten, erkrankten seltener an einer Präeklampsie als Frauen ohne diese Behandlung. In den folgenden Jahrzehnten wurde in mehr als 30 Studien der Nutzen des Stoffes in niedriger Dosierung von 50 mg bis 150 mg täglich zur Prophylaxe einer Präeklampsie gezeigt. Die Häufigkeit der befürchteten Komplikation kann signifikant gesenkt werden. Auch die „alten Daten“ der zuvor beschriebenen prospektiven CPP-Studie aus den 1960er-Jahren wurden hinsichtlich eines positiven Effekts der Acetylsalicylsäure neu ausgewertet. Chinesische Wissenschaftler konnten bei der aktuellen Analyse zeigen, dass ASS während der Schwangerschaft das Risiko für Hypertonie reduzierte und es seltener zu einer Präeklampsie und Eklampsie kommt [Zhu J et al, 2019].
ASPRE-Studie – Präeklampsie-Risiko durch Acetylsalicylsäure deutlich reduziert
Unklarheiten bestehen allerdings trotz der umfassenden Datenlage hinsichtlich des optimalen Beginns der Einnahme: sollen die Frauen damit bereits vor der 16. Schwangerschaftswoche beginnen? Ebenso gibt es keine eindeutige Meinung zur Höhe der Dosierung. Wie hoch ist das Risiko für unerwünschte Wirkungen? Diesen offenen Fragen ging ein Team von Gynäkologen aus 13 Krankenhäusern in Großbritannien und anderen europäischen Ländern nach. Die Studie ist unter dem Akronym ASPRE (Aspirin for Evidence-Based Pre-eclampsia Prevention) bekannt geworden. In der placebokontrollierten Doppelblindstudie erhielten 1776 Schwangere bereits ab der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche entweder Acetylsalicylsäure in einer täglichen Dosierung von 150 mg oder eine Placebo-Tablette bis zur 36. Woche. Das Ergebnis war eindeutig: bei 35 (4,3%) Placebo-behandelten Frauen entwickelte sich eine Präeklampsie, jedoch nur bei 13 (1,6%) Schwangeren, die Acetylsalicylsäure erhalten hatten. Die Verträglichkeit war gut: im Verlauf der monatelangen Prophylaxe berichtete etwa jede vierte Frau über ein unerwünschtes Ereignis – dabei gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die Gesamtrate an schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (Serious Adverse Events) bei der Mutter oder dem Feten lag bei 1,6% (Acetylsalicylsäure) bzw. 3,1% (Placebo). Strukturelle Fehlbildungen wurden in dieser Studie bei Kindern in der ASS-Gruppe seltener als in der Placebo-Gruppe registriert (Tab. 2). In keinem Fall vermuteten die Untersucher einen Kausalzusammenhang zu der Studienmedikation [Rolnik DL et al., 2019].
Fehlbildung/Komplikation | ASS-Gruppe (n = 798) | Placebo-Gruppe (n = 822) |
---|---|---|
intrakranielle Blutung | 0 | 1 |
Lippenspalte | 0 | 1 |
Diaphragmahernie | 0 | 2 |
Herzfehlbildungen | 3 | 6 |
Pulmonalstenose | 0 | 2 |
Nierenfehlbildungen | 3 | 2 |
Extremitätenfehlbildungen | 1 | 2 |
Rektalstenose | 1 | 0 |
Angiom | 0 | 1 |
Bei der Beurteilung dieses Studienergebnisses muss bedacht werden, dass nur Frauen teilnahmen, bei denen zuvor ein erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie ermittelt worden war. Das Risiko wurde anhand einer ausführlichen Anamnese, sowie Doppler-Ultraschall-Untersuchung des Uterus und einer Analyse von Biomarkern im Blut bei fast 27.000 Frauen ermittelt. Ein erhöhtes Risiko bestand bei 11% der Frauen, jedoch wurden etliche aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen oder lehnten eine Teilnahme ab, so dass schließlich nur die Ergebnisse von jeweils etwa 800 Patientinnen in beiden Gruppen vorlagen. Wie kann man die positive Wirkung des Arzneimittels erklären? Da die Pathophysiologie der Präeklampsie immer noch nicht vollständig geklärt ist, kann keine definitive Antwort auf die Frage gegeben werden. In den vergangenen Jahren wurden jedoch neue Erkenntnisse über das Krankheitsgeschehen gewonnen.
