- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 47/2020
- Gefährliches ...
Die Seite 3
Gefährliches Politikverständnis
Das Bundesgesundheitsministerium ist mit einem „Nationalen Gesundheitsportal“ unter die Anbieter von Gesundheitsinformationen im Internet gegangen. Finanziert mit Mitteln des Ministeriums, mit Steuergeldern also. Doch das war nur ein erster Schritt: Seit vergangener Woche kooperiert das Portal mit dem Suchmaschinen-Giganten Google, die Informationen von gesund.bund.de werden nun bei bestimmten Suchbegriffen prominent in einem Kasten bei den Suchergebnissen an erster Stelle angezeigt. Bei der Suche auf dem Smartphone füllt dieser „offizielle“ Kasten sogar den ganzen Bildschirm aus.
Schon dass ein Bundesministerium ein eigenes Info-Portal betreibt, das offen in Konkurrenz zu journalistischen Angeboten tritt, ist ein Unding. Nicht nur, dass es absolut unnötig und damit eine Verschwendung von Steuergeldern ist. Denn es gibt in Deutschland gleich mehrere absolut seriöse Gesundheitsportale, die von unabhängigen Verlagen in jahrelanger Arbeit aufgebaut wurden, ob nun Netdoktor (Burda), apotheken-umschau.de (Wort & Bild Verlag) oder apotheken.de (Deutscher Apotheker Verlag), um nur drei Beispiele zu nennen. Da braucht es kein aus dem Boden gestampftes „staatliches“ Portal, dessen Inhalte von einer bisher selbst Experten unbekannten „Digitalagentur“ erstellt werden.
Vor allem stellt das Portal einen bisher undenkbaren Angriff auf die Staatsferne von Medien dar – und damit auf die Pressefreiheit insgesamt. Man stelle sich nur einmal vor, das Innenministerium betreibe plötzlich ein Online-Nachrichtenportal, in dem von „offizieller Stelle“ über die deutsche Innenpolitik berichtet wird – mit der süffisanten Begründung, so werde die Bevölkerung endlich unabhängig, frei von politischen Interessen und in der notwendigen Qualität über das politische Geschehen in Deutschland informiert.
Doch damit nicht genug. Durch die Kooperation mit Google werden die staatlichen Informationen des Nationalen Gesundheitsportals nun auch noch vom Quasi-Monopolisten unter den Suchmaschinen immer auf der Spitzenposition angezeigt. (So ganz mag man sich offenbar auf den behaupteten Qualitätsvorsprung des eigenen Angebots nicht verlassen. Denn ein solcher würde ganz alleine dafür sorgen, dass der Google-Algorithmus die Inhalte auf Spitzenplätze befördert …)
Der Vorgang zeigt – nicht zum ersten Mal – das gefährliche Politikverständnis von Jens Spahn. Wenn es um digitale, scheinbar moderne und innovative Themen geht, möchte er sich unbedingt als Macher stilisieren. Hindernisse werden rücksichtslos abgeräumt. Spahn schreckt zur Durchsetzung seiner Ziele nicht einmal vor politischer Erpressung auf offener Bühne zurück, wie man beim Deutschen Apothekertag 2019 erleben konnte. Mit offenen Drohungen sorgte Spahn damals dafür, dass die Delegierten ihre Forderung nach einem Rx-Versandverbot aufgaben.
Noch erheblich verschärft wird die Brisanz eines solchen Vorgehens dadurch, dass Spahn seit der Corona-Krise mit einer in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht gekannten Machtfülle ausgestattet ist. Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt ihn zum Erlass von Rechtsverordnungen, die tief in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger eingreifen – ohne Zustimmung des Deutschen Bundestags und nur auf der Grundlage einer nach wie vor vagen infektionsschutzgesetzlichen Rechtsgrundlage. Und wenn es nach dem Willen Spahns gegangen wäre, hätte diese Generalermächtigung auch noch Corona-unabhängig, d. h. ohne Befristung gelten sollen. Immerhin: Dies konnte nach einem Veto des Gesetzgebers vermieden werden.
Mit großer Macht geht große Verantwortung einher – die Einrichtung des „Nationalen Gesundheitsportals“ und die Kooperation mit Google wecken erneut ernste Zweifel, ob Spahn dieser Verantwortung gewachsen ist.
1 Kommentar
Völlige Übereinstimmung!
von Harald Schweim am 19.11.2020 um 18:52 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.