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Interpharm online 2020
Nicht in die „Schlampen-Ecke“ stellen
Frauen mit HIV: sensible und empathische Beratung ist gefragt
Eine Situation, die nicht selten unerwünschte Interaktionen auslöst: Der HIV-Arzt fragt die Verhütungsmethode nicht ab, dem Gynäkologen oder in der Apotheke wird die HIV-Erkrankung aus Scham verschwiegen. So steht die „Pille“ auf einem Rezept, antiretrovirale Mittel auf einem weiteren. Letztere beschleunigen häufig als Induktor von CYP-Enzymen den Abbau der Sexualsteroide in der Leber. Das schränkt den Konzeptionsschutz ein. Bei Verordnung von
- Ritonavir und Ritonavir-geboosterten Protease-Inhibitoren (Atazanavir, Tipranavir, Saquinavir),
- nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern (NNRTI) Efavirenz, Etavirin und Nevirapin oder
- Cobicistat-geboostertem Elvitegravir (Cobicistat ist ein CYP3A-Inhibitor)
sollten die Verordnung eines Kontrazeptivums mit einer Estrogendosis ≥ 30 µg/Tag oder zusätzliche Verhütungsmaßnahmen empfohlen werden.
Ein Beispiel für eine Situation, die vorurteilslose Empathie verlangt, ist eine Notfallkontrazeption. Sie könnte einer Frau mit HIV „doppelt peinlich“ sein. Hier heißt mit Walterings Worten „...beraten, ohne die Frau in die Schlampen-Ecke zu stellen“. Bei gleichzeitiger Einnahme von CYP-Induktoren müsste die Frau die Levonorgestrel-Dosis auf 3 mg verdoppeln (was nicht untersucht worden ist) oder auf eine Kupferspirale ausweichen. Bezüglich HIV unproblematisch sind die Anwendung von Kondom oder Femidom mit fettfreiem Gleitgel (z. B. Aquaglide, Vagisan), Portiokappe oder Diaphragma, Kupfer- oder hormonhaltige Intrauterinpessare oder Gestagen-haltige Depotspritzen.
Für eine Hormontherapie im Rahmen der Menopause gelten die gleichen Vorgaben. Bei pflanzlichen Präparaten ist zu beachten: Rotklee führt zu Enzymhemmung mit erhöhten Blutspiegeln und Nebenwirkungen von Protease-Inhibitoren, nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern und Maraviroc. Extrakte aus der Traubensilberkerze sind bei einer antiretroviralen Therapie möglichst zu meiden, da sie mit Leberschäden assoziiert sind. Soja-Präparate können eingesetzt werden.
Prä- und Post-Expositionsprophylaxe (PrEP / PEP)
Die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) ist eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-negative Frauen oder Männer mit HIV-Risikokontakten Tenofovir/Emtricitabin (Truvada®) einnehmen, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Bei der empfohlenen täglichen Einnahme besteht eine Schutzwirkung bei Frauen nach sieben Tagen. Wer eine PrEP anwendet, muss regelmäßig auf HIV getestet werden und sollte die Nierenfunktion (Cave: GFR < 60 ml/Minute, gleichzeitige Einnahme von NSAR) kontrollieren lassen. Bei Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko ist die PrEP eine Kassenleistung. Bei HIV-Risiko nach einer Nadelstichverletzung oder nach Sex mit einer (möglicherweise) HIV-positiven Person, die nicht wirksam behandelt wird, kann eine – ebenfalls erstattungsfähige – Postexpositionsprophylaxe (PEP) indiziert sein. Der Frühtherapie dient eine Dreifachkombination (Tenofovir Diproxil [TDF]/Lamivudin [3TC] + Raltegravir oder Dolutegravir), die innerhalb von Stunden begonnen werden muss und vier Wochen durchgeführt wird. Bis zum Vorliegen eines aussagekräftigen negativen HIV-Testes (sechs Wochen nach der Exposition bzw. sechs Wochen nach dem Ende der medikamentösen PEP) sollten Kondome benutzt werden.
HIV-Selbsttests mit diagnostischer Lücke
Nach Risikokontakten wird in Apotheken auch nach HIV-Selbsttests gefragt. Die seit Oktober 2018 verfügbaren Bluttests (z. B. Exacto Pro, INSTI HIV, Autotest, Autotest VIH ratiopharm) weisen Antikörper gegen das HI-Virus nach. Unabdingbar ist der Hinweis, dass diese erst drei bis zwölf Wochen nach der Infektion gebildet werden (diagnostische Lücke); ein positiver Test muss durch einen Labortest bestätigt werden. |
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