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Pandemie Spezial
Vielversprechende Daten zu Biontech-Impfstoff
FDA-Zulassung rückt in greifbare Nähe
Erstmals gibt es zu einem für Europa maßgeblichen Corona-Impfstoff Zwischenergebnisse aus der für eine Zulassung entscheidenden Studienphase. Das Mainzer Unternehmen Biontech und der Pharmakonzern Pfizer teilten mit, ihr Impfstoff biete einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor der Krankheit COVID-19. Schwere Nebenwirkungen seien bisher nicht registriert worden. Voraussichtlich in der kommenden Woche wird die Zulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragt. Unabhängige Experten zeigten sich beeindruckt. „Ehrlich gesagt ist das die beste Nachricht, die ich seit dem 10. Januar erhalten habe“, erklärte der Virologe Florian Krammer von der Icahn School of Medicine in New York. Für die an der US-Techbörse Nasdaq gelisteten Biontech-Papiere ging es im vorbörslichen US-Handel um rund 24 Prozent nach oben. Die Pfizer-Papiere gewannen rund 12 Prozent. Auch Aktien von Fluggesellschaften und anderen Unternehmen aus der Reisebranche legten stark zu.
Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff
Der Impfstoff BNT162b2 war von Biontech im Projekt „Lightspeed“ (Lichtgeschwindigkeit) seit Mitte Januar 2020 entwickelt worden. Die für eine Zulassung entscheidende Phase-III-Studie begann Ende Juli 2020 in verschiedenen Ländern. Inzwischen haben mehr als 43.500 Menschen mindestens eine der beiden Impfungen bekommen, die im Abstand von drei Wochen verabreicht werden. Ein Impfschutz wird nach Angaben der Hersteller eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht. In der Studie wurden nach der Pressemitteilung insgesamt 94 Fälle der Krankheit bestätigt. Die Ergebnisse werden erst dann abschließend ausgewertet, wenn insgesamt 164 Fälle erreicht sind. Zudem werde geprüft, in welchem Maß die Impfung nicht nur vor COVID-19 schützt, sondern auch vor schweren Verläufen der Krankheit. Insgesamt sollen sowohl die Schutzwirkung als auch etwaige Nebenwirkungen über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet werden.
Wissenschaftliche Publikation der Daten steht noch aus
Der Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln sprach von „großartigen und vielversprechenden Daten“. „Ich denke, das wird unseren Umgang mit der Pandemie entscheidend beeinflussen, und ich hoffe, dass rasch große Mengen des Impfstoffs zur Verfügung stehen werden.“ Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg rechnet mit einer baldigen Zulassung. Allerdings geben Experten zu bedenken, dass die Daten zunächst nur aus einer Pressemitteilung stammen und nicht aus einer wissenschaftlichen Publikation. So fehlten etwa Daten zum Schutzeffekt in bestimmten Altersgruppen.
Spahn: Zwischenergebnisse sehr ermutigend
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung „sehr ermutigend“. Die Ergebnisse zeigten, „dass dieser Impfstoff einen Unterschied macht“. Es freue ihn sehr, dass ein deutsches Unternehmen zu den ersten mit solchen Erfolgen zähle. Gleichwohl müssten natürlich weitere Erfahrungen abgewartet werden. „Das heißt noch nicht, dass morgen die Zulassung erfolgt.“ Zunächst sei jetzt die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA am Zug.
Als „Riesenerfolg für die europäische Forschungspolitik“ bezeichnet der CDU-Europaabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Peter Liese, die Ergebnisse der Impfstoff-Studie. „Bei der Studie handelt es sich um eine Doppelblind-Studie, und erst in den letzten Tagen wurde auch für die Studienleiter bekannt, wer ein Placebo und wer den Impfstoff erhielt. Offensichtlich sind in der Placebo-Gruppe deutlich mehr COVID-19-Fälle aufgetaucht als in der Gruppe derjenigen, die den Impfstoff erhalten haben“, ordnet der Arzt die Daten ein. „Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Selbstverständlich müssen die Daten noch von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA geprüft werden, aber dies wird kurzfristig der Fall sein.“ Ein Expertenteam bei der EMA stehe schon bereit. „Wir wollen in Europa so schnell wie möglich einen Impfstoff, aber er muss auch sicher sein“, so Liese. Das Projekt von Biontech wird unter anderem aus dem europäischen Forschungsprogramm Horizon 2020, aus dem Finanzinstrument InnovFin und aus dem europäischen Fond für strategische Investitionen unterstützt.
Transport und Lagerung – eine Herausforderung!
