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Tamimi: „KfW-Kredite reichen nicht aus“

Omnicare-Chef erläutert die besondere Situation der Zyto-Apotheken nach der AvP-Pleite

eda | Unter den etwa 2900 von der AvP-Insolvenz betroffenen öffentlichen Apotheken existieren Betriebe, bei denen sich aufgrund spezialisierter Versorgungsformen besonders drastische Finanzlöcher ergeben haben – etwa bei den Zytostatika herstellenden Apotheken. Durch die in diesem Segment herrschenden Kosten- und Vergütungsstrukturen ist es für sie noch aussichtsloser, die Umsatzausfälle aus eigener Kraft zu kompensieren. Apotheker Oliver Tamimi, Geschäftsführer des Zyto-Spezialgroßhändlers Omnicare, erläutert, was die Herstellbetriebe aktuell und in Zukunft vom Gesetzgeber erwarten.

In Einzelgesprächen kristallisiert sich erst recht die dramatische Tragweite des Finanzskandals nach der ­Insolvenz des Apothekenrechenzentrums AvP heraus. Weil die betroffenen Apothekenin­haber, die meistens anonym bleiben möchten, mit ihrem ­kompletten Privatvermögen für alle Verbindlich­keiten der Apotheke haften, ist ihre persönliche Not besonders groß.

Bei den öffentlichen Apotheken ­entspricht die Höhe der fehlenden ­Abrechnungsgelder für den Monat ­August im Durchschnitt mindestens dem Jahresgewinn. Allein diese Relation zeigt, dass die nun von der Bundesregierung in Aussicht gestellten zinsgünstigen Schnellkredite nur ein ­erster Schritt sein können, um die ­Finanzlöcher nachhaltig zu stopfen. Offen bleibt, ob mit diesen Darlehen überhaupt jede betroffene Apotheke erreicht werden kann.

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Spezialisierte Apotheken seien besonders hart betroffen, da die Rezepte hochpreisig, aber die Marge zu keinem Zeitpunkt hoch genug ist, um derart hohe Ausfälle abfedern oder gar ausgleichen zu können, macht Omnicare-Chef Oliver Tamimi im Gespräch mit der DAZ deutlich.

Blickt man auf Apotheken, die Zytostatika herstellen, ist die Situation nicht weniger dramatisch. Oliver Tamimi, Apotheker und Geschäftsführer des Zyto-Spezialgroßhändlers Omnicare, der gleichzeitig eine Qualitätsinitiative aus 38 Apotheken umfasst, erläutert den Zusammenhang gegenüber der DAZ folgendermaßen: „Diese spezialisierten Apotheken sind jetzt besonders hart betroffen, da die Rezepte für Krebsmedikamente hochpreisig sind, aber gleichzeitig die Marge zu keinem Zeitpunkt hoch genug ist, um derart hohe Ausfälle, wie sie jetzt aufgetreten sind, abfedern oder gar ausgleichen zu können.“

Keine umsatzabhängige Vergütung

Die in Anlage 3 der Hilfstaxe vorge­sehene Herstellungspauschale von höchstens 81 Euro ohne umsatzabhängige Komponente könne den Apotheken keine angemessene Risikoabdeckung mehr ermöglichen. Hierbei würde es nämlich nur um die Vergütung der reinen pharmazeutischen Leistung gehen – die Risiken für Zahlungsausfälle und Verluste von Aus­fällen seien dabei nicht einkalkuliert und daher könnten die Zyto-Apotheken das finanziell kaum verkraften. Denn bei Zyto­statika müssen Apotheken im Verhältnis zum Rohertrag viel größere Umsätze bewegen als in der sonstigen Versorgung. Im Gespräch mit der DAZ berichten Apothekeninhaber, die sich auf die Herstellung von Zytostatika spezialisiert haben, von fehlenden Abrechnungsgeldern zwischen 500.000 Euro und 4,5 Millionen Euro – allein für den Monat August. Wenn ihnen keine Bank entsprechende Kredite gewähren würde, drohe ­ihnen als Einzelkaufleute die Privat­insolvenz.

Foto: Omnicare

Oliver Tamimi

Dem Omnicare-Verbund sei es trotzdem in den letzten drei Wochen gelungen, die kooperierenden Apotheken zu schützen und damit die Versorgung ärztlicher Praxen und Patienten sicherzustellen. Die meisten der zur Qualitätsinitiative gehörenden Betriebe hätten in den letzten Jahren über AvP mit den Krankenkassen abgerechnet. Unmittelbar nach Ausbleiben der Zahlungen hätte der Apothekenverbund ein neues Rechenzentrum für sie ausgewählt. Die Septemberabrechnungen konnten so, laut Tamimi, ordnungsgemäß durchgeführt werden. Doch bis zum Eingang der Gelder habe es laut Omnicare-Chef weiterer Unterstützung bedurft: Dazu gehörte die Beantragung von Überbrückungskrediten über die jeweiligen Hausbanken und von Abschlagszahlungen des neuen Abrechners Noventi. Darüber hinaus wird die rechtliche Beratung für die Apotheken koordiniert. Man erhofft sich, dass den Interessen im Insolvenzverfahren durch den Verbund stärker Gewicht verliehen wird.

Dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Schnellkredite angeboten hat, bewertet Tamimi als einen wertvollen ersten Schritt von politischer Seite aus. Doch dieser allein wird seiner Meinung nach nicht ausreichen, um die Folgen zu minimieren.

