Interpharm online 2020

Rätselhafte Epstein-Barr-Viren

Ein Virus als Verursacher vieler Tumoren und Infektionen

dl | Ein Viertel aller Tumore ist vermutlich durch eine Infektion ausgelöst. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist eines der sieben Onkoviren, die als Auslöser humaner Tumore bekannt sind. Ein Impfstoff gegen das zu den Herpesviren gehörende EBV ist noch nicht in Sicht. In einem spannenden Vortrag sprach Prof. Dr. Dr. Henri-Jaques Delecluse vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg über diverse Aspekte rund um EBV und die noch weitgehend unklare Pathogenese EBV-assoziierter Tumore.

Die jährliche Inzidenz EBV-assoziierter Tumorerkrankungen liegt nach Delecluse bei 2% aller Tumore. Im Gegensatz zu anderen onkogenen Viren verursacht das Epstein-Barr-Virus sehr verschiedenartige Tumore, zu denen Lymphome, Magenkarzinome, nasopharyngeale Karzinome sowie Sarkome gehören. Diese treten regional sehr unterschiedlich auf. So ist das nasopharyngeale Karzinom häufig in Süd-Ost-Asien und Nordafrika anzutreffen, in Europa eher selten. Burkitt’s Lymphom dagegen ist häufig in Zentralafrika zu finden, und T-Zell-Lymphome kommen fast ausschließlich in Japan vor. Die Gründe dafür liegen vermutlich in regional unterschiedlichen Virusstämmen und genetischen Polymorphismen. Es wird angenommen, dass bestimmte Stämme bestimmte Tumore verursachen. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle. So hängt das gehäufte Vorkommen des Burkitt’s-Syndroms in Äquatornähe auch mit dem Malaria­erreger Plasmodium falciparum zusammen. Immunsuppression (z. B. Behandlung mit Cyclosporin A, Tacrolimus oder HIV-Infektion) dagegen ist ein Risikofaktor für EBV-assoziierte (teils reversible) Posttransplantationslymphome.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Prof. Dr. Dr. Henri-Jaques Delecluse

Breites Spektrum an EBV-assoziierten Erkrankungen

Im Laufe seines Vortrages stellte Delecluse EBV-assoziierte Erkrankungen im Detail vor und ging auf den Zusammenhang zwischen gut- und bösartigen Erkrankungen ein. Das Epstein-Barr-Virus ist z. B. Auslöser des in der Regel gutartigen Pfeifferschen Drüsenfiebers (infektiöse Mononukleose, Kusskrankheit). Patienten haben dann aber ein erhöhtes Risiko, ein Hodgkin’s Lymphom zu entwickeln. Während die Pathogenese bei der infektiösen Mononukleose und bei Posttransplantationslymphomen relativ gut erforscht ist, ist die Rolle des Virus bei anderen Erkrankungen noch unklar. Auffällig ist die ungewöhn­liche anatomische Lokalisation, fast immer sind EBV-assoziierte Tumore im Gastrointestinaltrakt zu finden. Ursache dafür könnte laut Delecluse die durch die Infektion getriggerte Expression des Integrins LPAM1 sein, das der Schlüssel ist, um ins Immunsystem des GI-Trakts zu gelangen. Die Hypothese, dass eine Zelle, sobald sie mit EBV infiziert ist, in den Gastrointestinaltrakt wandert und sich dort bei manchen Menschen weiterentwickelt, wird derzeit geprüft. Daneben können EBV-assoziierte Tumore auch über indirekte Mechanismen entstehen. Als Beispiel nannte Delecluse das multiple Myelom, das als Folge einer Immunreaktion auf das Virus entsteht. Neben dem Pfeifferschen Drüsen­fieber sind auch andere nicht-tumoröse Erkrankungen mit EBV in Verbindung gebracht worden. So haben EBV-Träger ein 16- bis 30-fach höheres Risiko, multiple Sklerose zu entwickeln, als EBV-negative Patienten. Auch bei einem Drittel der Alzheimerpatienten ist eine EBV-vermittelte Entzündung festgestellt worden. Erklärung dafür ist, dass das nach einer Infektion im Körper verbleibende Virus eine chronische Inflammation auf niedrigem Niveau bewirkt, gegen die der Körper ständig ankämpfen muss. Jahrzehnte später kann eine Entzündung aufflammen, die Alzheimer begünstigt. Ins­gesamt ergibt sich laut Delecluse ein breites Spektrum an EBV-assoziierten Erkrankungen mit komplizierten Mechanismen.

Molekulare Virologie

Bei EBV handelt es sich um ein Doppelstrang-DNA-Virus mit sehr großem Genom (170 kb), das für mehr als 100 Proteine kodiert. Wie für Herpesviren typisch, kann eine Infektion mit einer lytischen oder einer latenten Phase ablaufen. Während der lytischen Phase kommt es zur Virusvermehrung, die durch wellenartige Proteinexpression gekennzeichnet ist. So muss der Körper nach und nach immer neue Virusproteine bekämpfen, was eine Herausforderung für das Immunsystem darstellt. Charakteristisch für Herpesviren einschließlich EBV ist die latente Phase. Dabei handelt es sich um eine sehr aktive Phase, in der es zur B-Zell-Transformation kommt. Neben latenten Proteinen (EBNA, LMP) spielen zahlreiche microRNA und andere nicht-kodierende RNA eine Rolle, die durch Überaktivierung physiolo­gischer Signalwege (z. B. CD40) eine B-Zell-Proliferation bewirken. Auch NF-kB-, NOTCH- und p38-Signal­kaskaden sind involviert. Zusammenfassend stellte Delecluse fest, dass alle Signalwege, die für die Proliferation von B-Zellen essenziell sind, auch durch Epstein-Barr-Viren aktiviert werden.

Impfstoff nicht in Sicht

Noch unklar ist, ob B-Zellen bei der Tröpfcheninfektion im Oropharynx direkt infiziert werden oder der Infektionsweg über Epithelzellen verläuft. Die Infektion führt zu chromosomalen Abnormalitäten und genetischer Instabilität und kann zu Tumoren führen, wenn die B-Zellproliferation nicht von den T-Zellen des Immunsystems gestoppt wird. Meist werden infizierte B-Zellen durch die EBV-spezifische T-Zellantwort abgetötet, können dann jedoch nicht komplett eliminiert werden. Sie verbleiben im Körper und bilden einen Gedächtniszellpool, aus dem sich das Virus später wieder aktivieren kann. Damit ist auch die hohe Seroprävalenz von ca. 95% zu erklären, die in Entwicklungsländern bereits im Alter von fünf Jahren erreicht wird, in Industrieländern erst mit 50 Jahren. Als Ursache für diese Diskrepanz führte Delecluse Unterschiede in der Lebensweise an, besonders die enge Mutter-Kind-Beziehung und z. B. das Vorkauen des Essens, die eine frühzeitige Virusübertragung fördern. Zu guter Letzt ging Delecluse auf Präventionsstrategien und Schwierigkeiten bei der Impfstoffentwicklung ein. Weltweit arbeiten mindestens 20 Labore an einer Vakzine, aber alle Versuche, einen Impfstoff zu entwickeln, sind bisher gescheitert. Auch bei der Nachfrage nach Aciclovir muss Delecluse enttäuschen, denn dies wirkt nur in der lytischen Phase, nicht aber in der für die Tumorentstehung wichtigen latenten Phase. |

 

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