Komplexe Pathogenese der Präeklampsie
Die Plazenta spielt in der Pathogenese der Präeklampsie offenbar eine entscheidende Rolle. Während der Plazentaentwicklung wandern extravillöse Trophoblasten in die Gebärmutterschleimhaut ein. Dabei werden die Spiralarterien der Gebärmutterschleimhaut erweitert, um eine höhere Durchblutung sicherzustellen. Eine verminderte Invasion der extravillösen Trophoblasten in die Gebärmutterschleimhaut und ein unzureichender Umbau der Blutgefäße werden mit der Entwicklung einer Präeklampsie in Verbindung gebracht. In der Folge kann es zu Funktionsstörungen der Syncytiotrophoblasten kommen, einer mehrkernigen Zellschicht ohne Zellgrenzen (Synzytium) an der Oberfläche der Chorionzotten (Villi), die eine Reihe von Mediatoren ins Blut abgeben (Abb. 1). Das Endothel ist beeinträchtigt, antiangiogene und proinflammatorische Proteine werden freigesetzt. In diesem komplexen Geschehen hemmt Acetylsalicylsäure zunächst die Thromboxan-Bildung und die Thrombozytenaggregation. Das Ungleichgewicht von Thromboxan und Prostacyclin im Verlauf einer Präeklampsie wird so wieder normalisiert. Der Wirkstoff übt aber auch eine direkte Wirkung auf die Trophoblasten aus und fördert deren Invasion und Einwanderung in die Uterusarterien. Die Bildung des proangiogenen Proteins PlGF (Placental Growth Factor) wird stimuliert. Dieser plazentare Wachstumsfaktor steigt bei einem normalen Schwangerschaftsverlauf bis zur 30. Woche an und kann als Biomarker zur Risikovorhersage einer Präeklampsie benutzt werden, wie es zum Beispiel in der oben beschriebenen ASPRE-Studie gemacht wurde. Heute wird empfohlen, den Quotienten aus sFlt-1 und PlGF zu bestimmen. Der Anstieg der löslichen fms-like Tyrosinkinase (sFlt-1) erfolgt einige Wochen vor den Symptomen einer Präeklampsie und der Quotient hat sich als guter Vorhersageparameter bewährt.
Ein weiterer Angriffspunkt der Acetylsalicylsäure scheint auch die Freisetzung von extrazellulären Vesikeln zu sein. Sie enthalten unter anderem microRNA, mRNA oder Proteine und übermitteln „Botschaften“ von den Ursprungszellen an mütterliche Zellen des Immunsystems und anderer Organe. Dies trägt zur Adaptierung des Organismus an die Schwangerschaft bei. Die Zahl der Exosomen im mütterlichen Blut steigt im Verlauf der Schwangerschaft an und ist bei Präeklampsie erhöht. Acetylsalicylsäure scheint die Freisetzung solcher Exosomen zu beeinflussen.
Fazit
Die Verwendung von Acetylsalicylsäure während der Schwangerschaft hat viele Facetten. Die Nutzen-Risiko-Bewertung wurde im Laufe des langen Lebens dieses Arzneistoffs mehrfach angepasst. In analgetisch wirksamen Dosierungen bestehen gewisse Risiken und Acetylsalicylsäure gilt daher nicht als Mittel der ersten Wahl bei Schwangeren, obwohl ein Fehlbildungsrisiko bei gelegentlicher Einnahme trotz der Daten aus einer umfangreichen prospektiven Studie nicht bekannt ist.
Falls bei einer Schwangeren ein erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie besteht, kann Acetylsalicylsäure in einer Dosierung von 150 mg täglich diese Gefahr für Mutter und Kind deutlich reduzieren. |
Literatur
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