Das Biontech-Präparat ist ein sogenannter mRNA-Impfstoff. Eine Technologie, die zum ersten Mal in der Impfstoff-Herstellung Anwendung findet. Die Vakzine enthält genetische Informationen des Erregers, aus denen der menschliche Körper das Spike-Protein von SARS-CoV-2 herstellt. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von Antikörpern gegen dieses Protein anzuregen, um die Viren abzufangen, bevor sie in die Zellen eindringen und sich vermehren. Die virale RNA wird von kleinen Vesikeln aus Lipid-Nanopartikeln umhüllt, die zum einen die empfindliche RNA vor der Degradation durch extrazelluläre Nukleasen schützen sollen und zum anderen aber auch die Aufnahme und Expression der RNA in die Körperzelle erhöhen sollen. Allerdings sind diese winzigen Lipide sehr hitzeempfindlich. Nur bei starker Kühlung kann eine Temperatur erreicht werden, „bei der Lipide und lipide Strukturen aufhören, sich zu bewegen. Um diesen Zustand allerdings stabil zu halten, muss diese Temperatur noch unterschritten werden”, sagt Drew Weissman, Experte für mRNA-Impfstoffe an der University of Pennsylvania, dessen Labor mit Biontech zusammenarbeitet, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das stellt eine große Herausforderung sowohl für den Transport als auch für die Lagerung der Vakzine dar, die laut Hersteller Temperaturen von etwa - 20° bis - 80 ° Celsius benötigt. Ein großer Vorteil der RNA-Technologie stellt jedoch die kurze Produktionszeit dar: Biontech und Pfizer rechnen damit, noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoff-Dosen bereitstellen zu können, im kommenden Jahr kalkulieren sie mit bis zu 1,3 Milliarden Dosen.
Wann ist eine europäische Zulassung möglich?
Für den Corona-Impfstoff gilt wegen der besonderen Dringlichkeit ein beschleunigter Zulassungsprozess. Bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA können Arzneimittelhersteller schon vor dem kompletten Zulassungsantrag einzelne Teile zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Präparats einreichen. Ein solches Rolling-Review-Verfahren hat neben Biontech auch das britisch-schwedische Unternehmen AstraZeneca bereits vor einiger Zeit für seinen Impfstoff-Kandidaten gestartet. AstraZeneca hat bisher noch keine Phase-III-Daten veröffentlicht. Zwar haben schon Länder wie Russland, China und kürzlich erst Bahrain Impfstoffe mit Einschränkungen freigegeben und impfen damit bereits Teile der Bevölkerung. Aber wie gut diese Impfungen tatsächlich schützen und welche Nebenwirkungen sie haben können, ist derzeit weitgehend offen.
Wer darf zuerst undwer muss warten?
Doch selbst wenn in wenigen Wochen ein Impfstoff zugelassen wird, ist klar, dass nicht alle Bundesbürger zur selben Zeit geimpft werden können. Um ein Rennen auf die Vakzine zu verhindern, haben die ständige Impfkommission, der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein gemeinsames Positionspapier verfasst, in dem sie „Empfehlungen für einen gerechten und geregelten Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff“ geben möchten. Diese sollen nicht nur auf medizinisch-epidemiologischen Erkenntnissen basieren, sondern auch ethische und rechtliche Prinzipien mit einbeziehen. Eine detaillierte Empfehlung für besonders zu schützende Personengruppen, die vorrangig geimpft werden sollen, können laut der Pressemitteilung vom 9. November 2020 noch nicht genannt werden, da wichtige Daten der Phase-III-Studien noch ausstehen. Aus den angestrebten Impfzielen lässt sich jedoch ableiten, dass zunächst Risikogruppen wie Senioren, Personen mit Vorerkrankungen sowie Personal des Gesundheitssystems vorrangig geimpft werden soll. Personen, die in wichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge arbeiten beziehungsweise das öffentliche Leben aufrechterhalten, etwa Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden und der Polizei, Erzieher und Lehrer sollen ebenso prioritär eine Impfung erhalten. Das Positionspapier hebt zudem hervor, dass eine Impfung grundsätzlich auf freiwilliger Basis erfolgen soll, es soll keine Impfpflicht geben. Eine zentrale Datenbank soll zum einen eine genaue Ermittlung der Impfquoten gewähren, zum anderen soll diese der Pharmakovigilanz der zugelassenen Impfstoffe dienen. Weiter heißt es, dass die Impfung nicht in den einzelnen Hausarztpraxen, sondern in staatlich mandatierten Impfzentren stattfinden sollen. |
Literatur bei den Verfasserinnen
Weitere Beiträge des Pandemie Spezials in DAZ 2020, Nr. 46
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