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NRW: Jeder 20. Apotheke droht Schließung
Apothekerverband analysiert Folgen der AvP-Insolvenz
„Hier geht es um die nackte Existenz von Kolleginnen und Kollegen vor Ort, die in der Hochphase der Corona-Krise Herausragendes geleistet haben und jetzt ohne eigenes Verschulden vor einem persönlichen und geschäftlichen Scherbenhaufen stehen“, macht Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR) in einer aktuellen Mitteilung deutlich. Preis appelliert an Politik, Großhandel und Banken, „einen schnell wirksamen Beitrag zu leisten, um Schließungen der Apotheken zu verhindern und möglichen Versorgungslücken vor Ort sowie Arbeitsplatzverlusten effektiv entgegenzuwirken.“
Einer aktuellen Markteinschätzung vom AVNR zufolge, sind in NRW etwa fünf Prozent der aktuell 3985 Apotheken so stark betroffen , dass eine kurzfristige Schließung droht. Bundesweit seien es drei Prozent der insgesamt 19.075 Apotheken, die betroffen sind. Das hätte zur Folge, dass kurzfristig mit einer Verdoppelung des „Apothekensterbens“ zu rechnen ist, so der Verband. Bei nun rund 700 zu erwartenden Apothekenschließungen stünden bundesweit auch fast 5000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Allein durch die AVP-Insolvenz etwa 2500.
In Nordrhein hat man sich vor dem Hintergrund der Insolvenz von AvP inzwischen mit anderen Apothekerverbänden abgestimmt und fordert den vorläufigen Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos auf, noch nicht abgerechnete Rezepte den betroffenen Apotheken umgehend zur Verfügung zu stellen.
Bestimmten Apotheken könnten Aussonderungsrechte zustehen
Am vergangenen Dienstag wurde nun bekanntgegeben, dass denjenigen Apotheken die entweder mit AvP vor dem Jahr 2003 Verträge geschlossen haben oder über ganz aktuelle Verträge verfügen, möglicherweise ein Aussonderungsrecht hinsichtlich der unbearbeiteten Rezepte zustehen dürften. In diesen Verträgen sei nur eine bedingte Forderungsabtretung vereinbart worden. Damit würde die Forderung des von der Aussonderung betroffenen Rezeptwerts dem jeweiligen Apothekeninhaber zustehen und die Forderung von vornherein nicht in die Insolvenzmasse von AvP fallen.
Hoos sicherte auch zu, Rezepte nicht herauszuverlangen, die sich noch physisch in den Apotheke befinden, aber durch Scanvorgänge an AvP vor der Insolvenzantragstellung am 16. September 2020 übermittelt wurden. Hoos begründet dies damit, dass den betroffenen Apotheken aufgrund ihrer offenen Forderungen ein sogenanntes Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich dieser Rezepte zustehe. Desweiteren sollen laut AVNR-Mitteilung betroffene Apotheken Abschlagszahlungen von Primärkassen über ihre neuen Rechenzentren erhalten.
Sachsen-Anhalt: Jede fünfte Apotheke in Zahlungsnot
Auch in Sachsen-Anhalt ist man alarmiert: Hier soll jede fünfte Apotheke unverschuldet in akute Zahlungsnöte geraten sein – mehr als 100 der insgesamt 581 öffentlichen Apotheken seien betroffen, so eine Mitteilung der Apothekerkammer und des -verbandes. Die aus dieser Insolvenz resultierenden Zahlungsausfälle seien existenzbedrohend und würden sich pro Apotheke in einem Bereich von ca. 120.000 Euro bis 400.000 Euro bewegen, teilweise sogar noch darüber hinaus. „Da dieses Geld dringend für die Bezahlung der Rechnungen für die vom Großhandel und der Industrie gelieferten Arzneimittel, aber auch für Mieten, Gehälter und Sozialbeiträge benötigt wird, geraten viele der von der Insolvenz des Rechenzentrums betroffenen Apotheken unverschuldet in eine akute finanzielle Notlage“, betont Kammerpräsident Dr. Jens-Andreas Münch. Kammer und Verband in Sachsen-Anhalt haben sich nun in einem Brief an den Ministerpräsidenten gewendet und einen Hilferuf an die Politik formuliert: „Es geht hier um Gelder der Sozialversichertengemeinschaft, die durch ein Insolvenzverfahren nicht ausgezahlt werden können und damit trotz bereits erbrachter Leistung den Apotheken nicht zur Verfügung stehen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Apothekerschaft gesetzlich beauftragt ist, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Danach hat die Apotheke die Verpflichtung, das verordnete Arzneimittel abzugeben. Diese Verpflichtung gilt völlig unabhängig davon, ob sich dies wirtschaftlich rechnet. Gerade bei hochpreisigen Arzneimitteln sind die Apotheken infolge der gesetzlichen, im Sozialgesetzbuch Teil V verankerten langen Zahlungsfristen für die Krankenkassen gezwungen, die für sie unwirtschaftliche Zwischenfinanzierung zu übernehmen“, so Münch.
Der Vorsitzende des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt und ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold ergänzt: „Der ersatzlose Ausfall einer ganzen Monatsabrechnung ist für nahezu jeden Apothekeninhaber existenzbedrohend. In der stark regulierten Arzneimittelversorgung tragen die Apotheken ohnehin ein großes finanzielles Risiko bei seit Jahren kaum angepassten Honoraren. Rabattverträge, Lieferengpässe, Retaxationen und die Vorfinanzierungskosten für immer mehr hochpreisige Arzneimittel belasten die wirtschaftliche Situation ohnehin schwer.“
In Baden-Württemberg hatten sich Apothekerkammer und -verband bereits in einem Brief an den Ministerpräsidenten des Landes, Winfried Kretschmann (Grüne), gewandt. „Die Firmenpleite hat bei den betroffenen Apotheken große Sorge ausgelöst“, schreiben sie. Derzeit sei unklar, inwiefern AvP die ausstehenden Forderungen der Apotheker begleichen könne. „Fest steht jedoch, dass ein kompletter Forderungsausfall eine Vielzahl von Apotheken – auch in Baden-Württemberg – völlig unverschuldet in eine existenzielle Bedrohungslage bringen wird, die in manchen Fällen mit wochenlangen Corona-bedingten Umsatzrückgängen kumuliert.“
Bundestagsfraktionen thematisieren AvP
Die Insolvenz des Apothekenrechenzentrums ist auch bereits in der Bundespolitik angekommen. Nach Informationen der DAZ findet derzeit in der Regierungskoalition eine Meinungsbildung statt. Das Thema „AvP“ könnte sogar Anfang Oktober im Gesundheits- und Finanzausschuss landen. Als erste Abgeordnete hat sich die Linken-Politikerin Sylvia Gabelmann in einer Mitteilung an die Öffentlichkeit gewandt und einen Rettungsschirm gefordert. „Hier muss die Bundesregierung schnell helfen, damit eine möglicherweise betrügerische Insolvenz nicht Tausende von Arbeitsplätzen und die Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung gefährdet! Ich sehe hier ganz klar die öffentliche Hand in der Pflicht“, so Gabelmann. |
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