Aus der Hochschule

Patienten im Fokus

Klinische Pharmazie weitergedacht

Seit 2001 ist das Fach Klinische Pharmazie Bestandteil der universitären Ausbildung des pharmazeutischen Nachwuchses in Deutschland. Es verfolgt das Ziel einer Perspektiv­erweiterung, indem es die isolierte Betrachtung des Arzneimittels auf den individuellen Patienten ausdehnt. Im Fachbereich Klinische Pharmazie der Freien Universität Berlin wurde vor diesem Hintergrund ein innovatives Lehrangebot realisiert.

Bereits 2006 wurde von der WHO postuliert, dass Apothekerinnen und Apotheker entscheidend zu Therapieerfolgen und Lebensqualität von Patienten beitragen und sich entsprechend ihrer Qualifikation im Gesundheitssystem positionieren sollten [1]. Jüngere Studien stellten vor allem eine starke Korrelation zwischen der Implementierung entsprechender Lehrinhalte in der Ausbildung und der Umsetzung klinisch-pharmazeutischer Dienstleistungen in der Praxis fest [2]. Derzeit rangiert Deutschland im internationalen Vergleich zur Weiterentwicklung der Pharmazie auf den hinteren Plätzen [2]; im Rahmen des Faches der Klinischen Pharmazie entwickeln sich jedoch vielversprechende Ansätze für patientenbezogene Inhalte.

Foto: Banafshe Pourshacheraghi

Das Wahlpflichtfach zur Patientenfallbearbeitung wurde geleitet von Johanna Seeger (vorne links), Josefine Schulz (vorne rechts).

Gute Voraussetzungen in Berlin

An der Freien Universität Berlin existiert eine Vollprofessur für das Fach Klinische Pharmazie und damit die Grundvoraussetzung für nachhaltige Lehre, die zusätzlich zum Arzneimittel, Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt der pharmazeutischen Denkweise rückt. Ein weiterer Schritt war die Eröffnung des Medikations-Management-Centers (MMC) im Oktober 2016. Seither wird das MMC zunehmend in Lehrveranstaltungen vom 5. bis 8. Semester einbezogen und ­individuell von Studierenden zum Selbststudium genutzt. Daraus entstand die Idee, die Patientenfallbearbeitung im Rahmen eines Wahlpflichtfaches aufzugreifen und den Fokus im Medikationsmanagement erstmals auch auf patientenorientierte Kommunikation zu richten. Denn nur wer die korrekte Arzneimittelanwendung und seine Therapie verstanden hat, kann diese auch umsetzen und sich somit aus pharmazeutischer Perspektive adhärent verhalten.

Fokus auf patientenorientierte Kommunikation

Mit dem Ziel, Studierende auf diese besonderen Herausforderungen vorzubereiten, wurde im Wintersemester 2019/20 und im Sommersemester 2020 erstmals dieses innovative Lehrangebot realisiert: Insgesamt zehn Studierende bearbeiteten einmal wöchentlich für drei Stunden im MMC Fallbeispiele, führten Medikationsanalysen durch und erprobten die patientenorientierte Kommunikation im Rollenspiel. Zunächst wurden in einem Einführungsseminar die Methodik der Medikationsanalyse und das Vorgehen anhand des SOAP-Schemas vorgestellt. Die besondere Verantwortung von Apothekerinnen und Apothekern im Rahmen der Arzneimitteltherapiesicherheit war ebenso Thema wie der bundeseinheitliche Medikationsplan sowie die Leitlinien und Arbeitshilfen der Bundesapothekerkammer (BAK). In einem zweiten Seminar stand die professionelle Kommunikation im Beratungsgespräch im Mittelpunkt. Neben kommunikationstheoretischen Grundlagen und Gesprächsführungstechniken wurde der gezielte Einsatz verschiedener Fragetypen vermittelt. In jeder der folgenden Lerneinheiten stand ein pharmazeutisch relevantes Indikationsgebiet im Mittelpunkt. Diese hatten einen dreiteiligen Aufbau: Zu Beginn wurde von den Studierenden ein Referat gehalten, in dem die relevanten pharmakotherapeutischen Leitlinien vorgestellt und auf beratungsrelevante Aspekte, z. B. typische Arzneimittelinteraktionen, eingegangen wurde. Im zweiten Teil haben sich die Studierenden anhand kurzer Fallbeschreibungen klassischer Beratungssituationen im Rollenspiel in die Situation von Patientin oder Patient sowie Apothekerin oder Apotheker versetzt. Für die Beratung im Zusammenhang mit besonderen Applikations­arten kamen entsprechende Placebo-Applikatoren, wie zum Beispiel Inhalationsgeräte zum Einsatz. Die mit dem Einverständnis der Studierenden aufgezeichneten Rollenspiele wurden im dritten Teil gemeinsam mit der ganzen Gruppe reflektiert und ausgewertet. Die mit der COVID-19-Pandemie verbundene Umwandlung der Lehre in Online-Formate stellte alle vor eine Herausforderung. Eine Verlegung des auf direkte Kommunikation und Interaktion basierenden Konzepts in den virtuellen Raum erschien schwer vorstellbar. Jedoch wurde auch diese Hürde gemeistert.

