Die Seite 3

Systemfrage

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Die Insolvenz des Apothekenrechenzentrums AvP gleicht einer Zäsur. Als wäre das aktuelle Jahr durch Corona nicht schon krisengeschüttelt genug, folgt nun die Schockstarre in der Branche, weil Tausende Apotheken von heute auf morgen – und vor allem unverschuldet – in Existenznot geraten sind. Niemals zuvor wurde dieses Szenario durchgespielt und analysiert. Die Rechenzentren standen stets außerhalb des Fokus, wenn es darum ging zu ermitteln, wovon und von wem die Liquidität eines Apothekenbetriebs abhängt: Bankkredite, Großhandelsrechnungen, Versicherungen, ja sogar das Risiko durch Umweltkatastrophen kalkulierten die Apothekeninhaber mit ein. Aber das Aus eines Rechenzentrums war für die meisten wohl so unwahrscheinlich wie der Einschlag eines Meteoriten.

Das wird sich nach dem AvP-Skandal wohl ändern und doch lässt sich Stand heute nur sehr vage formulieren, was genau in Zukunft anders laufen muss, dass sich solche Ereignisse möglichst nicht wiederholen. Hundertprozentige Sicherheit ist aber auch hier so unwahrscheinlich wie das Ausbleiben eines nächsten Flugzeugabsturzes. Und trotzdem lassen sich aus dem Unglück – so bitter das immer klingt – Lehren ziehen. Dabei ist es nicht damit getan, nur die eine oder andere Schraube fester zu ziehen oder alle Beteiligten besser auf solche Situationen vorzubereiten. Die AvP-Pleite wirft, ob man will oder nicht, zwangsläufig die Systemfrage auf: Sind die inhabergeführten Apotheken überhaupt noch in der Lage, die immer teurer werdenden Arzneimittel für immer mehr Versicherte bei immer größer werdenden Risiken zu finanzieren?

Deregulierungsanhänger werden die aktuelle Situation bestimmt so auslegen: Mit Eigenkapital der Aktionäre in Millionen- oder Milliardenhöhe bräuchte man keine Banken als Kreditgeber, die unter den wachsamen Augen einer Aufsichtsbehörde immer vorsichtiger mit dem billigen Geld hantieren. Doch dabei wird außer Acht gelassen, dass sich mit Apotheken und Versandhändlern in Konzernhand ein Missmanagement noch weitaus drastischer zuspitzen würde. In einem hart umkämpften Arzneimittelmarkt mit höchstens zwei oder drei Wettbewerbern, würde der Ausfall nur eines Players ein riesiges Loch in die Versorgungslandschaft reißen. Von landläufigen, unternehmerischen Entscheidungen wie Filialschließungen und -verlagerungen an lukrativere Standorte mal ganz zu schweigen.

Daher kann die Lösung nur sein, an kleinteiligen, dezentralen Strukturen im Gesundheitswesen festzuhalten, mit Heilberufen, die in besondere Verantwortung genommen werden können, und mit denen ein Ausfall einzelner Standorte kompensiert werden kann. Gleichzeitig gehören die Retax-Fallstricke im Sozialrecht abgeschafft und das Apothekenhonorar entsprechend der tatsächlichen Kosten dynamisiert.

Wer meint, dies seien alles unrealistische Träumereien, sollte sich vergegenwärtigen, dass im aktuellen Corona-Jahr der Gesetzgeber bereits so einige, zuvor unvorstellbare Entscheidungen auf den Weg gebracht hat.

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