Sozialrechtsänderungen sollen Ausfallrisiko verteilen

Für Tamimi steht fest, dass neue, rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um die Insolvenz eines Apothekenrechenzentrums zu verhindern. Dazu gehört, dass das Ausfallrisiko in Zukunft nicht mehr allein bei den Apotheken liegt, sondern entlang der Wertschöpfungskette auf alle Beteiligten verteilt wird. Diese Regelung gehöre fest verankert ins Sozialrecht und müsste integraler Bestandteil des Gesundheitssystems werden. Diese Auffassung vertritt auch der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA). Außerdem müssten zusätzlich zu den Herstellungspauschalen die Risiken für Zahlungsausfälle einkalkuliert werden. Dritter und letzter Wunsch an den Gesetzgeber ist es dafür zu sorgen, dass der Inkassorisikoträger im Zusammenhang mit den Herstellerrabatten nicht mehr die Apotheke ist.

Omnicare wurde 2002 als pharmazeutischer Spezialgroßhandel für die ambulante onkologische Versorgung in Deutschland gegründet. Heute ist das Unternehmen eigenen Angaben zu­folge Marktführer beim Vertrieb von onkologischen Fertigarzneimitteln, die von Apotheken für patientenindividuelle Infusionen benötigt werden. Omnicare erwirtschaftet einen Jahresumsatz von etwa 670 Millionen Euro und beschäftigt in Unterföhring, Köln und Calw 193 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2018 etablierte Omnicare ­zudem das „Deutsche Onkologische Netzwerk“ führender Onkologie-Praxen. Ein Jahr später wurde gemeinsam mit 38 Zytostatika herstellenden Apotheken die Omnicare Qualitätsinitiative gegründet.

Aussonderungsrechte werden weiterhin geprüft

Ende September hatte der Apothekerverband Nordrhein von Gesprächen mit dem vorläufigen AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos berichtet: Demnach sollen denjenigen Apotheken, die entweder mit AvP vor dem Jahr 2003 Verträge geschlossen haben oder über ganz aktuelle Verträge verfügen, möglicherweise ein Aussonderungsrecht hinsichtlich der unbear­beiteten Rezepte zustehen. In diesen Verträgen sei – nach bisheriger Erkenntnis – nämlich nur eine bedingte Forderungsabtretung vereinbart worden. Damit würde der Rezeptwert dem jeweiligen Apothekeninhaber zustehen und nicht in die Insolvenzmasse von AvP fallen. Laut AVNR-Mitteilung sei Insolvenzverwalter Hoos mit der abschließenden Prüfung befasst.

Auf Nachfrage der DAZ teilt Hoos mit, dass diese Prüfung nach wie vor nicht abgeschlossen sei: „Waren die Rezepte zum Zeitpunkt meiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter noch nicht abgerechnet und befinden sich diese noch im Besitz der AvP, kommt eine Herausgabe der Rezepte in Betracht.“ Im anderen Fall hätten die betroffenen Apotheker möglicherweise ein Ersatzaussonderungsrecht an den eingezogenen Geldern. Diese würde Hoos dann gesondert von der Masse auf einem Treuhandkonto separieren. Wann genau die Prüfung der Aussonderungsrechte in diesen und in weiteren Fälle abgeschlossen ist, dazu äußert sich Hoss nicht konkret. |

AvP-Insolvenzverfahren startet früher

Eine weitere Übernahme von Geschäftsteilen des insolventen Apothekenrechenzentrums AvP steht fest: Der vorläufige Gläubigerausschuss hat in der vergangenen Woche grünes Licht gegeben, das Dienstleistungsgeschäft mit den Krankenhausapotheken zu verkaufen. Ab November wird Noventi das Segment übernehmen. Zum Kundenkreis gehören unter anderem die Apotheken der Charité Berlin, des LMU Klinikums München sowie des UKE Hamburg. Aus Branchenkreisen ist zu erfahren, dass Noventi im Rahmen dieser Akquisition einen zweistelligen Millionenbetrag investiert – eine Summe, die sich wohl innerhalb von zehn Jahren amortisieren soll.

Das ARZ Haan hatte bereits vor drei Wochen verkündet, dass man mit sofortiger Wirkung die Rezeptverarbeitung von Sanitätshäusern und sonstigen Gesundheitsdienstleistern übernehmen wolle.

Der Verkauf an Noventi soll es der AvP Deutschland GmbH ermöglichen, die Gehälter der verbleibenden Mitarbeiter über den 1. November 2020 hinaus zahlen zu können. Dies geht aus einem ­internen Mitarbeiterschreiben hervor, das der DAZ vorliegt. In dem Schreiben heißt es weiter, dass daher das Insolvenzverfahren für die AvP Deutschland GmbH bereits am 1. November 2020 eröffnet werden soll. Bei den übrigen AvP-Gesellschaften soll es aber nach wie vor erst um den 1. Dezember 2020 herum zur Eröffnung kommen. Die Gehälter dieser betroffenen Mitarbeiter seien bis dahin über die Zahlung des Insolvenzgeldes gesichert.

Nach wie vor suchen der vorläufige Insolvenzverwalter Hoos sowie der von der Bankenaufsicht BaFin eingesetzte AvP-Geschäftsleiter Ralf R. Bauer nach weiteren Interessenten. Das Mitarbeiterschreiben schließt ab mit der Perspektive, dass man davon ausgehe, in der ersten Novemberhälfte mitzuteilen, ob die Suche erfolgreich war und wie sich die weitere Beschäftigung in der AvP-Gruppe darstellt.

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