Hohe Zufriedenheit

Insgesamt zeigte eine Online-Evaluation, dass die Studierenden nicht nur sehr zufrieden mit dieser Form des Wahlpflichtfaches waren, sondern auch der Ansicht sind, dass Patientenfallbearbeitung und Kommunikation verpflichtend im Pharmaziestudium sein sollten (100 % Zustimmung bei zehn Teilnehmer*innen der Befragung). Die Studierenden sprachen sich einstimmig dafür aus, dass das Wahlpflichtfach weiterhin angeboten werden sollte, da „neue Akzente gesetzt und der Blick für neue Themengebiete (patientengerechte Beratung, Interaktionen usw.) geschärft“ werde. Auf die Frage nach den wichtigsten Ergebnissen des Wahlpflichtfaches gaben alle Teilnehmer an, dass dieses Format ihnen den Einstieg in den pharmazeutischen Alltag erleichtern werde und „dass man als Apotheker in der Pflicht steht, immer die nötigen Informationen patientengerecht zu vermitteln. Und dass dies eine sehr komplexe und schwere Aufgabe ist mit vielen Nuancen […]. Wir sind eine Art Dolmetscher zwischen der ganzen Pharmakologie, der pharmazeutischen Technologie usw., die sich im Arzneimittel verbirgt, und dem Patienten.“ Mehrfach genannt wurden auch die Sensibilisierung für verschiedene Kundentypen, die richtige Wortwahl, Sprache und allgemein mehr Sicherheit in der Kommunikation. Eine wesentliche Stärke der fallorientierten Methodik war, dass „einem noch einmal bewusst [wurde], wie wichtig dieser Beruf ist und dass man immer nochmal nachfragt und dranbleibt.“

Ins Curriculum aufnehmen!

Solche Lehrformate vermitteln Grundlagen für wesentliche Fähigkeiten, die die Apothekerinnen und Apotheker von morgen benötigen, um klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen erbringen zu können. Für die Zukunft ist daher eine Einbettung ins reguläre Curriculum anzustreben. Die gesammelten Erfahrungen zeigen, dass Studierende bereits frühzeitig mit dieser Lehrform vertraut gemacht werden können. Mit wachsendem Wissen können entsprechend komplexere Aspekte in die Patientenfälle aufgenommen werden. Kleine, konstante Gruppen sind wünschenswert, da so Vertrauen auf- und Hemmungen abgebaut werden können. Im internationalen Vergleich ist dieses Lehrkonzept keine Neuheit. In Ländern wie Australien werden sogenannte OSCE (objective structured clinical examinations) sogar als Prüfungsform eingesetzt [3]. Kritiker dieser anwendungsorientierten Pharmazie verweisen dabei gerne auf den 3. Ausbildungsabschnitt und argumentieren, dass diese Fähigkeiten dort zu erlernen seien. Jedoch werden laut AAppO im 3. Ausbildungsabschnitt die im „[…] vorhergehenden Studium erworbenen pharmazeutischen Kenntnisse vertieft, erweitert und praktisch angewendet […]“.

Die Lehre in der Klinischen Pharmazie an der Freien Universität Berlin fokussiert sich dabei unter dem Leitsatz „Von gesund nach gesund“ darauf, den Studierenden grundlegende Kenntnisse über biochemische Prozesse des gesunden Menschen und Veränderungen im Erkrankten zu vermitteln. Darauf basierend soll mit einer patientenorientierten Denkweise und dem vereinten Wissen aller pharmazeutischen Disziplinen eine evidenzbasierte Bewertung der Gesamtmedikation und Gewichtung individuell für jeden Patienten getroffen werden. Weiterhin ist die Kommunikation entscheidend, denn nur bei Patienten, die ihre Arzneimittel regelmäßig und richtig anwenden, kann die Arzneimitteltherapie ihr volles Potenzial entfalten und sicher sein. Es bleibt daher zu hoffen, dass zukünftig noch mehr Standorte in Deutschland vermehrt die patientenorientierte Pharmazie in den Fokus stellen – denn (inter)nationale Positionspapiere und die Studierenden [4] sind überzeugt, dass dort eine große Chance für die Zukunft der patientenorientiert arbeitenden Apothekerinnen und Apotheker liegt. |

Literatur

[1] World Health Organization. Developing pharmacy practice: a focus on patient care, 2006

[2] Rose O, Derendorf H, Erzkamp S, Fujita K, Hartl A, Hoti K, Krass I, Obarcanin E, Saevels J, Srimongkon P, Teichert M, Tsuyuki R T. Development of clinical pharmacy services in Australia, Austria, Belgium, Bosnia-Herzegovina, Canada, Germany, Japan, Kosovo, Switzerland, the Netherlands, Thailand, USA and correlation with educational standards, level of research, and implemen. Int. J. Clin. Pharmacol. Ther. 2018;56:518-530

[3] Shirwaikar A. Objective structured clinical examination (OSCE) in pharmacy education – A trend. Pharm. Pract. (Granada). 2015;13:1-5

[4] Positionspapier pharmazeutische Dienstleistungen des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland e. V. https://bphd.de/wp-content/uploads/2020/­01/BPhD_PosPap_PharmD_20191117.pdf [letzter Zugriff: 12.10.2020]

Johanna Seeger, Josefine Schulz, 
Klinische Pharmazie, Freie Universität Berlin

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